Gesang der Lerchen. Otto Sindram

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Gesang der Lerchen - Otto Sindram

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Spitze und schritt im Takt der getragenen Musik vor der Musikkapelle her. Passanten blieben am Straßenrand stehen und lauschten der Musik, Männer lüfteten ihre Hüte, Autos hielten an, Radfahrer stiegen ab, Kinder liefen nebenher, aus den Häusern am Wege traten Frauen vor die Tür, banden ihre Schürzen ab und bekreuzigten sich.

      Vor der evangelischen Kirche hielt der Zug kurz an. Ein junger Pastor kam, trat an den Leichenwagen, sprach ein Gebet, begab sich hinter den Wagen, und der Zug ging weiter. Nach einer halben Stunde Weg erreichte der Zug den Friedhof und hielt. Die Träger öffneten den Wagen, legten die Kränze zur Seite und übernahmen den Sarg. Der Zug folgte ihnen auf den Friedhof. Ferdinand, Jacob und die beiden dicken Nachbarinnen stiegen aus der Kutsche und gingen hinter den anderen her. Der Leichenwagen fuhr heim.

      Quer über dem offenen Grab lagen zwei Holzbohlen, auf jeder Bohle lag ein Seil. Die Träger stellten den Sarg auf die Bohlen und verharrten, bis die Trauernden sich zu einem Kreis um das Grab versammelt hatten. Die Männer nahmen ihre Zylinder ab. Vier der Träger zogen an den Seilen und hoben den Sarg an, die beiden anderen nahmen die Bohlen weg und legten sie hinter sich, die vier ließen langsam die Seile durch ihre Hände gleiten, der Sarg senkte sich ins Grab. Zwei Träger zogen die Seile herauf und legten sie an die Seite. Dann stellten alle Träger sich auf, zogen ihre weißen Handschuhe aus, warfen sie auf das Kopfnicken eines Trägers hin gleichzeitig in das Grab und traten zurück.

      Die Musiker spielten »Ich hatt’ einen Kameraden«, der Pastor trat ans Grab, schlug seine Bibel auf − und es begann heftig zu regnen. Unter den Trauernden kam Unruhe auf, überall wurden die Schirme geöffnet, man hörte Gemurmel. Lisa stellte sich bei Josepha unter und gab ihren Schirm an Philipp weiter. Der öffnete ihn und ging damit zum Pastor. Der Schirm war so klein, dass Philipp und der Pastor sich eng aneinander schmiegen mussten.

      Der Pastor versuchte gegen das Geräusch des fallenden Regens anzureden und begann mit seiner Predigt. Er sprach von dem »lieben«, stockte, suchte einen Zettel in der Bibel, fand ihn nicht und sprach weiter »Verstorbenen«, der nun die ewige Seligkeit erlangt habe. Vom Schoße Gottes sprach er und davon, dass Jesus die Mühseligen zu sich nehme. Der Regen prasselte so stark, dass schon die Nächststehenden die Worte nicht mehr verstehen konnten. Der Pastor nahm die in dem aufgeworfenen Boden steckende kleine Schaufel und warf etwas von dem lehmigen Boden in das Grab. Philipp hörte ihn »Erde zu Erde« murmeln und sah, dass der Sarg schon im Wasser stand. Wenn das Wasser steigt und in den Sarg eindringt, dachte er, dann verläuft die Schminke auf Papas Gesicht.

      Zusammen mit dem Pastor trat Philipp zurück, schaute sich um und sah, dass die Trauergemeinde sich auflöste und die Menschen dem Ausgang zustrebten. Draußen lagen die nassgeregneten Kränze. Die Kutsche wartete noch. Der Kutscher hatte das Verdeck hochgezogen, Ferdinand und die dicken Nachbarinnen saßen schon im Innenraum. Lisa half Jacob hinein. Philipp bat die beiden Alten zusammenzurücken, damit der Pastor bis zur Kirche mitfahren könne.

      »Kommen Se mal, Pastorken«, sagte die dickere der Nachbarinnen, »wir nehme Se in de Mitt.« Damit griff sie energisch zu, und der Pastor landete auf ihrem Schoß. So fuhren sie davon. Die anderen gingen zur Straßenbahnstation. Als die Straßenbahn kam, hörte es so plötzlich auf zu regnen, wie es angefangen hatte.

      Das Lokal »Zur Sonne« wurde weiterhin mit dem Namen Hermann in Verbindung gebracht. Hermann war lange tot, seine Witwe aber lebte noch und glich immer mehr einer alten Indianerin mit spitzer Nase und einer gelben Lederhaut. Das Lokal war von einem jungen Ehepaar gemietet worden.

