Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
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Zufrieden besahen sie sich ihr Werk. Jetzt konnten die Leute kommen.
Nachdem alle ihre Glückwünsche ausgesprochen hatten und jeder einen Blick in die Tasche werfen durfte, halfen alle mit. Die Männer hängten die Wiege an den Deckenbalken. Die Frauen nahmen das schmutzige Stroh aus dem Lager und ersetzten es durch frisches. Die Sklavin gab ihnen ein neues Laken aus der Wäschetruhe, knickte die schmutzige Bastmatte zusammen und steckte sie in den Ofen; eifrig schrubbte sie das Blut von den Holzbohlen und legte eine neue Bastmatte vor die Truhe.
Als alles erledigt war, brockten sie sich Brot in die Brühe und tranken einen kräftigen Tee von dem Wasser, das endlich gekocht hatte. Tinne erzählte den wissbegierigen Leuten von der Geburt, bis sie müde wurde. Das war für Viviane das Signal zum Aufbruch. „Wir kommen morgen wieder, Tinne. Sechs mal am Tag gibst du Germania ein Röhrchen von der Ziegenmilch. Mehr nicht! Anlegen kannst du sie aber beim kleinsten Mucks, das wird sie beruhigen. Sie darf ihre Kräfte nicht mit Schreien verausgaben, die braucht sie zum Leben. Deine Gäste möchte ich bitten, nun zu gehen. Ihr habt uns sehr geholfen. Wir werden bei der Quellgöttin auch für euch bitten.“
Die Helfer gingen mit Viviane und Hanibu hinaus und verneigten sich zum Abschied vor Viviane. Die bedankte sich noch einmal für ihre Hilfe, holte mit Hanibu die Pferde von der Koppel und ritt zum Burgtor hinaus. Bis zum Waldrand blieb Hanibu still, doch dann hielt sie es nicht länger aus.
„Viviane, was ist mit dir?“
Viviane drehte sich zu Hanibu und sah sie erstaunt an, weil sie es in äthiopischer Sprache gesagt hatte.
„Ich habe dich verstanden, Hanibu, aber ich weiß nicht, was du meinst.“
„Ich meine, wie du die alte Sklavin behandelt hast. Das warst doch nicht du, nicht die Viviane, die ich kenne.“
Viviane sackte auf Arion zusammen.
„Ich bin aggressiv?“
„So schlimm nun auch wieder nicht, aber …“
Viviane nickte.
„Silvanus hatte also doch recht. Er meinte, ich würde schnell zornig und wäre launisch. Da war ich natürlich erst recht wütend. Vater meinte, das wäre wegen der Schwangerschaft. Na, er muss es ja wissen! Aber ich will doch gar nicht aggressiv sein oder launisch!“
Hanibu schüttelte den Kopf und wechselte wieder ins Griechische.
„Als ich dich kennen gelernt habe, da warst du schon schwanger und du warst immer freundlich zu allen, egal ob Sklave oder Herr. Daran liegt es also nicht.“ Sie sah Viviane nachdenklich an. „Ihr habt gestern viel von dieser Schlacht erzählt, aber ich habe nicht genug davon verstanden. Wenn ihr so schnell redet, ist das schwer für mich. Bitte, übersetze es mir ins Griechische. Wenn dir Worte in meiner Sprache einfallen, kannst du sie natürlich dazu nehmen.“
„Was willst du wissen?“
Hanibu zog die Augenbrauen hoch.
„Ich will alles wissen, auch das, was du nicht erzählt hast.“
Viviane verzog das Gesicht.
„Das dauert aber länger.“
Hanibu deutete auf den Fuhrweg, über dem sich die hohen Ahornbäume zum grünen Gewölbe vereinten.
„Wir können langsam reiten, die Arbeit ist getan.“
Viviane überlegte kurz, womit sie beginnen sollte. Sie entschied sich, mit Baria anzufangen. Ihre Wolfstochter hatte als Erste bemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie dachte damals wirklich, sie müsse an einem Geschwür sterben. Deshalb hatte sie sich als Späher gemeldet und so begann ihr Kampf noch vor der Schlacht.
