Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug
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Danksagung
Am Ende bleibt mir die angenehme Pflicht, all denen Dank zu sagen, die aus den unterschiedlichen Wissensgebieten, die unser Thema berührt, mit fachkundigem Rat geholfen haben. Wolfgang Küttlers geschichtstheoretische Bemerkungen waren wichtig für die Reflexion des Problems der Gegenwartsgeschichte und der formationstheoretischen Aspekte. Bei der Bearbeitung der ökonomischen Passagen waren die kritischen Kommentare und Anregungen von Karl Georg Zinn und Mario Candeias eine herausfordernde Hilfe. Fachmännische Ratschläge zur Behandlung der finanztechnischen Aspekte kamen von Stefan Böhmerle von der Berenberg Bank und Alexander Henke von der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen. Jan Rehmann und Ingar Solty gaben mit ihren ortskundigen Einwänden und Vorschlägen wichtige Hinweise zur Überarbeitung der USA-Kapitel, deren erste zwei schon in einer früheren Fassung den Gesprächen mit Andreas Novy viel verdanken. Beim Chimerika-Kapitel haben mich Ivo Hammer und, mit sinologischer Kompetenz, Wolfram Adolphi unterstützt. Viel zu danken habe ich Jan Loheit, der das gesamte Buch lektoriert, das Namensregister erstellt und – wie auch Juha Koivisto – mich mit Literatur versorgt hat. Frigga Haug hat die Entstehung des Buches von Anfang an mit begeistert-herausforderndem Echo unterstützt und mir in der Schlussphase zudem den Rücken freigehalten. Martin Grundmann hat mit bewährter Sorgfalt Umschlag und Typographie gestaltet. Ihnen allen gilt mein Dank.
Los Quemados, im Februar 2012 Wolfgang Fritz Haug
Erstes Kapitel
Erscheinungsformen der Krise
Der 15. September 2008, der Tag, an dem die Lehman-Bank zusammen brach, wird den Lauf der Geschichte mehr verändern als der 11. September 2001, als die Türme des World Trade Centers zusammenbrachen.
Eric Hobsbawm (2009)
Oder wie kommt es, dass der Handel, der doch weiter nichts ist als der Austausch der Produkte verschiedener Individuen und Länder, durch das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr die ganze Welt beherrscht – ein Verhältnis, das, wie ein englischer Ökonom sagt, gleich dem antiken Schicksal über der Erde schwebt und mit unsichtbarer Hand Glück und Unglück an die Menschen verteilt, Reiche stiftet und Reiche zertrümmert, Völker entstehen und verschwinden macht …
Karl Marx und Friedrich Engels (1845)
1. Chronik eines angekündigten Zusammenbruchs
Als schliefe das Ungeheuer noch und könnte durch ein weniger verstörendes Wort im Schlaf gehalten werden, zog noch im vierten Krisenjahr »die Mehrheit der Politiker und Journalisten es vor, von ›Rezession‹ zu sprechen« (Jackson 2011).10 Doch es scheint eher ihr eigener Schlaf gewesen zu sein, den sie mit dieser Illusion zu schützen versuchte.
10 Immanuel Wallerstein dagegen sagte 2009 voraus: »The depression into which the world has fallen will continue now for quite a while and go quite deep. It will destroy the last small pillar of relative economic stability, the role of the U.S. dollar as a reserve currency of safeguarding wealth.« (Wallerstein 2009, 13) Dann werde es den Regierungen überall auf der Welt darum gehen, »to avert the uprising of the unemployed workers and the middle strata whose savings and pensions disappear.« (13f) Auch Joachim Hirsch erkannte in der Krise »auf jeden Fall die Dimensionen ihrer Vorgängerin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts« und prognostizierte, sie werde »dazu führen, dass der Kapitalismus eine ganz neue Gestalt annimmt« (2009b).
