... und hinter uns die Heimat. Klaus-Peter Enghardt
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»Erbarmung, junges Frollejn. Sehe ich amend aus wie ejn Schubiak, der Sie bestechen will? Nej, das ist ejn Jeschenk, wie man es juten Frejnden macht, das kenn Se ruhig annehm.«
Nun mischte sich auch Marie Schimkus ein. »Wenn die Frau Schugat dir das doch schenken will, kannst du es nicht abschlagen. Könnte sein, dass sie sonst beleidigt wäre.«
Frau Schugat erhob sich und sagte: »Nu wollen wir mal nich so ejn Brimborium draus machen. Wenn ich es nich hette, kennte ich es auch nich jeben. Also, auf Wiedersehen.«
Katharina bedankte sich, obwohl sie sich etwas überrumpelt fühlte, und brachte die Frau zur Tür. Als sie die Ausgangstür geschlossen hatte und in die Küche zurückgekehrt war, standen die beiden Frauen für einige Sekunden regungslos da und prusteten plötzlich gleichzeitig los.
Marie Schimkus traten vor Lachen die Tränen in die Augen und amüsiert sagte sie: »Wenn du einem Schüler eine Eins gibst, schenkt dir niemand etwas, aber wenn du ihm den Hosenboden versohlst, dann hast du für drei Tage zu essen«, und die Frauen lachten wieder los.
Diese Begebenheit behielten die beiden Frauen jedoch für sich und Albert Schugat kam auch wieder in die Schule. Er hatte sich zwar nicht von Saulus zu Paulus gewandelt, doch sein Betragen machte zumindest während des Unterrichtes einige Fortschritte.
Katharina hatte Post bekommen, und zwar gleich drei Briefe auf einmal. Der dickste Brief war von ihren Eltern, der zweite Brief war von Tante Ida und der dritte von Mutter Kleinschmidt. Die Freude war riesig und die junge Frau zog sich auf ihr Zimmer zurück, um ihre Post in Ruhe zu studieren.
Im Radio kamen immer wieder Nachrichten über Köln, die ihr Angst machten. Ganz besonders schlimm aber musste es in Essen sein, da konnte ja kein Stein mehr auf dem anderen stehen.
Obwohl ihr Vater in seinen Briefen nur spärlich über die Bombenangriffe auf Köln berichtete, um seine Tochter nicht übermäßig zu beunruhigen, konnte sich Katharina das Leid der Menschen in der Stadt vorstellen.
Ganz besonders erschüttert war sie vom Tod des Nachbarsohnes. Sie hatten als Kinder miteinander gespielt und als Heranwachsende lernten sie auf demselben Gymnasium. Sie war sehr froh, dass es ihren Eltern gut ging, aber ihr wäre wohler zumute, wenn sie Köln verlassen würden.
Das Pflichtbewusstsein ihres Vaters, der auch in schwersten Zeiten nie seiner Arbeit fern blieb, würde eines Tages noch zu einem Unglück führen.
Die junge Frau schwebte zwischen Angst, wenn sie an ihre Eltern, Verwandte und Freunde dachte, und Erleichterung, dass sie selbst, fernab von Bombenbedrohungen im ostpreußischen Loditten in Sicherheit war.
Tante Ida schrieb, dass sie inzwischen ab und zu Besuch von ihrem Mann Herbert bekam, und stellte die Aussicht in den Raum, sich angesichts der schweren Zeit wieder mit ihm zu versöhnen. Das freute Katharina, die ja ihren Onkel öfters heimlich besucht hatte und somit künftig eventuell auf diese Art Heimlichkeiten verzichten konnte.
Mutter Kleinschmidt schrieb in ihrer unverwechselbaren Art genauso wie sie sprach und Katharina musste beim Lesen der Zeilen ein paarmal lachen. Die Frau beklagte sich über das Berliner »Mistwetter«, über die Rationierung der meisten Dinge des täglichen Bedarfs, über den Engpass an Kohlen, Brennholz und Kartoffeln, über das Ausbleiben von Gästen und auch darüber, dass ihre Tochter sie wohl vergessen hatte, da sie sich gar nicht mehr meldete.
Doch bei allem Schimpfen klang aber auch immer wieder der unverbrüchliche Optimismus der Frau durch.
Katharina wollte die Briefe so schnell wie möglich beantworten.
Inzwischen wehte der berüchtigte kalte Ostwind über das Memelland nach Ostpreußen. Das Herbstlaub wurde von den Ästen geweht, und tanzte im Spiel des Windes. Regenschauer jagten Mensch und Tier in sicheren Unterschlupf und aus den Schornsteinen der Häuser stiegen dicke Rauchwolken.
