Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Der mondhelle Pfad - Petra Wagner

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ist …“, sie schniefte und wischte sich die Augen, „ … nur noch ein bisschen Wasser da, hohe Dru …!“

      Viviane fauchte: „Bei allen Göttern! Dann schaff es bei, Weib! Du hattest Zeit genug!“ Die Frau stand stocksteif. Erschaudernd griff sie nach zwei Holzeimern und schlurfte benommen zur Tür hinaus. Hanibu überlegte nicht lange und rannte ihr nach. Viviane redete unterdessen beruhigend auf Tinne ein, wusch sich die Hände, träufelte Essig darauf und untersuchte Tinne. Mit dem bisschen Wasser, das übrig war, bekam sie gerade noch das Blut von den Händen und strich dem kleinen Jungen sanft über den blonden Schopf. Er hörte sofort auf zu weinen und lächelte zaghaft.

      Viviane setzte sich neben ihn, hob ihn auf ihren Schoß und strich ihm wieder über das Haar, die Schläfen, die Stirn. Ihre andere Hand streichelte langsam über seinen Unterarm. Leise fing sie an zu reden.

      „Tinne, hör mir zu. Der Kopf ist schon durchgetreten, da kann ich nicht mehr schneiden. Aber eine normale Geburt ist zu schwer für ein so früh Geborenes. Es wird wohl nicht überleben.“

      Tinne presste sich die Hände auf den Bauch und keuchte: „Dieses Kind … ist das einzige, was mir … von German geblieben … ist.“

      „Du machst das genau richtig, Tinne“, lobte Viviane und massierte ihr den Rücken. Zärtlich strich sie ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sagte ganz ruhig: „Vielleicht ist uns Epona freundlich gesonnen und wir haben Glück. Du hast ja schon einmal geboren. Wenn es stark ist, dann könnte es gelingen. Knie dich auf die Bastmatte und halt dich an der Truhe fest, so rutscht es leichter. Komm, ich führe dich.“

      Tinne fasste nach Vivianes dargebotener Hand und sah ihr fest in die Augen.

      „Wenn die Götter dieses Kind am Leben lassen, opfere ich ihnen den Armreif, den mir German zu Beltaine geschenkt hat.“ Sie horchte in sich hinein, umfasste ihren Bauch und begann wieder zu atmen, tiefer, kraftvoller, verbissener.

      Viviane massierte ihren Rücken und wartete, bis sie sich vollends entspannt hatte, dann stand sie mit dem Jungen im Arm auf und zog Tinne vom Lager hoch.

      „Der silberne mit den eingefassten Korallenstücken?“, fragte sie ganz ruhig und nickte bedächtig. „Ja, das wäre wirklich eine angemessene Opfergabe.“

      Die Tür ging vorsichtig auf und die Frauen kamen mit den Wassereimern herein. Viviane drückte der Alten den kleinen Jungen in die Arme, schob sie wieder zur Tür hinaus und wirbelte zu Tinne herum, die sich an der Truhe festklammerte und mit schmerzverzerrtem Gesicht lautstark presste.

      „Hecheln, Tinne!“, rief Viviane in scharfem Ton und kniete sich neben sie. „Nicht pressen! Du darfst noch nicht nachgeben!“

      „Geht … nicht!“, keuchte Tinne und versuchte zu gehorchen, aber der Drang war stärker und sie schlug die Zähne aufeinander, krampfte sich zusammen.

      „Denk an dein Kind und hechle!“, befahl Viviane, drückte Tinne die Finger in den Rücken und flüsterte in ihr Ohr: „Lass es von alleine rutschen! Ganz sanft! Es soll leben! Drück erst, wenn ich es sage! Denk an German, wie er sich freut! Wie er wieder zu dir zurückkommt! Schau in seine Augen!“

      Hanibu beobachtete vom Ofen aus, wie sich Tinne zusehends entspannte und unter Vivianes Kommando zu hecheln begann und war sich sicher, im Rhythmus ihrer schnellen Atemzüge die Worte ‚seine Augen‘ zu verstehen. Tinne schrie es sogar laut heraus, als sie endlich pressen durfte, und Viviane jauchzte dazu: „Es hat auch die dunklen Haare von German geerbt! Gleich kannst du es selbst sehen! Ein Mal noch pressen!“ Als Tinne das hörte, lachte sie laut auf, holte tief Luft und presste mit aller Kraft und Viviane schrie: „Mehr! Noch mehr!“, da hielt sie auch schon das Baby in den Armen.

