Gesang der Lerchen. Otto Sindram

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Gesang der Lerchen - Otto Sindram

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Treffen dauerten dann auch schon mal bis zum nächsten Morgen. Weil es aber sowohl für die weiblichen als auch für die männlichen Studenten als kleinste Wohneinheiten eben nur Zweierzimmer gab, erforderten solche Treffen organisatorische Vorbereitungen und manchmal auch die Anwendung von Überredungskünsten bei den Zimmerpartnern.

      Christian kannte sich schon aus bei den Studentinnen der Musikhochschule. Lena, eine sächsische Studentin, blond und von kräftiger Statur, mit einem großen Brustumfang und einem ebensolchen Stimmvolumen die künftige Wagnersängerin, zeigte sich seinem Werben geneigt. Sie hatte − so fand Christian − nur einen unüberwindbaren Nachteil: Sie sächselte stark.

      »Aber ich will ja keine Diskussionsabende mit ihr veranstalten«, sagte er.

      Ein weiterer, aber überwindbarer Nachteil war, dass sie mit einer anderen Gesangsstudentin zusammen wohnte, die weniger mit körperlichen Reizen, dafür mehr mit konservativen Moralvorstellungen auf sich aufmerksam machte.

      Isa, die eigentlich Isabella hieß, war nicht sehr groß, brünett und von der Natur mit einem lieblichen Gesicht ausgestattet. Sie kam aus Schwaben, hatte dort einen festen Freund zurückgelassen und wollte sich diesem Jüngling und künftigen Ehemann in Keuschheit erhalten. Sie duldete zwar, dass Christian und Philipp als Gäste sie und Lena auf ihrem gemeinsamen Zimmer besuchten; wenn es aber um die Organisierung der Schlafmöglichkeiten ging, dann war am Ende Philipp immer der Dumme.

      Christian und Lena zogen sich in das Zimmer der Männer im Keller zurück, Isa lag allein in ihrem Bett in der zweiten Etage, und Philipp saß mit einem Buch oder mit den Schularbeiten oft bis weit nach Mitternacht im Gemeinschaftsraum, bis Christian endlich kam und verkündete, dass das Bett auf ihn warte. Der Erfolg war, dass Christian am nächsten Morgen, beflügelt von der Liebe, aufmerksam dem Unterricht folgte, während Philipp gegen den Schlaf ankämpfen musste. Ihm kam schon der Verdacht, dass Christians Einsatz für ihn als Mitbewohner eines Zweierzimmers nicht so ganz aus reiner Männerfreundschaft geschehen war. Er beklagte sich bei ihm.

      »Weißt du«, entgegnete Christian, »ich habe schon mit Lena gesprochen. Aber sie kann einfach nicht, wenn du daneben in deinem Bett liegst und schläfst. So sind eben die Weiber!«

      Endlich gelang es Lena, Isa davon zu überzeugen, dass es doch eigentlich gleich sei, in welchem Bett sie die Nacht verbringe, wenn man ihr nur einen ungestörten Schlaf garantiere. Isa stellte nur eine Bedingung: Wenn sie schon in Christians Bett schlafen musste, dann nur mit ihrem eigenen Kopfkissen. Eines Abends war es dann soweit. Christian nahm sein Kopfkissen, wünschte eine Gute Nacht und verschwand. Nach kurzer Zeit ging die Zimmertür einen Spalt auf und Isas Kopf erschien.

      »Dreh dich mit dem Gesicht zur Wand!«, befahl sie Philipp. Sie huschte mit dem Kissen unter dem Arm ins Zimmer, entkleidete sich, legte sich in Christians Bett und löschte das Licht. Eine ganze Weile hörte Philipp nur ihre kräftigen Atemzüge, dann sagte sie: »Das mache ich nur Lena zuliebe.«

      »Natürlich«, antwortete Philipp. »Ich bin dir aber auch sehr dankbar dafür, denn ich brauche meinen Schlaf.«

      »Der Christian ist rücksichtslos, und du bist viel zu gutmütig, dass du dich darauf einlässt.«

      »Du und ich, wir sind sicher beide gutmütig, aber was bleibt uns übrig? Sie lieben sich ja wohl.«

      »Lieben?! Glaubst du im Ernst, dass das Liebe ist? Nein, das hat bestimmt mit Liebe nichts zu tun, animalisch ist das!«

      Sie war mit ihrem Oberkörper hochgeschnellt, schaltete das Licht auf ihrem Nachttisch ein, sah zu Philipp hinüber, und ihre Augen blitzten vor Empörung.