Die junge Lehrerin bekam einen ersten Eindruck, wie unwirtlich es in ihrer neuen Heimat sein konnte, dabei hatte der Winter noch nicht einmal begonnen.
Mit dem Beginn der kalten Jahreszeit wurde im Haus von Marie Schimkus eine liebgewonnene Tradition wiederbelebt, an der Katharina nun ebenfalls teilhaben durfte.
Die Noaberschen trafen sich zum Kadreiern, da kam manchmal sogar eine größere Plachanderrunde zum Schabbern zusammen. Bei Kaffee und Plinsen wurden all die Ereignisse besprochen, die sich ab dem Frühling zugetragen hatten. Hochzeiten, Todesfälle, Kindergeburten und all den Frauenklatsch, über den es sich herzuziehen lohnte, jedoch ohne Bosheit und Arglist.
Die Menschen in Ostpreußen waren geradlinig, manchmal wortkarg, zuweilen auch störrisch, aber immer ehrlich.
Wortkarg waren die Nachbarinnen von Marie Schimkus zum Glück nicht, deshalb waren die Abende, an denen sie sich im Wechsel trafen, für die Frauen immer sehr unterhaltsam.
Meist brachten sie Strickzeug mit und strickten Socken, Handschuhe oder Schals oder stopften ihren Männern die löchrigen »Mauken«. Die Hände der Frauen konnten auch nach dem Feierabend einfach nicht ruhen.
Die Männer nahmen es den Frauen nicht übel, dass die sich zum Plaudern trafen. Sie selbst setzten sich dann im Wirtshaus zusammen, kippten sich ein paar Bierchen und ein paar Bärenfang oder Machandel hinter die Schlorren, und auch sie unterhielten sich oder spielten Karten. Der Winter war für die Bauern die Zeit, auch einmal ein wenig an sich zu denken.
In den vergangenen Tagen hatte die junge Lehrerin die geplanten Elternbesuche begonnen, und das nicht nur bei den Eltern schwieriger Schüler. Es war zugleich ein Anlass, sich bei den Eltern im Dorf bekannt zu machen. Meist waren ohnehin nur die Mütter der Kinder und die Großeltern anwesend, weil ja fast alle wehrfähigen Männer des Dorfes zu den Soldaten eingezogen waren. Als Ersatz für die fehlenden deutschen Bauern und Handwerker dienten russische, polnische, französische und belgische Arbeitskräfte. Besonders Gefangene aus dem französischen Elsass-Lothringen, die zumeist deutsch sprachen, wurden auf den Feldern und in den Werkstätten des Gutes der Familie von Lübzow eingesetzt.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen beherrschten die deutsche Sprache nicht und auch die Polen sprachen nur ein paar deutsche Brocken.
War die Lehrerin zunächst etwas befangen, lernte sie doch sehr schnell die Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft der Menschen im Dorf kennen und wurde von ihnen sofort in ihre Gemeinschaft aufgenommen.
Ursprünglich hatte sich Katharina vorgenommen pro Abend mindestens vier Familien zu besuchen, doch meist wurde sie bereits bei der ersten Familie zu einem Tee oder gar zum Abendbrot eingeladen. Oft gingen die Gespräche über die Schulprobleme hinaus, so dass für die Lehrerin absehbar war, dass sie es nicht schaffen würde, noch vor den Weihnachtsferien alle Eltern aufzusuchen.
Eines erstaunte die Lehrerin immer wieder. Anders als in Köln, wo die Eltern auch ihre größten Rüpel vehement verteidigten und auch verredeten, gingen die Ostpreußen mit ihrem Nachwuchs weniger nachsichtig um. Rüpel war Rüpel, Faulpelz, Faulpelz und wer Strafe verdient hatte, der sollte sie auch bekommen. Wenn nötig, sogar mit dem Rohrstock.
Katharina musste sich an manchem Abend einen Ruck geben, das gemütlich beheizte Haus zu verlassen und in die nasse Kälte hinaus zu gehen. Zu den entlegenen Höfen fuhr sie mit dem Fahrrad.
Ihre Hände steckten in dicken Handschuhen, den Jackenkragen hatte sie hoch geschlossen, vor dem Mund einen Schal gebunden und auf dem Kopf trug sie eine Mütze. So versuchte sie dem Wetter zu trotzen. Dennoch peitschte ihr der Regen oft ins Gesicht und sie kam bei