Der mondhelle Pfad. Petra Wagner

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Der mondhelle Pfad - Petra Wagner

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hast Angst, dich voll und ganz in dieses Monster zu verwandeln. Dass die Bestie aus deinem Kopf entkommt und sich in deinem Körper breit macht? Ist es das, was dich so quält, Viviane?“

      „Ja. Es zieht mich wie magisch an, aber ich habe Angst vor ihm, Angst vor mir! Und ich verstehe nicht, warum ich mich nicht befreien kann! Ich will es nicht! Ich will nicht so sein! Ich will Frieden! Aber es klebt an mir fest wie Harz, trotz Reinigungsritual durch unseren höchsten Druiden! Obwohl mir die Götter verziehen haben!“

      „Hast du dir selbst verziehen?“

      Viviane stutzte und schürzte die Lippen, sagte aber nichts.

      Hanibu nickte verstehend.

      „Ohne diese monströse Bestie in dir wäre dein Volk jetzt vielleicht versklavt. Auf alle Fälle wären die Hermunduren in die Knechtschaft der Chatten geraten, als Klientel, wie ihr hierzulande sagt. Es war richtig, die Bestie frei zu lassen. Aber dadurch hast du viel mehr durchgemacht als andere. Du hast öfter getötet und bist in einen enormen Blutrausch geraten. Dein Geist hat extrem gelitten. Wenn das Feuer brennt, ist es angenehm warm, aber wenn die Flammen hoch lodern und um sich greifen, dann wird es immer schwerer, es zu löschen.“

      „Gegenfeuer oder genügend Wasser hilft.“

      Hanibu wiegte den Kopf.

      „Weißt du, Viviane, ich habe oft über deinen Geisterflug nachgedacht, den du bei deiner ersten Initiation durchstehen musstest“, murmelte sie und sah Viviane forschend an; wartete, bis diese nickte. „Du hast damals von Bestien erzählt, die dich im finsteren Wald angefallen haben. Du und deine Hilfsgeister haben sie getötet oder in die Flucht geschlagen. Diese Bestien … das waren deine ureigenen Charaktere: Angst, Hass, Boshaftigkeit, Zorn, Überheblichkeit …“

      Hanibu hob beschwichtigend die Hände, als Viviane zum Protest ansetzte, und wollte weiter reden, doch Viviane hielt ihr einfach den Mund zu und wartete, bis sie still hielt.

      „Kann ich die Hand wieder weg tun?“

      Hanibu nickte.

      „Gut, dann will ich dir mal was sagen, Hanibu. Jeder Mensch trägt die dunkle Seite in sich! Du, ich, jeder. Das ist das Erste, was man als angehende Druidin erkennen muss. Tagelang haben wir uns gegenseitig analysieren müssen. Das war fast wie nackig ausziehen, aber es ist sehr wichtig, die Gegensätze zu erkennen und festzustellen, wie daraus ein Gleichgewicht entsteht. Wer ein Druide sein will, muss nämlich besonders hohe Anforderungen an sich stellen. Moralisch müssen Druiden einwandfrei sein, schließlich repräsentieren wir die Verbindung der Menschen zu den Göttern. Beide Seiten müssen einen Druiden für hoch achtenswert befinden. Beide Seiten müssen Vertrauen haben in einen Menschen, der vor allen Anfeindungen gefeit ist, denen von innen und denen von außen.

      Einem Druiden muss man absolut, ohne Vorbehalte, trauen können. Und das schafft dieser nur, indem er Frieden hält. Frieden mit sich selbst, Frieden mit allen Menschen und Frieden mit den Göttern. Deshalb soll ein Druide nicht kämpfen. Wir Druiden behüten das Wissen und die Weisheit, so bringen wir die Brücke zwischen Menschen und Göttern zustande.“

      Viviane musterte Hanibus nachdenkliche Miene und fragte sich, ob sie es in der griechischen Sprache gut erklärt hatte. Deshalb fügte sie noch hinzu: „Du hast also Recht, was meine Initiation angeht. Wenn man normal bei Bewusstsein ist, geht man ganz anders mit seinem Innersten um. Aber wenn man …“ Sie suchte nach den richtigen Worten. „Wenn man in sich selbst schwebt, dann sieht man sich aus einer ganz anderen Perspektive. Man erkennt noch viel mehr, kann andere Wege gehen, weiter laufen, tiefer graben … und alles Schlechte hineintreiben …“ Seufzend hob sie die Hände. „Ich kann es schlecht erklären.“

      Hanibu sah Richtung Süden, in weite Ferne.

