Gesang der Lerchen. Otto Sindram

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Gesang der Lerchen - Otto Sindram

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ist es den Kumpeln sicher egal, ob sie von kapitalistischen oder von volkseigenen Steinen erschlagen werden.«

      »Als Genosse vertrittst du eine interessante These. Vergiss aber nicht die Einstellung zur Arbeit. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man für Fremde arbeiten muss oder ob man weiß: Das, was ich schaffe, gehört mir. Nur dann ist man doch mit Liebe bei der Arbeit.«

      »Liebe ist ein falsches Wort. Liebe zu einer Sache, welche die Menschen kaputt macht, kann nur jemand propagieren, der nichts von der Sache kennt.«

      »Oho! Du sprichst immerhin mit der künftigen Staatssekretärin für Arbeit.«

      Sophie schaltete sich ein.

      »Philipp hat schon als Laborant gearbeitet; in der Klasse ist er der Beste in Naturwissenschaften, besonders in Chemie.«

      »Das ist schön«, sagte Edda. »Wir brauchen fähige Kader für den Aufbau des Sozialismus, auch kritische Kader. Hast du dir schon überlegt, ob du nach dem Studium in der DDR bleiben willst oder in den Westen zurückgehst?«

      »Das weiß ich noch nicht; ich fange ja eben erst an.«

      »Wir schaffen aus der Arbeiterklasse auch eine Intelligenz für den Westen, das ist Teil unserer Revolution«, sagte Edda, fasste ihre Teetasse mit spitzen Fingern, führte sie zum Mund und trank daraus, indem sie beim Trinken den kleinen Finger ihrer Hand abspreizte.

      »Hoffentlich wissen die künftigen Revolutionäre dann auch, wozu sie ausgebildet worden sind«, bemerkte Philipp.

      »Da machen wir uns keine Sorgen. Wenn sie sich entscheiden müssen, wie sie zu handeln haben und wo sie hingehören, vertrauen wir auf den proletarischen Instinkt. Ich gebe dir ein Negativbeispiel: In meiner Zeit in der Sowjetunion ist ein guter Freund von mir verhaftet worden. Natürlich habe ich alle Briefe, die er mir geschrieben hat, bei den Staatssicherheitsorganen abgegeben. Nun hatte mir der Freund in einem Brief mitgeteilt, dass ein Arbeitskollege und Genosse sich kritisch über die Staatssicherheit geäußert habe und er das melden werde. Als wir uns später trafen und ich ihn gleich fragte, ob er auch den Genossen gemeldet habe, machte er Ausflüchte. Der Genosse leiste gute Arbeit und habe diese Äußerung sicher nur in einer momentanen Erregung und im Ärger über die schlechten Lebensbedingungen gemacht. Als die Staatssicherheit seinen Brief an mich las, machte man mir zum Vorwurf, dass ich den Vorfall nicht sofort gemeldet hätte. Ich wurde vorübergehend aus der Partei ausgeschlossen, kam dann aber mit einer strengen Rüge davon, weil ich genügend selbstkritisch war. Siehst du, Genosse Philipp, da hat mir die proletarische Biographie gefehlt, sonst wäre ich natürlich sofort zur Staatssicherheit gegangen, als ich die Ausflüchte des Freundes vernahm. Aber meine bürgerlichen Eierschalen haben mich damals daran gehindert.«

      Vorsicht!, dachte Philipp, diese freundliche, wohlerzogene Frau aus gutbürgerlichem Hause bringt dich, ohne zu zögern, ins Gefängnis oder sogar an den Galgen. Er sah plötzlich, dass sie, die für eine imaginäre Arbeiterklasse schwärmte wie andere ihrer Herkunft für kostbares Porzellan, über Leichen gehen würde.

      »Ja, ich glaube, das hätte ich sofort gemeldet, Genossin«, sagte er.

      Sophie schaute ihn erstaunt an. Edda nickte zufrieden.

      Wieder näherte sich das Jahr dem Ende und eine Stalinfeier stand ins Haus. In diesem Jahr, am 21. Dezember 1949, dem 70. Geburtstag Stalins, plante die ABF eine besondere Feier mit Rezitationen und Stalinhymnen. Einige in der Klasse wollten auch, wie schon im letzten Jahr, eine Weihnachtsfeier veranstalten, aber Werner, der neue Klassensprecher, protestierte und setzte sich nach einer längeren Diskussion durch.

