Raue Februarwinde über den Elbmarschen. Manfred Eisner

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Raue Februarwinde über den Elbmarschen - Manfred Eisner

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schon etwas vorweg sagen?« Hauke zückt Block und Kugelschreiber. »Also gut: Wie es aussieht, liegt der Tote schätzungsweise seit ein bis zwei Wochen in der Grube, Genaueres kann ich natürlich unter diesen Umständen nicht sagen. Er ist etwa ein Meter achtundsiebzig groß, sein Lebendgewicht dürfte bei fünfundsiebzig bis achtzig Kilogramm gelegen haben. Blonde Haare, blaue Augen, Alter so um die Mitte zwanzig. Sehr viel konnte ich da unten bei diesem Wetter nicht feststellen, aber er scheint einen harten Schlag mit einem dumpfen Gegenstand auf dem Hinterkopf abbekommen zu haben und muss dann wegen der Wucht des Schlages ziemlich heftig frontal gegen eine Wand geprallt sein – darauf deutet zumindest ein Hämatom an der Stirn. Ich vermute, es handelt sich um eine unnatürliche Todesursache durch Genickbruch, verursacht entweder durch den Schlag oder den Aufprall. Gemäß Aussage Ihrer KTU-Kollegen hatte der Tote weder Papiere noch Kreditkarten bei sich, die seine Identität preisgegeben hätten, auch kein Handy. In seinem Portemonnaie sollen sich fünfundsiebzig Euro befunden haben. Weitere Erkenntnisse kann nur eine ordentlich durchgeführte Obduktion an den Tag bringen, tut mir leid!«

      »Herzlichen Dank, Herr Doktor, das war doch schon ’ne ganze Menge!« KOK Steffens drückt dem Mediziner die Hand, dieser winkt den anderen zu und steigt zugleich mit ihm aus.

      Hauke geht auf die anderen Polizeifahrzeuge zu und ordnet den Abbruch an. Die Leiche soll sofort geborgen und in die Pathologie im Klinikum Itzehoe überführt werden. Dann kehrt er zu seinem Fahrzeug zurück, schüttelt sich die Schneeflocken von der Kleidung und steigt ein. »Das war’s wohl für heute. Dann fahr man los, Dörte.« Er wendet sich an Nili und Waldi. »Wo sollen wir euch absetzen?«

      Während Nili sich anschnallt, antwortet sie. »Erinnerst du dich noch an den Holstenhof? Wie an jedem Sonntag trifft sich dort auch heute unsere gesamte Familie zum Brunch oder besser gesagt zum ›Frühmittag‹, wie es meinem Onkel Oliver beliebt, weil er diese modischen Amerikanismen nicht mag.«

      Ein wenig unsicher meldet sich KOK Dörte Westermann zu Wort: »Tut mir leid, Frau Kriminalhauptkommissarin, aber ich weiß nicht, wo das ist!«

      »Macht nichts!« Nili winkt ab. »Und bitte lasst uns doch bei ›Dörte‹, ›Waldi‹ und ›Nili‹ bleiben, okay?« Ohne eine Reaktion abzuwarten, spricht sie weiter: »Also, ich sag dir, wo’s langgeht! Fahr erst einmal zurück auf die Bundesstraße.«

      Unterwegs kommentieren sie angeregt den Befund der Leichenschau, bis Nili eine Idee hat und zu Hauke gewandt sagt: »Ich biete euch einen kostenlosen Brunch gegen eine Kopie deines Berichts!« Als dieser grinsend nickt, greift sie zu ihrem Handy. »Moin, Onkel Oliver, ich bin’s, Nili. Sagst du bitte Tante Madde Bescheid, dass außer Waldi und mir noch zwei weitere hungrige Mäuler auf dem Weg zu euch sind! Also dann bis gleich, Tschüss!«

      »Das geht doch nicht, Hauke!«, protestiert Dörte halbherzig. »Wir müssen sofort zurück ins Präsidium!«

      »Ach was!«, kontert Nili. »Schließlich ist gleich Mittagszeit, zudem ist auch noch Heiliger Sonntag. Und nach dieser Strapaze haben wir uns wohl alle ein kleines Labsal ehrlich verdient. Euer geschätzter Vorgesetzter ›Hein Gröhl‹ kann sich gern einmal gedulden!« Sie grinst und tippt Dörte auf die Schulter. »Noch etwa einen Kilometer, dann von der Hauptstraße links auf die Hofauffahrt einbiegen!«

       2. »Heiliger Sonntag«

      »Herzlich willkommen auf unserem Holstenhof!« Nilis Vetter Hans-Peter öffnet den Gästen die Haustür. Er geht auf Nili zu und umarmt sie, dann schüttelt er Waldi die Hand. Schließlich sagt er: »Hallo, Hauke, lange nicht gesehen!«

      »Und doch wiedererkannt!«, erwidert dieser. »Entschuldigt unseren Überfall, aber Nili hat uns hierzu verdonnert. Ich darf dir meine Kollegin KOK Dörte Westermann vorstellen!«

      »Zieht euch doch eure nassen Sachen aus, ihr müsst halb erfroren sein!«, bemerkt Hans-Peter, während er und Dörte sich die Hand geben.

