Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar Lütje
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„Auf keinen Fall“, ließ sich der Tankerkapitän vernehmen, „schließlich könnte der Spruch von einem deutschen U-Boot aufgenommen werden. Wir müssen schließlich alle damit rechnen, dass die Jerrys ihre Boote bereits in See haben.“
„Entschuldigen Sie, Sir“, meldete der erste Offizier des Tankers erneut seine Bedenken an, „ich halte es nach wie vor bei dieser merkwürdigen Order für angebracht, Funkmeldung abzusetzen. Außerdem ist mir das Flugzeugmuster als Bordflugzeug unserer Kreuzer nicht geläufig.“
„Ach, was wollen Sie denn“, versetzte der Captain, „wir sind doch durch die Admiralität darauf hingewiesen, dass von den Jerrys lediglich eines ihrer Taschenschlachtschiffe vor Kriegserklärung ausgelaufen ist. Welche Überwassereinheit sollte hier wohl rumschwabbeln? Oder meinen Sie etwa, die Jerrys verfügen als Geheimwaffe bereits auf ihren U-Booten über Bordflugzeuge?“ Das weitere Brückenpersonal belachte den als Witz verstandenen letzen Satz ihres Masters entsprechend und der besorgte erste Offizier verzichtete auf weitere Einwendungen. Wortlos wandte er sich ab, ihm war aber durchaus anzumerken, dass er nach wie vor seine Zweifel nicht verbergen konnte.
„Und“, setzte der Captain noch einen drauf, „Number One, dieses Westentaschen-schlachtschiff, die Graf Spee, ist bekanntlich nach dem Gefecht mit unseren Kreuzern Ajax, Achilles und Exeter in den Hafen von Montevideo, Uruguay geflüchtet und wird dort von unserer Royal Navy blockiert und wird da kaum wieder rauskommen. Das haben wir doch erst gestern von der Admiralität bestätigt bekommen.“
Auch auf der „Chamäleon“, auf der ebenfalls auch die britischen Radiostationen abgehört wurden, war das Gefecht des Panzerschiffs Graf Spee mit dem britischen schweren Kreuzer Exeter und den beiden leichten Kreuzern Ajax und Achilles aus Nachrichten der BBC bekannt. Selbstverständlich wurden auch auf dem Hilfskreuzer die feindlichen Radiostationen, insbesondere die BBC abgehört und die wesentlichen Nachrichten dem Kommandanten bekannt gegeben, der sie nach eigenem Dafürhalten ggf. seinen Offizieren und meistens auch der Besatzung über Bordlautsprecher bekannt gab, wenn er dies für erforderlich oder sinnvoll erachtete. Am Bord beider Schiffe wusste man am frühen Morgen des 17.Dezember 1939 noch nicht, dass am gleichem Tage Kapitän zur See Langsdorff im Interesse der Rettung seiner Besatzung und im Hinblick auf die nur noch geringen Munitionsvorräte die Graf Spee außerhalb der Dreimeilenzone vor Montevideo in den Fluten des Rio de la Plata selbst versenken würde.
Auf dem deutschen Kriegsschiff war man in der Zwischenzeit nicht untätig, die von der Flugzeugbesatzung als „Kate Winslow“ ausgemachte zweite Sichtung näher zu überprüfen. Laut Lloyds Register handelte es sich hierbei um den 7952 BRT (Bruttoregistertonnen) vermessenen, 1931 vom Stapel gelaufenen,Tanker der Reederei Winslow Brothers mit Sitz in London. Noch bei vollständiger Dunkelheit näherte sich die „Chamäleon“ bis auf knapp 1000 Meter von achtern aufdampfend dem Briten. Auf der Brücke des deutschen Kriegsschiffes waren – wie fast immer bei der Annäherung an einen Gegner – auch die wachfreien und nicht durch ihre Funktionen anderweitig gebundenen Offiziere in gebannter Erwartung.
„Artillerie klar“, fragte der Kommandant beim 1. Artillerieoffizier, Oberleutnant z. S. Fritz Bolte, nach. Sofort kam die Antwort des AO: „Artillerie klar und Ziel aufgefasst.“
„Flawaffen ebenfalls klar und Ziel aufgefasst“, kam der 2. AO Leutnant z. S. Fischer der Nachfrage des Kommandanten zuvor, was dieser mit einem leichten Schmunzeln zur Kenntnis nahm. Für die Torpedowaffe meldete der TO Curt Carstens: „Torpedowaffe ebenfalls klar, Herr Kaptän, TO am Zielgerät.“
Der Korvettenkapitän hob nochmals das schwere Marineglas an die Augen, überzeugte sich davon, dass nach wie vor offenbar die Annäherung des Hilfskreuzers vom gegnerischen Schiff nicht bemerkt war, sowie ob die Kriegsflagge gehisst war und befahl: „Blinkspruch vorbereiten, Stop advance, or I shall fire (stoppen Sie sofort, sonst werde ich schießen), don’t wireless (benutzen Sie nicht Ihre FT-Anlage)!“
„Ausführung jetzt!“ Sofort nach dem Befehl trat der Signalscheinwerfer in Tätigkeit und übermittelte der diensthabende Signalgast die Aufforderung.
