Im Kreuzfeuer. Christian Wehrschütz
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Der zweite große Unterschied liegt in der Schreibweise, die sich auch auf die Aussprache auswirkt. So sprechen die Kroaten die ijekavische und die Serben die ekavische Variante; die Kroaten sagen daher rijeka (Fluss) oder svijet (Welt), die Serben jedoch reka und svet. Der dritte Unterschied besteht in historisch gewachsenen Ausdrucksweisen und beim Serbischen im großen Einfluss türkischer Wörter, die in die Sprache eingegangen sind. So sagen die Kroaten točno (genau), kruh (Brot), sretno (froh), die Serben sagen tačno, hleb und srečno. Doch die Serben sagen auch komšija (das türkische Wort für Nachbar), die Kroaten sagen susjed, ein Wort, das auch in anderen slawischen Sprachen vorkommt. In einem Lehrbuch der serbokroatischen Sprache1) ist der jeweils andere Ausdruck in Klammern angeführt. Über die serbokroatische Sprache heißt es in der Einleitung:
„Im Lauf der Geschichte haben sich Zagreb und Belgrad zu politischen, Kultur- und Literaturzentren entwickelt, denen zwei Varianten der Schriftsprache entsprechen. Der Hauptunterschied ist lautlicher Art und besteht in der Verwendung der ije- bzw. e-Mundart; daneben gibt es gewisse Unterschiede im Wortschatz, an die man sich an Ort und Stelle leicht gewöhnt.“
Das ist völlig richtig, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Doch es muss auch die Bereitschaft dazu vorhanden sein; denn einem Kroaten fällt es eben (unangenehm) auf, wenn man statt „dobar tek“ (Mahlzeit) „prijatno“ sagt. Für den Ausländer sind diese Unterschiede meistens nicht fassbar, und auch der Anfänger hat noch im wahrsten Sinn des Wortes kein Ohr dafür. Als ich in der Oberstufe meiner Gymnasialzeit in Graz einige Zeit das Freifach „Serbokroatisch“ besuchte, erzählte ich freudig einem Kroaten, dass ich nun Serbokroatisch lerne. Die Antwort fiel für mich verblüffend aus: „Diese Sprache gibt es nicht. Es gibt nur Serbisch oder Kroatisch.“ Das Gleiche hätte ich wohl auch von einem Serben hören können. Trotzdem kann ich Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Montenegrinisch im Grunde nur als eine Sprache begreifen – alle Linguisten mögen mir verzeihen – denn ich habe nur „Serbisch“ gelernt, kann mich aber überall verständigen und die Zeitungen all dieser Länder lesen. Unbestritten ist jedoch, dass jeder Staat und jedes Volk seine Sprache so nennen kann, wie das von der Mehrheit der Bevölkerung gewollt wird. Doch ich bin Journalist, nicht Linguist, und in dieser Darstellung geht es nicht um Linguistik, sondern um die praktischen und politischen Aspekte der Sprachenfrage.
Zur Illustration soll hier ein Witz, der unter Belgrader Taxifahrern kursiert, herhalten: Ein Kroate fährt in Belgrad mit dem Taxi, will schließlich zahlen und fragt nach dem Preis: „Tri hiljade Dinara (Dreitausend Dinar) antwortet der Taxifahrer. „Koliko je to u tjsucima“ (Wie viele Tausend sind das?), fragt der Fahrgast, das kroatische Wort für Tausend verwendend. „Šest tjsuca“ (Sechstausend), antwortet der Fahrer.
Dabei muss bereits jetzt betont werden, dass die Sprachenfrage weit mehr ist als eine Marotte, die in den betroffenen Staaten auch für tagespolitisches Kleingeld verwendet wird. (So wurde etwa der kroatische Staatsgründer Franjo Tuđman in Kroatien dafür kritisiert, dass er bei einem offiziellen Anlass statt sretno (froh, glücklich) srečno gesagt hatte.) Vielmehr sind damit auch Kosten verbunden, die der europäische Steuerzahler bereits jetzt mitzutragen hat und die noch größer werden dürften, sollten Kroatien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und Serbien dereinst alle EU-Mitglieder sein. Doch zunächst zur historischen Entwicklung. War die politische Führung mit ihrer Sprachenpolitik im ehemaligen Jugoslawien bestrebt, die vorhandenen Unterschiede einzuebnen, so setzte mit und nach dem Zerfall des gemeinsamen Staates der gegenläufige Trend ein. Trennung war angesagt, und Kroatien soll seine Linguisten sogar zu den burgenländischen Kroaten entsandt haben, um zu den Wurzeln der kroatischen Sprache zurückkehren zu können. Völlig beseitigt wurde natürlich der Unterricht der kyrillischen Schrift, mit Ausnahme in jenen Schulen, die die serbische Minderheit in Kroatien besucht. Je weiter die Kriegszeit zurückliegt, je mehr sich die kroatische Nation festigt und je mehr die „Angst“ vor einem neuen