Der Tanz des Mörders. Miriam Rademacher
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![Der Tanz des Mörders - Miriam Rademacher Der Tanz des Mörders - Miriam Rademacher](/cover_pre969396.jpg)
»Dann sehen Sie eben woanders hin. Vorzugsweise in besagtes Regal.« Mit diesen Worten machte Dieber eine einladende Geste in Richtung Küchentür. Colin fand den jungen Mann zunehmend unsympathisch, folgte ihm aber in den Nachbarraum.
»Und? Was meinen Sie? Hat es gestern hier auch so ausgesehen?«
Die vorwurfsvollen Blicke des Spurensicherungsteams ignorierend, standen Dieber, Norma und Colin vor dem hohen Wandregal. Colins Blick flog zu Norma hinüber, deren Mund vor Überraschung offen stand.
»Nein«, sagte er. »Nein, gestern waren die Kartons ordentlich aufeinander gestapelt und nicht wild durcheinandergewürfelt. Auch einzeln herumliegende Fotos gab es nicht.«
Dieber nickte befriedigt. »Sie brauchen ja nicht hinzusehen, aber ist Ihnen bei ihrem ersten und einzigen Blick auf Mrs Summers nicht aufgefallen, dass sie einen Fotokarton auf dem Schoß hat und in der rechten Hand immer noch ein Foto hält?«
Colin schüttelte den Kopf. Darauf hatte er nicht geachtet und jetzt widerstand er der Versuchung, die Aussage Diebers zu überprüfen. Er hatte nur auf das Bratenthemometer gestarrt, alle anderen Einzelheiten waren durch den grausamen Anblick verdrängt worden.
»Was zeigt das Foto in ihrer Hand?«, wollte Norma wissen.
»Darüber kann ich zum derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts sagen«, erwiderte Dieber und schob die beiden eilig aus dem Zimmer. »Sie zwei dürfen jetzt nach Hause gehen. Nach Hause und nicht in den Lost Anchor. Und treten Sie bitte keine weite Reise an.«
Augenblicke später stand Colin neben Norma auf den unebenen Gartenplatten und ertrug geduldig Normas Gemecker.
»Keine weite Reise antreten, wofür hält der sich? Unglaublich, wie überheblich jemand werden kann, sobald er einen Rang bekleidet. Aber dafür habe ich ihm auch nicht gesagt, was mir sofort aufgefallen ist.«
Colin wurde hellhörig. »Was meinst du damit, Norma?«
»Aber Colin! Hast du es denn nicht bemerkt? Der grüne Karton! Er stand nicht mehr im Regal!«
»Dann wird es sich wohl bei dem Karton auf ihrem Schoss um den grünen gehandelt haben.«
»Irrtum!«, triumphierte Norma. »Das hat es nicht. Ich habe mich beim Rausgehen noch einmal mutig zu ihr umgedreht, es war einer der vielen grauen. Der grüne Karton fehlt.«
Bus Stop
Alles schön der Reihe nach
»Und der Karton fehlt tatsächlich?«, fragte Jasper jetzt schon zum dritten Mal. Sein Wurf verfehlte die anvisierte Fünfzehn um mehrere Zentimeter.
»Er ist grün, Jasper, ich übersehe doch keinen grünen Fotokarton!« Norma rührte in ihrer Erdbeerbowle und sah Colin beim Verlieren zu. Diesmal ging es nicht ganz so schnell wie sonst.
Colin war Norma ins Dorf und direkt und ohne Umwege bis in den Lost Anchor gefolgt. Dort angekommen hatte Norma zunächst dem Wirt und dann Jasper Bericht erstattet, der hier schon am Vormittag sein erstes Bier zu sich nahm. Colin kam der Verdacht, dass Jasper vielleicht doch ein Problem mit dem Alkohol hatte. Die Tatsache, dass Jasper auch zwei Whisky später verteufelt gut die Pfeile warf, erhärtete seinen Verdacht, dass Jaspers Körper an regelmäßigen Alkoholkonsum gewöhnt war.
»Meint ihr, dass zwischen den beiden Morden eine Verbindung besteht?«, fragte Colin und traf in die doppelte Zwanzig.
»Halloho? Ist die Frage ernst gemeint? Natürlich hängen die beiden Morde zusammen! Hier ist noch nie einer ermordet worden! Glaube ich zumindest. Und dann gibt’s plötzlich zwei Tote an einem Tag. Das kann doch wohl gar kein Zufall sein.« Norma sah Colin an, als befürchtete sie, er sei von einer Sekunde zur anderen schwachsinnig geworden.
