Gesang der Lerchen. Otto Sindram

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Gesang der Lerchen - Otto Sindram

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style="font-size:15px;">      »Wenn du mir versprichst, dass du ganz vernünftig bist und deine Hände ...«

      Weiter kam sie nicht, da war Philipp schon in ihrem Bett, und einige Minuten lang hielt er wirklich seine Hände bei sich.

      Nach und nach verlief das Leben für Christian und Philipp in ruhigeren Bahnen und verlor den Reiz des Neuen. Mit den beiden Frauen kamen sie überein, dass der Gerechtigkeit und der Ordnung wegen der Zimmer- und Bettentausch alle Beteiligten gleichermaßen treffen sollte. So ging an den späten Abenden mal Christian in die zweite Etage und Isa kam ihm auf dem Wege in den Keller entgegen, oder Philipp ging hoch und kreuzte den Weg mit Lena.

      Natürlich waren sie nicht die Einzigen, die spät im Hause noch unterwegs waren, aber alles lief ohne viel Aufsehen und friedlich ab. Man grüßte sich, wünschte Gute Nacht und genoss die Freiheit einer sich entwickelnden neuen Auffassung von Liebe unter den Menschen, jenseits verstaubter bürgerlicher Moralvorstellungen.

      In den Gesprächskreisen an den Abenden war man sich schnell einig, dass schon Marx die bürgerliche Liebe verurteilt hatte. Ein großer, schlanker Student mit langen, dünnen Armen und einer Nickelbrille auf der spitzen Nase, »die Stange« genannt, war als höheres Semester im Marxismus besonders bewandert. Er gab Marx-Zitate zum Besten, in denen die bürgerliche Liebe als Ware bezeichnet wurde, wie alle menschlichen Beziehungen im Kapitalismus durch die Hure Geld vermittelt. Würde die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen aber abgeschafft, so folgte den neuen, sozialistischen Produktionsverhältnissen ein neues Bewusstsein und damit eine neue, sozialistische Liebe.

      Keiner sah einen Grund, dieser fundamentalen These zu widersprechen, jeder und jede Liebende fühlte sich bestätigt. Denn, so zitierte »die Stange« Marx, die gesellschaftlichen Verhältnisse müsse man nicht nur erklären, sondern auch verändern. Und so wechselte man spätabends die Etagen, mit der langsam keimenden Erkenntnis, eigentlich recht klassenbewusst zu handeln. Die Studenten konnten sich nicht vorstellen, dass nach gut einem Jahr, als die DDR schon auf dem Wege zu einem Staat mit einer kleinbürgerlichen Spießermoral war, ausgerechnet ihr klassenbewusstes Verhalten ein Hauptgrund zur Schließung des Heimes sein würde.

      In einer Unterrichtspause überbrachte Sophie Philipp die Grüße ihrer Mutter und eine Einladung. Die Mutti komme nach Berlin, müsse zum Ministerium und für sich eine Wohnung einrichten, dabei wolle sie Philipp kennen lernen.

      »Eine Wohnung einrichten, zieht deine Mutter nach Berlin?«

      »Ja, sie wird im neuen Jahr Staatssekretärin und stellvertretende Ministerin für Arbeit und Gesundheitswesen.«

      »Dann zieht ihr doch sicher zusammen?«

      »Nein, auf keinen Fall. Ich möchte nicht wieder mit Mutti zusammen wohnen. Sie bekommt eine Wohnung in Pankow, dort leben alle Regierungsleute.«

      Philipp überlegte, wie er aus dieser Situation herauskommen konnte. Er wollte keine Verpflichtung eingehen, wollte Sophie aber auch nicht beleidigen, und er war neugierig auf ihre Mutter. Aus den Erzählungen von Sophie wusste er, dass Edda Dahlhaus aus einer gutbürgerlichen Industriellenfamilie stammte, eine behütete und sorgenfreie Kindheit und Jugend genossen und ihre Liebe zu den Arbeitern erst in der Sowjetunion entdeckt hatte. »Wenn du mal heiratest, möchte ich, dass es ein Mann aus der Arbeiterklasse sein wird«, soll sie ihrer Tochter geraten haben.