      „Du hast eine ganz prächtige Maid geboren, Tinne“, sagte sie mit hörbarer Anerkennung und schlug das Baby schnell in das Tuch ein, mit dem sie es aufgefangen hatte. Auffordernd nickte sie Hanibu zu.

      Hanibu wollte gar nicht hinsehen, aber sie sollte ja die Nabelschnur durchschneiden. Und dann war sie richtig erstaunt, als sie ein ganz normales Baby vor sich hatte, nur viel kleiner und von einer dicken Schicht Käseschmiere umhüllt. Viviane legte es auf die saubere Seite vom Lager und holte ein Röhrchen aus ihrer Tasche. Das steckte sie der Kleinen erst in die Nase, dann in den Mund und saugte den Schleim aus den Atemwegen heraus. Nach einem kleinen Klaps quäkte sie leise.

      Viviane hielt die Hand hin und Hanibu legte ihr ein feuchtes, lauwarmes Tuch hinein. Damit wischte sie ganz vorsichtig das Blut von der Kleinen und wickelte sie in Tinnes Wolldecke, bis nur noch das winzige Gesichtchen herauslugte.

      Tinne sah zu. Dafür musste sie sich fast verrenken, weil sie immer noch vor der Truhe kniete. Tränen schwammen in ihren Augen.

      Als die Nachgeburt herauskam, kümmerte sich Hanibu um Tinne. Viviane ging derweil im Haus umher und schüttelte immer wieder unzufrieden den Kopf. Seufzend zog sie ihr Übergewand aus, hielt es vor das Baby und beugte sich schützend darüber.

      „Hol mal das Weib herein, Hanibu.“

      Zögerlich trat die alte Frau ein. Hanibu gab ihr einen Schubs und schloss schnell die Tür hinter ihr.

      Viviane raunte: „Ich brauche eine Tragetasche mit besonders weichem Schaffell, einen Berg gekämmte Wolle, lieber noch Daunen. Ich nehme auch beides. Und die Wiege muss her.“

      „D … die b … braucht noch Wahedon für s … seinen Sohn, ho …“

      „Bei allen Göttern!“, fauchte Viviane leise. „Stell dich nicht an wie der erste Mensch! Borge dir halt woanders eine! Es wird ja noch mehr Wiegen auf der Burg geben! Habt ihr eine Ziege?“

      Die Frau wischte sich über die Augen und nickte hastig.

      „W … wir h … haben zwei Z … Ziegen, hohe Druidin.“

      „Noch besser. Wir brauchen viel Ziegenmilch für Tinne und das Baby. Und dann holst du noch neues Stroh, ein neues Laken und eine neue Bastmatte. Und neues Wasser zum Saubermachen!“

      Die Frau griff nach den Eimern, stolperte wieder zur Tür hinaus und zog sie diesmal schnell hinter sich zu. Hanibu führte Tinne auf den Abort, goss ihr dort kaltes Wasser über den Unterleib und half ihr danach beim Waschen im kleinen Badehaus neben dem Schwitzbad.

      Interessiert blickte sie sich um, aber das Badehaus gefiel ihr nicht besonders. Hier oben hatten sie nun mal keinen Fluss nahe beim Haus wie unten in den Dörfern. Da mussten sie sich schon mit einem großen Waschzuber begnügen, in dem das bisschen Wasser kaum zu sehen war, was im Moment zur Verfügung stand. Tinnes Vorrat an Wolle war dagegen höchst zufriedenstellend. Sie nahm sich eine ordentliche Handvoll und wickelte sie in ein großes Leintuch, während Tinne sich abtrocknete und dann tatsächlich ihr Unterkleid in den Zuber warf. Schnell drückte sie ihr das Leintuch in die Hand, um das Kleid selbst in der Pfütze auszuwaschen, und hätte wohl die ganze Zeit missbilligend vor sich hingeschaut, wenn Tinne ihr nicht ein Töpfchen mit dieser famosen Waschpaste aus Rosskastanien hingehalten hätte. Als sie das dreckige Wasser in den Kanal abgoss, brachte sie sogar ein anerkennendes Nicken zustande. Die Tonröhre war gut konzipiert.

      Das Schmutzwasser gurgelte und gluckste und schon war es weg.

      Frisch angezogen und verpackt huschte Tinne durch die Hintertür wieder ins Haus und Hanibu verriegelte sie sorgfältig. Viviane hielt das Bündel im Arm, summte leise vor sich hin und schob bei ihrem Anblick die Decke einen Spalt breit auseinander. Ihr Blick und ihre Körperhaltung

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