Jugoslawien schwindet, desto ungezwungener wird auch der Sprachgebrauch werden, jedenfalls im täglichen Leben. Trotzdem lässt sich in der Bürokratie und beim Protokoll noch immer für Verwirrung sorgen, wenn man als Ausländer mit „Serbisch“ auftritt. So war vor einigen Jahren Bundeskanzler Wolfgang Schüssel auf Besuch in Agram/Zagreb. Am Abend gab es einen Empfang, zu dem Journalisten jedoch nicht zugelassen waren, doch der Bundeskanzler wollte mich sprechen. Beim Eingang teilte ich den Sicherheitsbeamten mit, ich sei der Korrespondent des ORF, und der Bundeskanzler wollte mich sprechen. Nach einigem Hin und Her gelang es einem Vertreter der österreichischen Botschaft, mich ins Gebäude zu bringen. Auf dem Weg zum Kanzler erzählt mir der Diplomat, ein kroatischer Protokollbeamter sei ganz ungläubig gekommen und habe gesagt: „Draußen steht ein Journalist, der behauptet, der Bundeskanzler wolle in sprechen; er behauptet Österreicher zu sein, doch er spricht Serbisch.“
Solche Anekdoten bereichern das journalistische Leben; doch wie katastrophal die Folgen einer verfehlten Sprachenpolitik für ein Land sein können, zeigt das Beispiel von Bosnien und Herzegowina. Dort gibt es drei offizielle Sprachen: Bosnisch, Kroatisch und Serbisch. Bereits die Bezeichnung „Bosnisch“ wird in Bosnien von Kroaten und Serben als eine Art der sprachlichen Hegemonie abgelehnt. Für diese beiden Volksgruppen ist aber „Bosniakisch“ annehmbar als Bezeichnung der Sprache, die die Bosniaken, die Muslime in Bosnien, sprechen. Doch abgesehen von der Bezeichnung hat auch die Existenz der drei sogenannten Sprachen der drei konstitutiven Völker dieses Staates mit etwa vier Millionen Einwohnern praktische Folgen. Offizielle Texte werden in drei Sprachen und zwei Alphabete (Latein und Kyrillisch) übersetzt, obwohl man Unterschiede oft mit der Lupe suchen muss. Dessen sind sich natürlich auch Politiker, Bürokraten und Juristen aller drei Volksgruppen bewusst; sie haben daher ihr Möglichstes getan, um künstlich Unterschiede zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist das eingangs abgedruckte Plakat, auf dem Bosnisch, Serbisch und Kroatisch „Wahlkommission“ zu lesen steht; das Bosnische unterscheidet sich vom Serbischen nur durch die Schrift, vom Kroatischen aber dadurch, dass für das Wort Kommission ein eigenes kroatisches Wort verwendet wird. Das wirkt sich natürlich bei der Rechtsterminologie besonders negativ aus, weil es die Bildung eines einheitlichen Rechtsraumes zusätzlich erschwert. Zum Tragen kommt diese Sprachenpolitik auch bei internationalen Verträgen, wie das Beispiel des Doppelbesteuerungsabkommens zeigt, das Bosnien und Herzegowina mit Österreich 2008 unterzeichnet hat. Das Papier wurde in fünf Sprachen unterfertigt: Deutsch, Englisch, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch. Die Fama berichtet, dass eine Sachbearbeiterin in Österreich in Sarajevo nachgefragt haben soll, ob nicht irrtümlich zweimal dieselbe Fassung (Bosnisch/Kroatisch) nach Wien übermittelt wurde. Eine Überprüfung ergab nur minimale sprachliche Unterschiede zwischen beiden Texten. Vereinbart wird in derartigen Fällen, dass zur Vertragsauslegung das Dokument in englischer Sprache herangezogen wird. Das Beispiel des Doppelbesteuerungsabkommens lässt erahnen, in welchem Ausmaß sinnlos Papier produziert wird, denn was für Österreich gilt, wird wohl auch für die Rechtstexte der EU gelten. Deren gemeinsamer Rechtsbestand umfasst etwa hunderttausend Seiten. Dabei zeigt gerade die EU-Annäherung, dass Serbien, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro von der gemeinsamen Sprache profitieren können. Der Rechtsbestand wurde bereits ins Kroatische übersetzt, und Serbien und Montenegro möchten davon auch Gebrauch machen; doch bisher soll es nicht zur Weitergabe der Übersetzungen gekommen sein, denn dann könnte in der EU wohl jemand auf die Idee kommen, die Sprachen der vier Beitrittswerber als eine Sprache zu begreifen. Im Sand verlaufen sind bisher auch alle zaghaften Initiativen in Brüssel, diese vier Staaten auf dem Weg Richtung EU zu einer gemeinsamen Sprache zu bewegen. Doch was im Fall Österreichs und Deutschlands möglich ist, sollte erst recht für das ehemalige Jugoslawien durchsetzbar sein, um Kosten zu sparen und die Effizienz in Brüssel und auf dem Balkan ein wenig zu steigern.
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