Die Ereignisse folgten der Chronik eines immer wieder angekündigten Zusammenbruchs, der dennoch überraschend kam. Unerwartet waren zumal der Hauptschauplatz und das Ausmaß. Eine 1999 im Argument erschienene Soros-Besprechung beginnt mit den Worten: »Seit dem Ausbruch der asiatischen Finanzkrise 1997 befragen wir uns […] über die Natur des Hurrikans, der die Transitions- und Schwellenländer von Südostasien über die Ex-UdSSR bis Lateinamerika heimsuchte. Handelt es sich um eine globale Finanzkrise oder vielmehr um Einzelphänomene […]? Bleiben wir, das ›Zentrum‹, von der Krise der ›Peripherie‹ unberührt?« (Nies 1999, 624) Schon ein halbes Jahr später erhielt die Frage eine erste Antwort. Im März 2000 wurde das neue Jahrhundert mit dem Platzen der »Dot.com-Blase« eingeleitet. So hieß die Spekulationswelle, die sich im ›Zentrum‹ des Weltkapitalismus am explosiven Wachstum des Internet in den 1990er Jahren und an den darauf bezogenen Firmengründungen und Phantasien einer ganz neuartigen, ununterbrochene Konjunktur versprechenden Wirtschaftsweise, der »New Economy«, entzündet hatte. »Mobiltelephonie, Computersoftware oder Medienbusiness« zogen die Anleger an; vor allem das Internet als die tendenziell global sich vernetzende informationelle Infrastruktur erschloss neue Geschäftsfelder, und wie es schien, »lauerten in diesem noch unaufgeteilten Markt selbst für Newcomer große Expansions- und Gewinnchancen« (Wagenknecht 2008, 72). Doch dann zirkulierten »Todeslisten« für Internetfirmen, und an den Börsen regierte die Kapitalvernichtung. Dieser Krisenauftakt und seine Bewandtnisse sind im Ersten Buch unserer Untersuchung (HTK I, 92ff) ebenso analysiert wie die sich überschlagenden Illusionen vermeintlicher Krisenfestigkeit der »Neuen Ökonomie«.
Frei nach Hyman Minskys Theorie der Finanzblasen glaubten die Finanz- und Wirtschaftspolitiker der Vereinigten Staaten, auf die nächste Spekulationswelle umsteigen und darauf weitersurfen zu können. Nach dem Platzen der Internetaktienhausse und den Terrorakten vom 11. September senkte die US-Notenbank, die Federal Reserve (Fed), ihren Leitzins auf 1 Prozent, um die Konjunktur über die Konsumnachfrage am Laufen zu halten. Nachdem nun auch der Leitzins für langfristige Hypotheken sank, kündigten Millionen Hausbesitzer ihre Hypothek, was in den USA ohne Strafzins möglich ist, und refinanzierten sie zum günstigeren Zins. Die Haushalte hatten folglich mehr Geld für ihren Konsum zur Verfügung. Viele erhöhten zudem die Hypothek auf ihr Haus und kauften mit dem zusätzlichen Geld »japanische Autos, Küchen aus Deutschland oder einen Anbau ans Eigenheim« (Fehr 2008).
Hinzu kam der Effekt der Carry Trades. In Japan, wo »die kurzfristigen Zinsen von der Zentralbank – wegen Deflationsgefahr – extrem niedrig gehalten« wurden, wurden Kredite zu einem Zins »nahe am offiziellen Notenbankzins von 0,25 Prozent« aufgenommen und u.a. gegen US-Dollar getauscht, was deren Kurs hochtrieb (Flassbeck 2007). Dieser Transfer trug in den USA zur Verbilligung der Kredite und damit zur Vermögenspreisinflation bei.11 Mit dem geliehenen Geld kauften Investoren »rund um den Globus Aktien, Unternehmens- und Schwellenländeranleihen, Rohstoffe, ganze Unternehmen« und trieben dadurch »die Preise der Vermögenswerte nach oben«12. Die Immobilienpreise stiegen scheinbar unaufhaltsam, und das zweistellig. Mit ihnen wuchs der Kredit der Hausbesitzer. Das System nährte sich selbst. Jede Wertsteigerung wurde zum Hebel für die nächste. Es war, als hätte man endlich das Perpetuum mobile des Kapitalismus erfunden. Die Hauspreise dienten als Basis aller möglichen neuen Konsumentenkredite.13 In der Konkurrenz ums Geldanlegen nahmen die Banken