      Als Lisa mit der Familie, den Verwandten und den Nachbarn das Lokal betrat, saßen Ferdinand, die beiden dicken Nachbarinnen und Hermanns Witwe schon am Tisch und aßen Streuselkuchen. Das Lokal füllte sich. Frauen in schwarzen Kleidern und mit weißen Schürzen schenkten Kaffee aus. Nach dem Streuselkuchen und dem Kaffee gab es Bier, Schnaps und Eierlikör. Philipp fragte die Mutter, wie sie das alles bezahlen wolle.

      »Hab gutes Sterbegeld gekriegt, und den Rest kann ich beim Heinkes über zwei Jahre in Raten abstottern«, sagte sie.

      Man redete über das schlechte Wetter, über die Sorgen mit den Kindern, über gemeinsame Bekannte und über die Politik. Hugo erzählte aus seinem Buckel-Vorrat eine lustige Geschichte, Johanna schüttelte den Kopf und schimpfte mit ihm. Der Heinkes gab einen unanständigen Witz zum Besten, man lachte, prostete sich zu und war bald recht fröhlich. Einer fragte, wo denn Jacob abgeblieben sei. Der Kutscher berichtete, dass er ihn auf dem Wege zum Hermann in der Neuen Kolonie abgesetzt habe.

      »Schau doch mal, wo Opa geblieben ist!«, bat Oma Josepha Philipp.

      Philipp ging nach Hause und fand den Großvater in der Schusterkammer. Er saß am offenen Dachfenster und atmete schwer. Philipp setzte sich zu ihm.

      »Willst du nicht rüberkommen, Opa?«

      »Lass mich mal hier, Junge.«

      Gemeinsam schauten sie den Tauben am Schlag auf dem Dach des Nachbarhauses zu und schwiegen eine Weile. Wasserdampf stieg von dem noch warmen, aber regennassen Dach auf. Immer mehr Tauben kamen aus dem Schlag.

      »Weißt du noch, Opa«, sagte Philipp auf einmal, »wenn du früher mit mir durch die Felder gegangen bist, und die Lerchen stiegen hoch in den Himmel und sangen?«

      »Ja, früher − die Lerchen«, sagte Jacob.

      Auf der Rückreise nach Berlin kam Philipp zu dem Entschluss, auch in die Partei einzutreten, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands genannt wurde, abgekürzt SED.

      Zwei Wochen nach seinem Parteieintritt bekam Philipp vom Sekretariat der Universität die Mitteilung, dass er in das Studentenheim einziehen könne. Als Sophie davon hörte, überbrachte sie ihm die Nachricht ihrer Wirtsleute, er könne bei ihr in Weißensee wohnen.

      »Jetzt, wo du ein Genosse bist, sind sie damit einverstanden. Meine Wirtsleute haben noch das Zimmer ihrer Tochter frei. Mutti ist auch einverstanden. Wenn sie das nächste Mal nach Berlin kommt, möchte sie dich sowieso kennen lernen.«

      Philipp war erschrocken.

      »Das geht mir alles zu schnell.«

      »Aber du hast mir doch immer gesagt, du wolltest aus deiner Bude am Prenzlauer Berg ausziehen.«

      »Ja, sicher, will ich ja auch. Warum ziehst du nicht auch ins Studentenheim ein?«

      »Ich habe in der Sowjetunion neun Jahre in Heimen gewohnt. Das ist genug. Ich ziehe nie wieder in ein Heim, nie, nie!«

      Philipp wusste nicht weiter.

      »Lass mir Zeit, ich muss mir alles in Ruhe überlegen.«

      Er überlegte zwei Tage, dann hörte er von Christian, dass im Heim ein Zweierzimmer frei geworden war. Philipp dachte an die Heizung im Studentenheim; die Zeit des Frierens würde vorbei sein. Er sagte Christian nichts von Sophies Angebot, und am Ersten des Monats zog er ins Heim ein. Das Zimmer war nicht groß, aber ihnen standen sämtliche Gemeinschaftsräume offen. Auch gab es eine Küche, in der sie sich Teewasser heiß machen und auch mal eine Suppe kochen konnten. Erst nach dem Einzug und im Beisein der Klasse teilte Philipp Sophie mit, dass er nun im Heim wohne.

      Das Leben im Heim bot vielerlei Vorteile, Anregungen und Abwechselungen. Die Zimmer waren immer warm und wurden gereinigt, täglich gab es irgendeine Veranstaltung, eine Versammlung, einen Gesprächskreis oder auch nur die Möglichkeit, in den Gemeinschaftsräumen an den Abenden miteinander zu reden oder Gesellschaftsspiele zu spielen.

      Treffen

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