Auf der „Kate Winslow“ zuckten Captain und 1. Offizier, sowie Rudergänger und Wachmatrose zusammen, als plötzlich an Ihrer Backbordseite der helle Scheinwerferstrahl das Dunkel der Nacht durchschnitt. Der 1. Offizier des Tankers überwand seine Überraschung zuerst. Fragend schaute er seinen Captain an und schrie diesen in der Erregung fast an: „Und das soll ein britischer Kontrollkreuzer sein? Das glaube ich nie und nimmer.“ „Das sind die verfluchten Germans“, setzte er noch hinzu und maß seinen Captain mit einem bösen Blick, „aber auf mich wollte ja keiner hören!“ Der Captain wollte seinem Ersten wütend das Wort verbieten, als plötzlich das ganze Schiff in helles Licht getaucht wurde, verursacht von der starken Scheinwerferanlage des zwischenzeitlich auf wenige hundert Meter angenäherten Fremden. Den 1. Offizier riss es förmlich auf den Absätzen herum und schon war er am Sprachrohr, das die Brücke mit dem Funkraum verband und schrie hinein: „Wir werden angegriffen, geben Sie sofort QQQ (britischer Code für: verdächtiges Schiff) und unsere Position.“
„Belege das“, schrie der Captain dazwischen, stieß seinen Ersten vom Sprachrohr weg, „geben Sie RRR (britischer Code für Raider – Angriff durch Überwasserkriegsschiff) mit Schiffsnamen und Position.“ Lange Sekunden vergingen. Rudergänger und Wachmatrose schauten sich an, wandten dann Ihren Blick auf Captain und Ersten, um zu sehen, welche weiteren Anordnungen die Schiffsführung geben würde. Die Hände des Rudergängers umkrampften das Ruderrad. Wieder fasste sich der Erste am schnellsten und fragte seinen Schiffsführer: „Sollen wir stoppen?“ Die Lippen im zornrotem Gesicht des Captains sprangen auf: „Damn …“, weiter kam er nicht. In diesem Moment flog ein Teil der Brückenaufbauten, wie von der Hand eines Riesen zerfetzt, vor seinen Augen davon. Dort wo der Wachmatrose eben noch mit schreckverzerrtem Gesicht gestanden hatte, klaffte ein großes Loch. Er selbst war verschwunden. Das fremde Schiff hatte das Feuer eröffnet. Rudergänger und Erster warfen sich zu Boden. Der Erste lief zum Sprachrohr und wollte mit der Rechten den Stöpsel abziehen. Unverständnis und Verwirrtheit breiteten sich auf seinem Gesicht aus. Er griff dann mit dem rechtem Arm zum Sprachrohr. Allein die rechte Hand und der halbe Unterarm fehlten. Er starrte auf den verkürzten Unterarm, aus dem das Blut in breitem Strahl aus einer verletzten Arterie spritzte und sackte langsam auf die Knie. Jetzt endlich hatte auch der Captain seinen Schock überwunden. Glücklicherweise funktionierte die Sprachverbindung zur Maschine noch und er gab Befehl zu stoppen. Eine Verbindung zum Funker kam hingegen nicht zustande. Mehrmals schrie er nach dem Funkoffizier, erhielt jedoch keine Antwort. Erst jetzt registrierte er, dass das Schießen bereits wieder aufgehört hatte.
Zu dieser Zeit auf dem deutschen Hilfskreuzer.
„Gegner funkt“, meldete der 1. Funkoffizier Oberleutnant z.S. Fritz Borchard. „Sofort stören“, befahl der Kommandant, „1 AO, eine Salve auf die Brücke! 2 AO, Flawaffen Oberkante Schiffsbrücke bestreichen, Antenne zerschießen!“
Ruumms donnerten alle 15 Zentimeter Geschütze, die den Gegner auffassen konnten, los. „Treffer, Treffer“, jubelten die mittlerweile vollständig auf der Brücke erschienenen Offiziere, soweit sie nicht dienstlich wie die beiden Artillerieoffiziere, Funker und Torpedooffizier auf ihren Gefechtsstationen gebraucht wurden. Graf von Terra fuhr dazwischen: „Ruhe! Wir sind doch hier nicht zum Ringreiten.“
„Gegner hat aufgehört zu funken“, kam die Meldung des FO (Funkoffizier). „Gegner stoppt“, bemerkte der Kommandant, „Blinkspruch rübermachen: Haben Sie Verletzte? Benötigen Sie ärztliche Hilfe?“ Der Kommandant wollte die Anfrage gerade wiederholen lassen, als nach langen Minuten per Blinkspruch erwidert wurde: „Ich ergebe mich. Ein Toter, ein Schwerverwundeter,