Hightech-Kapitalismus in der großen Krise. Wolfgang Fritz Haug

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Hightech-Kapitalismus in der großen Krise - Wolfgang Fritz Haug

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die zum Leidensweg nicht nur der auf den Sozialstaat Angewiesenen, sondern der großen Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder werden sollte, lag die Parteilichkeit für die Aktiva zugrunde, die als ungeheurer Überbau über der Wirtschaft lasteten – als Buchvermögen an fiktivem Kapital, das am Vorabend der Lehman-Pleite eine Gruppe ehemals führender Politiker aufs »Fünfzehnfache des Bruttoinlandprodukts aller Länder« geschätzt hatte (Delors/Santer 19.5.2008; vgl. Kap. 4). Solange dieser Alp aus kapitalisierten Zahlungsansprüchen auf der Ökonomie lastete, würde kein Ende der Krise in Sicht kommen (Rogoff 2011). Zurückhaltenden Schätzungen aus dem Anlage-Management der Deutschen Bank zufolge hatte im Jahrzehnt vor der Großen Krise allein der US-Finanzsektor »etwa 1,2 Billionen ›Exzess‹-Gewinne im Verhältnis zum nominellen Brutto-Inlandsprodukt gemacht«, die »ausgelöscht« (wiped out) gehörten, damit die Ökonomie wieder Boden fände (Reid 2008). Solange nichts von alledem politisch planmäßig herbeigeführt würde, bliebe der Schrumpfungsprozess katastrophischen Verlaufsformen überlassen.

      Theoretisches Intermezzo: Marxsche Krisenbegriffe

      Karl Marx had it right.

       Nouriel Roubini

      Der Weg von den Erscheinungsformen zu ihrer begrifflichen Analyse fängt nie von Null an. Zu allen Zeiten gilt Spinozas Feststellung, dass wir »bereits wahre Vorstellungen« haben. Dabei räumen wir ein, dass Wahrheit sich zwar nicht, wie die wahrheitslose Postmoderne es wollte, in bloßem Für-wahr-gehalten-werden erschöpft, aber doch ein Prozess ist.

      Was unsere Untersuchung angeht, sind wir vor allem Anfang im Besitz von theoretischen Begriffen und Thesen. Besonders die marxsche Kritik der politischen Ökonomie bietet sich an, uns beim Verständnis der Phänomene auf die Sprünge zu helfen. Aber wir werden nicht so tun, als hätten wir dank Marx immer schon alles gewusst. Unsere Untersuchung führt an die offenen Ränder der geschichtlichen Materie, und wir tun gut daran, uns auf dem Weg durch die Landschaft des Hightech-Kapitalismus in der Großen Krise nicht gänzlich der Naivität zu entschlagen, mit der Grimmelshausen einst seinen Simplizius sich durch die Landschaft des Dreißigjährigen Krieges bewegen ließ. Wir werden also auch nicht immer schon klüger sein als die Akteure und ihre Beobachter, denen wir auf unserem Weg begegnen. Wir werden im Zuge des gegenwartsgeschichtlichen Prozesses unsere Begriffsinstrumente an den Phänomenen messen und prüfen, ob und wie diese sich mit jenen gedanklich aufschließen lassen. Mit einem Bilde gesprochen, das Sigmund Freud liebte, werden wir so verfahren, wie man beim Bau eines Tunnels verfährt, nämlich von beiden Seiten zu bohren. Nachdem wir auf der Erscheinungsseite begonnen haben, wenden wir uns zunächst in entgegengesetzter Einseitigkeit dem theoretischen Vorwissen zu, bevor wir in den folgenden Kapiteln einzelne Wirklichkeitsbereiche im Lichte unserer Leitfragen durchforschen.

      Über Marx als Kritiker des Kapitalismus sprechen heißt über seine Kritik der politischen Ökonomie sprechen. Was bedeutet hierbei Kritik? Sie meint vor allem anderen Analyse und Theorie, nicht Anschwärzung. Darin ist Kants Kritikbegriff aufgehoben. In der Kritik der reinen Vernunft ging es um die Untersuchung der Bedingungen und Grenzen der Möglichkeit apriorischer

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