      Philipp entschloss sich zu einem Besuch bei Sophies Mutter. Der werde ich einen Vertreter der Arbeiterklasse bieten, der sich gewaschen hat oder eben nicht gewaschen hat, sagte er sich. Als er in Weißensee eintraf, war Edda Dahlhaus noch nicht da. Philipp brachte Sophie Tee mit, den sie gemeinsam bereiteten. Sie fragte nach dem Unglück seines Vaters und ließ sich von seiner Familie berichten.

      »Wo leben deine Verwandten?«, fragte Philipp anschließend.

      »Mein Bruder ist mit dem Studium fertig, besucht in Moskau noch eine Parteischule und wird dann nach Deutschland zurückkehren. Der Vater von Mutti lebt in einem Altenheim in Westberlin; seine Frau ist im Krieg gestorben.«

      »Der Vater meiner Mutter heißt bei mir Opa, seine Frau heißt Oma«, sagte Philipp.

      »Ja, bei dir! Ich kenne doch niemanden aus der Familie. Als wir in die Sowjetunion fliehen mussten, war ich sechs Jahre alt. An die Zeit davor habe ich kaum noch Erinnerungen. Muttis Schwester soll in Westdeutschland wohnen; aber Mutti verkehrt mit keinem aus dem Westen.«

      »Wo bist du denn geboren?«

      »In Westberlin, in Dahlem, mein Bruder auch. Aber das Haus ist ausgebombt und die Ruinen sind abgerissen worden. Der Vater von Mutti, mein Opa, hat das Grundstück verkauft. Mutti hat auf alle Erbansprüche aus dem Westen verzichtet.«

      »Und dein Vater, der hatte doch sicher auch Familie?«

      »Er hatte keine Geschwister. Irgendwelche Verwandten soll es in Thüringen noch geben.«

      Sie hörten ein Auto vor dem Haus halten.

      »Das wird die Mutti sein«, sagte Sophie und stürzte hinaus.

      Durch das Zimmerfenster sah Philipp einen Mann aus einer sowjetischen Limousine steigen und die Tür zu den Hintersitzen aufhalten. Eine Frau stieg aus und sprach mit dem Fahrer, der lüftete seine Mütze und fuhr mit dem Auto davon.

      Wie klein sie ist, dachte Philipp. Sophie erschien auf der Straße, umarmte ihre Mutter, und beide gingen ins Haus. Philipp hörte sie im Flur mit den Wirtsleuten reden.

      »Das ist Philipp«, sagte Sophie, als sie ins Zimmer traten.

      »Guten Tag, Genosse Philipp«, grüßte die kleine Frau freundlich und reichte Philipp die Hand.

      Philipp war überrascht, diese Anrede hatte er nicht erwartet.

      »Tag, guten Tag, Genossin«, stammelte er.

      Frau Dahlhaus fand das anscheinend ganz natürlich, schaute auf ihre Armbanduhr und wandte sich an ihre Tochter.

      »Eine Stunde habe ich dem Fahrer frei gegeben, das muss wohl reichen, Kind, oder?« Sophie nickte. »Ich lebe jetzt wie ein Bourgeois, mit Auto und Fahrer, aber so ist es eben effektiver.« Sie setzten sich, Sophie schenkte Tee ein. »Aber ihr lebt ja auch nicht schlecht. Russischer Tee?«

      »Nein, kapitalistischer Tee, den hat mir meine Mutter mitgegeben«, erklärte Philipp.

      »Dem Tee wird es schon nicht geschadet haben, aus dem Westen zu sein, und wenn er ein Geschenk von deiner Mutter ist, dann ist er bestimmt gut.«

      Sie tranken den Tee. Philipp fühlte sich unwohl in Nähe dieser Frau.

      »Sophie hat mir von dem Unglück mit deinem Vater geschrieben, schlimm, schlimm, das tut mir aufrichtig leid. Aber so ist das eben, wenn Grubenbesitzer die Menschen rücksichtslos ausbeuten.«

      Diese Frau redet von Ausbeutung in den Gruben, dachte Philipp, und ein Satz von seinem Vater bei einem ihrer letzten Gespräche in den Sommerferien fiel ihm ein: »Rede nicht von der Arbeit, wenn du noch nie richtig gearbeitet hast.«

      Er bekam seine Sicherheit zurück.

      »Gibt es in den Kohlegruben der Sowjetunion keine tödlichen Unfälle?«

      »Sicherlich, aber dort gehören die Gruben den Arbeitern, und die beuten sich selber

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