      Sie legen ihre durchnässten Jacken ab und hängen diese an die große Wandgarderobe.

      »Und zieht bitte auch eure Schuhe aus!«, fügt Nili an. »Dort hinter der Garderobentür findet ihr genügend Puschen zur Auswahl!«

      Hans-Peter führt die Gäste in die warme und gemütliche Wohnküche, in der Platz für alle ist. Die gesamte Truppe wird von den Familienmitgliedern mit großem Hallo empfangen. Hausherr Oliver umarmt zunächst seine Nichte Nili, dann verkündet er unwillkürlich auf Spanisch: »Bienvenidos en ésta su casa!«

      »Aber Onkel Oliver, meine Freunde verstehen doch kein Spanisch!« Nili lacht und wendet sich Hauke und Dörte zu. »Was er euch sagen wollte, ist: ›Willkommen in diesem, eurem Hause!‹ Es handelt sich um eine im spanischen Sprachbereich weitverbreitete Begrüßung. Meine Großeltern haben zusammen mit ihren Kindern, also mit Oma Clarissa, Onkel Oliver und meiner Ima Lissy, die Nazizeit im bolivianischen Exil verbracht und kommunizieren auch heute noch in dieser Sprache. Für mich ein großes Plus, denn schon aus dem Grund bin auch ich mit dieser Sprache aufgewachsen.«

      Nachdem sich die beiden Gäste des Hauses mit der Familie bekannt gemacht haben, lässt Hauke es sich nicht nehmen, Nilis inzwischen sechsundneunzig Jahre alte Großmutter ganz besonders herzlich zu begrüßen. »Ich freue mich, sehr geehrte Frau Keller, Sie nach so langer Zeit mal wieder zu treffen. Ich muss Ihnen ein Kompliment aussprechen, gnädige Frau: Sie sehen immer noch fantastisch aus, alle Achtung!« Ehrerbietig verbeugt er sich vor der alten Dame und deutet galant einen Handkuss an.

      Oma Clarissa, der die Sache zunächst ein wenig unangenehm zu sein scheint, greift nach Haukes Hand und fragt mit einem Augenzwinkern: »Sag mal, Nili, war dein Kollege immer so ein Charmeur?« Dann, an diesen gerichtet: »Danke, lieber Hauke, das war sehr lieb von dir! Aber woher hast du diese vornehme Art? Jedenfalls tut es einer alten Frau wie mir gut, ab und zu einmal so richtig hofiert zu werden!«

      Ihren Worten folgt allgemeines, sehr vergnügtes Gelächter.

      Nili ist von Haukes Auftritt sehr berührt, geht auf ihn zu und umarmt ihn. »Genug geklönt, Leute! Greift zu, die Spiegeleier und die Würstchen werden nicht heißer!« Onkel Oliver geht mit gutem Beispiel voran und bedient sich. »Wo hast du denn deine beiden Kollegen getroffen?«, erkundigt sich Lissy.

      »Waldi und ich waren auf unserer üblichen Joggingstrecke, als Hauke und Dörte zufällig vorbeifuhren. Da es gerade heftig zu schneien begann, haben sie uns einfach in ihrem Wagen mitgenommen!«

      Hauke nickt: »Wir fuhren zu einem Einsatz – macht doch nichts, Dörte, sie erfahren es sowieso morgen aus der Presse und im Radio – in dem neuen Windpark am Nordrand von Oldenmoor. Man hat dort eine unbekannte Leiche gefunden, und da hilft weder Zähnefletschen noch Müdesein, auch nicht an diesem Sonntag, wo so ein hundsmiserables Wetter ist. Also mussten wir wohl oder übel dorthin.«

      Dörte, die kurz davor gewesen war, Hauke zu unterbrechen, nahm schweigend etwas von dem Rührei, das Oliver ihr reichte.

      »Wisst ihr schon, wer der Tote ist?«, fragt Oskar, der jüngste von Nilis Cousins.

      »Nein, leider nicht. Bei dem Wetter konnte weder die Polizei noch der Kriminaltechnische Dienst groß etwas an der Fundstelle ausrichten. Wir mussten deshalb kurzerhand den Einsatz abbrechen.«

      Ein wenig verwundert sieht Nili ihren Waldi an, der mit seiner Erklärung offenbar versuchen wollte, von dem leidigen Thema abzulenken. Dann eilt sie ihm zu Hilfe: »Hast recht, Waldi, lasst uns lieber von etwas Angenehmerem reden!«

      Als Dörte und Hauke sich etwas später verabschieden, hat es zwar

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