      „Um den Frieden zu wahren. Ich weiß, was du meinst und ich möchte behaupten, dass es wenige Menschen gibt, die eine derart geringe Schattenseite in sich tragen wie du, Viviane. Vielleicht liegt das daran, dass deine Hilfsgeister alle schlechten …“ Hanibu wackelte Achtung heischend mit ihrem Zeigefinger vor dem Mund herum. „ … deiner Meinung nach, schlechten Eigenschaften in die Flucht geschlagen haben. Weil du es wolltest. Vielleicht ist das gerade so enorm wichtig, wenn man Druide ist und ihrem Kriegerbund angehört. Also glaube mir: Du bist ein moralisches Vorbild für mich und für jeden, der mit dir zu tun hat. Hast du mich verstanden?“

      Viviane bohrte sich im Ohr herum und nickte. Hanibu lächelte, doch sie war noch nicht fertig.

      „Jetzt, denke ich, sind ein paar deiner schlechteren Charakterzüge aus ihren Verstecken gekrochen. Manchmal bis du aggressiv, launisch, kurz angebunden … wie ein Hirschhund, den man auf eine Fährte ansetzt.“

      Hanibu hob wieder abwehrend die Hände, um Vivianes Protest zuvor zu kommen.

      „Es ist, als wäre die Schattenseite größer geworden. Als hätte die Dunkelheit die Bestien hervor gelockt und nun haben sie einen Mordshunger.“

      Viviane zog die Augenbrauen hoch und schob die Unterlippe vor, sagte aber nichts. Hanibu machte ein Gesicht wie sonst Viviane, wenn sie einen verunsicherten Kranken vor sich hatte und deshalb ganz genau erklärte, wie sie ihn zu heilen gedachte.

      „Du brauchst keine Angst haben! Du wirst deinen Frieden finden! Niemals wird die Bestie von dir Besitz ergreifen, es sei denn, du willst es! Du bist kein ruchloser Mörder, kein Frefler! Natürlich bist du ein Krieger, aber du, Viviane, bist ein Verteidiger des Lebens! Die Götter haben dich in den Kreis eintreten lassen, um auf vielerlei Art Leben zu geben und zu bewahren!

      Hanibu deutete auf Vivianes Bauch.

      „Du bist ein Weib, Viviane. Du gebärst Leben, wie die große Mutter Erde. Du nährst dieses Leben, wie die große Mutter Erde und du schützt dieses Leben, wie die große Mutter Erde. Und wie die große Mutter Erde tust du das nicht nur für dich! All jenen, denen du mit deinem Können hilfst, gibst du Leben, egal ob als Ärztin oder Kriegerin! Vielleicht geht der Krieger in dir immer noch auf dem blutigen Pfad und fletscht die Zähne wie ein hungriger Hund, dem man seinen Knochen weggenommen hat, jedoch die Ärztin und Mutter in dir weint garantiert. Erst, wenn du beide Teile deiner Seele wieder vereint hast, wird es dir besser gehen.“

      „Besser gehen“, echote Viviane und runzelte die Stirn. „Schon mal Holz gehackt?! Ich komme mir nämlich vor wie ein dürrer Ast, den Großmutter Mara für den Ofen auserkoren hat! Und ich garantiere dir, Hanibu: Nie werde ich wieder so sein wie früher!“

      „Ich weiß. Dafür hast du zu viel Leid erblickt. Aber …“

      Hanibu zuckte die Achseln und betrachtete Viviane, als ob sie sich nun selbst weiterhelfen müsste. Viviane tippte sich auch sogleich gegen den Kopf.

      „Aber es ist geschehen, nicht mehr zu ändern, vorbei; man muss daraus lernen und die richtigen Schlüsse ziehen. Und nun sollte ich den Krieger, der ein Teil von mir ist, auf den friedlichen Weg zurückführen. Vielleicht als Wächter?“

      „Genau. Wie damals, als du bei deinem Geisterflug gegen die Ungeheuer gekämpft hast. Die hast du ja auch dahin zurückgeschickt, wo sie hergekommen sind. Lass den Krieger in dir all deine Wut und deinen Zorn zur dunklen Seite treiben, werfe noch hinterher, was du nicht haben willst und dann stell deinen Krieger vor dein ganz persönliches Schattenreich und befehle ihm, niemanden durchzulassen, es sei denn, du brauchst etwas aus der Dunkelheit.“

      „Hanibu, du wirst mir unheimlich.“

      Hanibu

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