Jasper schaltete sich ein. »Und der verschwundene Karton liefert doch wohl den ersten Hinweis auf ein Motiv, meint ihr nicht? Wirklich Norma, du hättest Mike von dem Karton erzählen müssen. Das ist Unterschlagung von Beweismaterial oder etwas Ähnliches.«
»Kaum, denn ich habe den Karton ja nicht geklaut. Aber wer immer ihn jetzt hat, hat wahrscheinlich kein Bratenthermometer mehr. Und was Mike angeht: Überheblichen Menschen helfe ich nicht. Er hätte ja auch mich fragen können, ob mir an dem Regal etwas auffällt, aber nein, er hat Colin gefragt. Der hat aber nur einen scharfen Blick, wenn es um Menschen geht und nicht um Dinge.«
Colin errötete unter Jaspers forschendem Blick, der jetzt auf ihm lag. Prompt verpatzte er den nächsten Wurf, womit Jasper wieder einmal als Sieger aus der Partie hervorging. Jasper grinste breit über sein rundes Gesicht und blinzelte zufrieden durch die Nickelbrille. Colin und Norma zuckten die Achseln, sie hatten nichts anderes erwartet. Sie nahmen an einem runden Kaffeetisch mit zerkratzter Marmorplatte Platz, der im Lost Anchor ein wenig deplatziert wirkte, aber dem Dartautomaten am nächsten stand. Jasper drehte einen der schäbigen Stühle herum und setzte sich breitbeinig, das Kinn auf die Lehne gestützt, darauf. Colins Stuhl knarrte bedrohlich, als er sich zurücklehnte, hielt aber durch.
»Ist das wahr, Colin? Hast du einen Blick für Menschen?« Jaspers kleine Äuglein waren fest auf Colin gerichtet, der sich, um nicht antworten zu müssen, einen großen Schluck seines Bieres genehmigte. Hätte er bloß nie ein Wort darüber verloren. Er hielt es nicht für eine Gabe, sondern für eine nützliche kleine Spielerei, die ihm in seinem Berufsleben oft geholfen hatte.
Menschen waren schwierig. Insbesondere, wenn sie ihre erste Tanzstunde bei einem fremden Tanzlehrer hatten. Für manche war das unangenehmer als ein neuer Arzt. Mit der Zeit wurden Colins Studien der Körpersprache ein wichtiges Hilfsmittel. Er sah, er spürte, wie er mit wem umgehen durfte, wen er berühren konnte, wer von sich selbst überzeugt war, wer seinen eigenen Körper kaum spürte und wann er jemanden überforderte, noch bevor dieser es richtig mitbekam. Das hatte einen wesentlichen Teil seines Erfolges in der Branche ausgemacht.
»Und wie er das hat. Komm, Colin, zeig es Jasper mal. Sieh dir doch mal die Frau da hinten an. Die, die gerade zu den Toiletten geht. Was siehst du?«
Colin drehte den Kopf in die von Norma angedeutete Richtung. Ein junges Mädchen ging mit beschwingten Schritten auf die Toilettentür für Damen zu. Ein ungewöhnliches Mädchen. Sie trug ein himmelblaues Kleid, wie es Mitte der Fünfzigerjahre in Mode gewesen sein dürfte, mit Blusenkragen, breitem Gürtel und Petticoat. Das blonde Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, die weißen Lackschuhe waren zierlich, die Absatzhöhe war moderat. Als sie die Klinke der Tür hinunterdrückte, sah sie sich kurz im Schankraum um. Colin wandte sich hastig ab und traf auf die neugierigen Blicke seiner Gegenüber. Er hörte, wie sich die Toilettentür hinter dem Mädchen schloss. Colin seufzte.
»Fein, wenn es euch so viel Spaß macht. Die Kleine bewegt sich sehr elegant und sehr grazil. Sie könnte Tänzerin sein, ist sie aber nicht, und das trifft eigentlich schon den Kern der Sache.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und ließ seine Zuhörer einen Augenblick lang zappeln. Dann fuhr er fort: »Ihre Bewegungen sind einstudiert, sie kontrolliert sich selbst, als würde sie andauernd vor einem Spiegel stehen. Sie hat sich eine hübsche Fassade aufgebaut und unterstreicht sie gekonnt durch gefällige Kleidung, die aber nur ein Kostüm darstellt. Für manche ist ihre Kleidung ein Statement, doch nicht für sie. So will sie von ihrer Umwelt gesehen werden. Es gehört zur Show. Sie streckt nicht einmal die Hand zur