      Philipp drehte sich um, und weil Isa nicht protestierte, blieb er so und schaute sie an.

      »Wir sollten nicht so hart urteilen; sie sind eben jung.«

      Isas Stimme wurde leiser.

      »Wir sind auch jung, aber wir wissen, was sich gehört.«

      »Ja, das ist wahr, wir wissen, was sich gehört«, antwortete Philipp, und im Tonfall seiner Stimme war ein leichtes Bedauern zu hören. Er sah Isas liebliches Gesicht, die entblößten Arme, ihren nackten Hals und unter dem Nachthemd die Konturen ihrer kleinen Brüste. Nur das Gespräch jetzt nicht beenden, dachte er und fragte sie nach ihrer Familie und wie sie nach Berlin gekommen sei.

      Sie löschte das Licht wieder, legte sich zurück und erzählte von ihrer Heimat, einem Vorort von Stuttgart, von ihren Eltern und von ihrer älteren Schwester. Ihr Vater sei selbstständiger Tischlermeister, habe eine Werkstatt mit drei Gesellen und fertige Möbel nach Maß. Ihre Mutter führe den Haushalt und ihre Schwester die Bücher der Tischlerei. Philipp sah vor seinen Augen eine kleinbürgerliche Idylle .

      »Wie kommst du dann aber ausgerechnet nach Ostberlin?«

      Schon in der Schule habe sie gerne gesungen und den Rat der Lehrer bekommen, doch unbedingt ihre Stimme ausbilden zu lassen. Aber die Tischlerei warf das Geld für den Besuch eines Konservatoriums nicht ab.

      »Da hörte mein Vater von einem Genossen, dass es hier ein Stipendium gäbe; so habe ich mich beworben.«

      Philipp war erstaunt.

      »Wie, Genossen? Ist dein Vater etwa Kommunist?«

      »Ja, sicher, er ist in der KPD.«

      »Na, so sicher finde ich das ja nun nicht. Ein Handwerksmeister mit einem eigenen Betrieb und mit Angestellten; sind seine Gesellen etwa auch Kommunisten?«

      »Nein, natürlich nicht.«

      »Was du so sicher und natürlich findest, das wirft alle Theorien von dem klassenbewussten Arbeiter und dem reaktionären Unternehmer über den Haufen.«

      »Ist dein Vater denn kein Kommunist?«, fragte Isa.

      »Mein Vater ist gerade gestorben, aber er war alles, nur kein Kommunist.«

      Philipp erzählte von seinem Leben im Ruhrgebiet, von den Bergarbeitern und von dem tödlichen Unfall seines Vaters.

      »Das tut mir sehr leid«, sagte Isa. »Da hatte er doch allen Grund, ein Kommunist zu sein.«

      »Grund vielleicht, aber er war es nicht. Ich erinnere mich, als ich noch ein Kind war, kamen SA-Leute zu uns und holten eine Uniform von meinem Vater ab. Er war im Stahlhelm-Bund, und als der 1935 aufgelöst wurde, musste mein Vater die Uniform abgeben.«

      »Was war denn das, ein Stahlhelm-Bund?«, fragte Isa.

      »Ein Verein von alten Kämpfern aus dem Ersten Weltkrieg.«

      »War dein Vater zu der Zeit denn schon so alt und Soldat?«

      »Ach wo, aber später konnten auch andere dort eintreten. Man musste nur für Soldatentum und Säbelrasseln sein. Da war ein junger Bergmann wohl genau richtig in dem Verein.«

      Sie schwiegen. Im Hause war es still geworden. Philipp hörte nur das Atmen seiner Bettnachbarin. Er wälzte sich unruhig herum. Nach einiger Zeit meldete Isa sich.

      »Kannst du auch nicht schlafen?«

      »Nein.«

      »Ich auch nicht, ich muss immer an das denken, was du mir von deinem Vater erzählt hast. Der war doch

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