Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug

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Hightech-Kapitalismus in der großen Krise - Wolfgang Fritz Haug

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empfohlen, keine konkreten Forderungen zu erheben, weil »jede im Hier und Jetzt geführte Debatte notwendigerweise immer eine Debatte auf feindlichem Gebiet bleiben« müsse (2011). Doch die Auswanderung aus dem Hier und Jetzt ins Nie und Nimmer ist nicht die Lösung. Es ist wahr, wir brauchen einen utopischen Atem, um uns nicht im Hier und Jetzt zu erschöpfen. Doch den Ort der Gefahr, die es zu wenden gilt, können wir nicht fliehen. Bewegt sich unsere Untersuchung auf »feindlichem Gebiet«? Man wird sehen, dass diese Ortsbeschreibung zu simpel wäre. Gewiss, wir verlassen die Gefahrenzone nirgends. Doch sie ist nicht unumstritten in der Hand jenes »Feindes«, von dem Benjamin sagt, dass er »zu siegen nicht aufgehört hat« (I/2, 695). In der Zeit, von der wir handeln, hat dieser Feind die Gestalt der Auslieferung des menschlichen Gemeinwesens und seines Lebensraumes an die ›Märkte‹ angenommen.

      Am Ende bleibt mir die angenehme Pflicht, all denen Dank zu sagen, die aus den unterschiedlichen Wissensgebieten, die unser Thema berührt, mit fachkundigem Rat geholfen haben. Wolfgang Küttlers geschichtstheoretische Bemerkungen waren wichtig für die Reflexion des Problems der Gegenwartsgeschichte und der forma­tionstheoretischen Aspekte. Bei der Bearbeitung der ökonomischen Passagen waren die kritischen Kommentare und Anregungen von Karl Georg Zinn und Mario Candeias eine herausfordernde Hilfe. Fachmännische Ratschläge zur Behandlung der finanztechnischen Aspekte kamen von Stefan Böhmerle von der Berenberg Bank und Alexander Henke von der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen. Jan Rehmann und Ingar Solty gaben mit ihren ortskundigen Einwänden und Vorschlägen wichtige Hinweise zur Überarbeitung der USA-Kapitel, deren erste zwei schon in einer früheren Fassung den Gesprächen mit Andreas Novy viel verdanken. Beim Chimerika-Kapitel haben mich Ivo Hammer und, mit sinologischer Kompetenz, Wolfram Adolphi unterstützt. Viel zu danken habe ich Jan Loheit, der das gesamte Buch lektoriert, das Namensregister erstellt und – wie auch Juha Koivisto – mich mit Literatur versorgt hat. Frigga Haug hat die Entstehung des Buches von Anfang an mit begeistert-herausforderndem Echo unterstützt und mir in der Schlussphase zudem den Rücken freigehalten. Martin Grundmann hat mit bewährter Sorgfalt Umschlag und Typographie gestaltet. Ihnen allen gilt mein Dank.

      Los Quemados, im Februar 2012 Wolfgang Fritz Haug

Teil I

      Erscheinungsformen der Krise

      Der 15. September 2008, der Tag, an dem die Lehman-Bank zusammen brach, wird den Lauf der Geschichte mehr verändern als der 11. September 2001, als die Türme des World Trade Centers zusammenbrachen.

       Eric Hobsbawm (2009)

      Oder wie kommt es, dass der Handel, der doch weiter nichts ist als der Austausch der Produkte verschiedener Individuen und Länder, durch das Verhältnis von Nachfrage und Zufuhr die ganze Welt beherrscht – ein Verhältnis, das, wie ein englischer Ökonom sagt, gleich dem antiken Schicksal über der Erde schwebt und mit unsichtbarer Hand Glück und Unglück an die Menschen verteilt, Reiche stiftet und Reiche zertrümmert, Völker entstehen und verschwinden macht …

       Karl Marx und Friedrich Engels (1845)

      Die Ereignisse folgten der Chronik eines immer wieder angekündigten Zusammenbruchs, der dennoch überraschend kam. Unerwartet waren zumal der Hauptschauplatz und das Ausmaß. Eine 1999 im Argument erschienene Soros-Besprechung beginnt mit den Worten: »Seit dem Ausbruch der asiatischen Finanzkrise 1997 befragen wir uns […] über die Natur des Hurrikans, der die Transitions- und Schwellenländer von Südostasien über die Ex-UdSSR bis Lateinamerika heimsuchte. Handelt es sich um eine globale Finanzkrise oder vielmehr um Einzelphänomene […]? Bleiben wir, das ›Zentrum‹, von der Krise der ›Peripherie‹ unberührt?« (Nies 1999, 624) Schon ein halbes Jahr später erhielt die Frage eine erste Antwort. Im März 2000 wurde das neue Jahrhundert mit dem Platzen der »Dot.com-Blase« eingeleitet. So hieß die Spekulationswelle, die sich im ›Zentrum‹ des Weltkapitalismus am explosiven Wachstum des Internet in den 1990er Jahren und an den darauf bezogenen Firmengründungen und Phantasien einer ganz neuartigen, ununterbrochene Konjunktur versprechenden Wirtschaftsweise, der »New Economy«, entzündet hatte. »Mobiltelephonie, Computersoftware oder Medienbusiness« zogen die Anleger an; vor allem das Internet als die tendenziell global sich vernetzende informationelle Infrastruktur erschloss neue Geschäftsfelder, und wie es schien, »lauerten in diesem noch unaufgeteilten Markt selbst für Newcomer große Expansions- und Gewinnchancen« (Wagenknecht 2008, 72). Doch dann zirkulierten »Todeslisten« für Internetfirmen, und an den Börsen regierte die Kapitalvernichtung. Dieser Krisenauftakt und seine Bewandtnisse sind im Ersten Buch unserer Untersuchung (HTK I, 92ff) ebenso analysiert wie die sich überschlagenden Illusio­nen vermeintlicher Krisenfestigkeit der »Neuen Ökonomie«.

      Frei nach Hyman Minskys Theorie der Finanzblasen glaubten die Finanz- und Wirtschaftspolitiker der Vereinigten Staaten, auf die nächste Spekulationswelle umsteigen und darauf weitersurfen zu können. Nach dem Platzen der Internetaktienhausse und den Terrorakten vom 11. September senkte die US-Notenbank, die Federal Reserve (Fed), ihren Leitzins auf 1 Prozent, um die Konjunktur über die Konsumnachfrage am Laufen zu halten. Nachdem nun auch der Leitzins für langfristige Hypotheken sank, kündigten Millionen Hausbesitzer ihre Hypothek, was in den USA ohne Strafzins möglich ist, und refinanzierten sie zum günstigeren Zins. Die Haushalte hatten folglich mehr Geld für ihren Konsum zur Verfügung. Viele erhöhten zudem die Hypothek auf ihr Haus und kauften mit dem zusätzlichen Geld »japanische Autos, Küchen aus Deutschland oder einen Anbau ans Eigenheim« (Fehr 2008).

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