Hanibu zuckte zusammen, als sie ihr aufzählte, wie viele Späher sie getötet hatte; wie sie ihre Köpfe nahm. Dann kam der Vorkampf. Wieder unterschätzten sie die Gegner. Dem einen warf sie den Speer ins Auge, dem anderen stieß sie ihr Schwert in die Lunge, dass sein Blut schäumend aus Mund und Nase quoll. Am nächsten Tag starben die Menschen um Viviane herum, doch diesmal war es meist Silvanus, der sie in die Anderswelt schickte. Viviane war ja nur der Lenker oder wie sie es nannte: die Leitwölfin. Beim Kampf mit den Königen war es wieder Viviane, die tötete. Endlich war die Schlacht vorbei, überall lagen Tote, Sterbende … nicht viele konnte sie retten.
Als sie ein wenig Ruhe gefunden hatte, war es ihre Großmutter Dana, die ihr bewies, dass sie gar kein Geschwür hatte, sondern schwanger war. So wurde sie sehr zornig auf ihren guten Freund Merdin, der sie geschwängert hatte, ohne um Erlaubnis gefragt zu haben.
Hanibu nickte bedächtig.
„Ich habe dir einst erzählt, dass schwarze Weiber in ihrer Hochzeitsnacht die Sterne tanzen lassen. Kannst du dich noch erinnern? Damals hast du nicht gefragt, wie das geht und ich dachte, du weißt es schon. Jetzt ist mir natürlich klar, dass du es nicht wusstest.“
„Ihr kennt diese Droge auch in deiner Heimat?“
„Vielleicht ist es nicht dieselbe, aber die Wirkung ist gleich.“
„Da springen auch Hirsche durch eure Träume?“
Hanibu lachte laut auf und ihre weißen Zähne blitzten in dem braunen Gesicht.
„Hirsche gibt es bei uns nicht. Wir haben Antilopen. Aber jeder hat mit seinem Gefährten seinen eigenen Traum. Dieser Merdin hat dich vielleicht als Hirschkuh gesehen, weil er auch zum Hirschclan gehört, genau wie du.“
„Du meinst, er hat mich anders gesehen?! Genau, wie ich ihn anders gesehen habe?!“ Verdutzt schürzte Viviane die Lippen. „Das wäre … möglich. Normalerweise esse ich keine Kräuter einfach so, aber Hirschkühe tun das wohl. Und ein Hirsch hat auch noch nie still gehalten, wenn ich ihn streicheln wollte, obwohl ich nie mit der Bratpfanne in den Wald gehe. Interessant.“ Viviane sah zur Sonne, die den erhabenen Wäldern von Raino entgegenstrebte. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Er hat mich also gar nicht erkannt. Schwachsinn! Er hat gar nicht gewusst, was er die ganze Zeit gemacht hat! Er konnte wirklich nichts dafür!“
„So ist es. Aber dein Zorn kommt, glaube ich, nicht davon. Du hast deinen Frieden mit Merdin geschlossen, genau wie Silvanus.“ Hanibu schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, ich bin sicher: Es liegt am Kampf, Viviane, an den vielen Toten, deinem Blutrausch, deiner Trauer.“
Viviane seufzte schwer.
„Du ahnst ja gar nicht, wie sich das anfühlt. Jede Nacht sehe ich ein skurriles Wesen, ein monströses Geschöpf mit messerscharfen Krallen, ellenlangen Fangzähnen, dichtem Schuppenpanzer und einem langen Schweif mit Giftstachel. Es springt und rennt an vielen Leibern vorbei und beißt, kratzt, sticht und schlägt um sich. Aus seinem blutverschmierten Maul tropft giftiger Speichel, es brüllt, es jault so bestialisch und es lacht und johlt und jauchzt, dass mir der Schädel dröhnt. Und wenn es mich mit seinen glühenden, roten Augen ansieht … Ich habe Angst, Hanibu.“
„Dass dich die Geister der Menschen heimsuchen, die du getötet hast?“
„Nein, nicht wegen der Geister. Deswegen sind wir schließlich von Afal gereinigt wurden. Es ist auch nur ein einziges Monster und das … bin ich selbst.“