      Philipp bekam eine Einladung von Isa, mit ihr in den Wintersport nach Thüringen zu fahren. Weil sie beide nicht auf einen Interzonenpass hoffen konnten, hatte Isa sich an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund FDGB gewandt mit der Bitte um Ferienplätze über Weihnachten. Als Christian davon hörte, wollte er mitfahren. Isa war dagegen, bis es Christian gelang, Lena zu überreden auch mitzufahren.

      Das FDGB-Angebot galt ab dem 21. Dezember, dem ersten Tag der Weihnachtsferien. Christian und Philipp äußerten Bedenken wegen der Stalinfeier, aber dann meinte Christian, vielleicht fiele es gar nicht auf, wenn sie fehlten. Als der Zug durch die verschneiten Wälder Thüringens fuhr, vergaßen sie die ABF, die Stalinfeier, die Musikhochschule, die Trümmer Berlins und freuten sich auf die Zeit miteinander in der weißen Landschaft am Rennsteig.

      Das Ferienheim war außen ganz mit Schieferplatten verkleidet und hatte nur wenige Gäste. Der Wirt gab ihnen ein Doppelzimmer für die Männer und eines für die Frauen.

      »Wenn die beiden Damen sich aber nicht vertragen, können wir die Zimmerverteilung ja auch anders regeln«, sagte er und zwinkerte ihnen plumpvertraut zu, so dass Isa und Lena beinahe wirklich zusammengezogen wären.

      »Und noch eins«, sagte der Wirt, »wenn Sie mal wiederkommen möchten, machen Sie das nicht über den Feriendienst der Gewerkschaft, kommen Sie privat, das ist preiswerter für Sie.«

      Im Dorf gab es eine Sägerei mit einer Schreinerwerkstatt; dort konnten sie für wenig Geld Skibretter ausleihen. Christian, der als Kind in den Karpaten schon auf Skibrettern gestanden und dort auch einen Kurs absolviert hatte, gab den anderen den ersten Unterricht.

      Als alle die Grundregeln für einen Langlauf kannten, zogen sie los, genossen die Wintersonne, die Stille in den Wäldern und die klare Luft. Weit und breit gab es nur diese vier jungen Menschen und ihr Lachen. Wenn es ihnen gar zu still vorkam, dann trillerten die Frauen einige Koloraturen, wofür sie von den Männern mit einem Schneeballregen belohnt wurden. Trieben diese es mit der Belohnung gar zu toll, mussten sie anschließend ihre Partnerin in die Arme nehmen, um Entschuldigung bitten und sie viele Male küssen.

      Als es ihnen mit der Zeit aber doch zu kalt wurde, gingen sie in das einzige Lokal im Dorf, tranken heißen Tee und unterhielten sich mit den anderen Gästen. Es waren meist Holzfäller; sie hatten rote Gesichter von der Kälte und grobe, schwielige Hände. Ein alter Holzfäller mit einem Bart wie der Weihnachtsmann setzte sich zu ihnen an den Tisch und erzählte von seiner Arbeit.

      »Die Winter sind schlimm, da gibt’s leicht Rheuma. Das Sägen geht noch, immer zwei Mann müssen im Takt die Säge hin und her ziehen. Man arbeitet aber den ganzen Tag gebückt, das geht ins Kreuz. Wenn du dann den Keil setzt, musst du genau arbeiten und aufpassen, damit der Baum richtig fallen kann und nicht die anderen Bäume kaputt macht. Und wenn er fällt, musst du weglaufen wie ein aufgescheuchter Hase, denn du weißt nie genau, ob er sich nicht beim Fallen dreht und dich erwischt. So ein Baum, der will sich rächen und schlägt zurück.«

      »Was verdient man als Holzfäller?«, wollte Christian wissen.

      »Wenn du gut arbeitest, dann hast du deine hundertfünfzig im Monat.«

      Die vier schauten sich an; ihre Stipendien waren höher.

      »Haben Sie Familie?«, fragte Philipp.

      »Na sicher, ich hatte neun Kinder, eins ist gestorben. Mein rechter Nachbar hat acht, mein linker hat auch acht, da wollte ich sie überholen. Jetzt haben wir alle drei acht.«

      »Ihre sind aber nicht mehr alle im Haus?«, fragte Philipp weiter.

      »Nein, einer, der Älteste, hat geheiratet und wohnt bei seinen Schwiegereltern. Aber sieben sind noch bei mir; die älteste Tochter arbeitet im Sägewerk.«

      »Wie

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