Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

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Verhalten legt tatsächlich nahe, dass er den Abyssus nicht erfolgreich überschritten hat – dass er von unbewussten Kräften in den Griff genommen wurde, die er nicht mehr filtern, überwachen oder kontrollieren konnte. Statt zu einer allsehenden, harmonischen Verbindung mit dem Unbewussten zu finden und mit ihm zu arbeiten, um damit magische Ziele zu erreichen, wurde er nun vom Unbewussten kontrolliert und beherrscht.63

      Als selbsternannter Meister des Tempels fuhr Crowley damit fort, sich eine Methode für die systematische Zerstörung des Egos auszudenken, welches er als ein Hindernis für das magische Vorwärtskommen betrachtete. Während der 1920er Jahre wurden seine Anhänger in der berüchtigten Abtei von Thelema in Cefalù auf Sizilien streng bestraft, wenn sie das Wort „Ich“ gebrauchten.64 Crowleys Erkenntnis war solide, doch seine Methode war fehlerhaft. Er versuchte, den strukturellen Ablauf zu untergraben, der jeglichen Sinn hervorbringt, einschließlich des Gefühls eines einzigartigen, unverwechselbaren und geschlechtsspezifischen Selbst. Es kann kein „Ich“ ohne ein klares Verständnis dessen geben, was nicht „Ich“ ist, und wie Crowley es formulierte, „so lange ‚ich ich bin’, muss alles andere feindlich erscheinen“. Er verfolgte etwas, das man als Auslöschung des Unterschiedes bezeichnen mag, und eine solche Auslöschung ist, im Sinne einer Bewegung jenseits gegensätzlicher Dualitätsbegriffe – ich/​du, selbst/​anders, männlich/​weiblich – ein traditionelles Ziel des Okkultismus. Crowleys Bestreben war, eine Abkürzung zu einem der höchsten Ziele des Okkultismus zu finden: der Rückkehr zu einem verlorenen Eden der Ganzheit und Vollendung.

      Die Vorstellung, dass die Menschen ursprünglich als vollständige Wesen zweigeschlechtig waren, taucht in der okkulten und magischen Tradition immer wieder auf. Es gibt esoterische Lehren, die auf eine solche Rasse Bezug nehmen, die – wie Adam und Eva in der Bibel – vor dem tragischen Fall auf der Welt existierten. Die modernen magischen Schulen haben die okkulte Signifikanz der männlich-weiblichen Polarität erkannt, und die Suche nach seelischer Zweigeschlechtigkeit ist eine Deutung des alchemistischen Planes, die fortgeschrittene Mitglieder des Golden Dawn gewiss verstanden. Crowley wusste bestimmt um die okkulte Herkunft der Zweigeschlechtigkeit, die für ihn eine besondere magische Bedeutung gewann. 1904 empfing Crowley von einem Wesen, das er als seinen heiligen Schutzengel bezeichnete, eine Reihe von Lehren, die in dem Buch gipfelten, das er Liber Legis – The Book of the Law betitelte. Nach dem Inhalt dieser Botschaften stehe die Welt an der Schwelle eines neuen Zeitalters – des neuen Äons des Horus –, dessen Hauptmerkmal die Vereinigung des Männlichen mit dem Weiblichen ist, wie es die doppelgeschlechtliche Gestalt des Horus repräsentiert. Obwohl Crowley diese Lehren zu jener Zeit von sich wies, sollten sie sich für seine anschließende magische Entwicklung von fundamentaler Bedeutung erweisen. Außerdem hatte das Vorstellungsbild von Horus noch einen breiteren kulturellen Stellenwert – einen, der Crowley merklich sympathisch war.

      Die zweigeschlechtige Gestalt, die in den okkulten Lehren eine so wichtige Rolle spielt, war zudem ein Symbol des Fin de Siècle. In den Werken Aubrey Beardsleys während der 1890er Jahre wird die Faszination dieser Zeit für geschlechtliche Ambiguität – und die Angst davor – festgehalten. Seine verstörenden Illustrationen für The Yellow Book und The Savoy wurden schnell zu Sinnbildern einer verdrehten Sensibilität, die kennzeichnend für „die Dekadenz“ war.65 Als in den 1890ern die Diskussionen um die „Frauenfrage“ von jenen über die „neue Frau“ abgelöst wurden und die Welt Zeuge des Gerichtsprozesses gegen Oscar Wildes war, kam eine Reihe gesellschaftlicher und sexueller Identitäten auf, die auf viele zutiefst verstörend wirkten. Das „Mannweib“ und der augenscheinlich verweiblichte Mann standen für Kritiker anscheinend stellvertretend für eine moderne sexuelle Ökonomie, die vom Abstieg in die Anarchie gekennzeichnet ist; androgyne Kreaturen als Symptome einer schönen neuen Welt der Perversion und des Verfalls.66 Diese Ängste wurden durch die aufkommende Literatur, die Diskussionen über sexuelle Typologien entfachte, alles andere als beseitigt. Für Crowley jedoch waren die dekadenten „gelben Neunziger“, die Beardsley und Wilde verkörperten, die befreienden Jahre seiner Jugend. Mit dreiundzwanzig Jahren verliebte er sich in Cambridge in Jerome Pollitt, einen Mitstudenten, der mit Aubrey Beardsley eng befreundet und ein talentierter Frauenimitator war, und im Wesentlichen blieb Crowley zeit seines Lebens den Ansichten und dem Lebensstil der Décadence-Bewegung treu.67 Als poseur extraordinaire im Stil von Wilde, und als ein Mann, der sich vorgenommen hatte, die dunkle, verderbte, luxuriöse Welt des fiktionalen Dorian Gray im realen Leben nachzuahmen, experimentierte Crowley immer wieder mit der Umkehrung vorherrschender Verhaltenskategorien. Dieses betrifft sowohl seine Magie wie auch seine eigene Sexualität und geschlechtliche Identität; in allen Fällen, und in unterschiedlicher, aber jeweils verwandter Weise, spielte er mit der „gelben“ Thematik perverser Delinquenz. Als 1904 der Neue Äon des Horus aufdämmerte, konnte Crowley nicht gänzlich unempfänglich gewesen sein, denn The Book of the Law liest sich wie eine Hymne an die Dekadenz, während die Zweigeschlechtigkeit – die womöglich ultimative heterodoxe Maskulinität – eine Eigenschaft war, die Crowley für sich selbst als erstrebenswert erachtete.

      In den 1920er Jahren hielt Crowley an der langgehegten Überzeugung fest, dass er in gewisser Hinsicht sowohl männlich als auch weiblich sei. Während er von sich selbst in der dritten Person spricht – eine Distanzierungsmethode, die an den Disclaimer von Dr. Jekyll erinnert68 –, bemerkt Crowley, dass er, während „seine Männlichkeit über der Norm liegt“, auch weibliche Merkmale besitzt, wie schlanke, zierliche Gliedmaßen und gut entwickelte Brüste:

      Demnach liegt eine Art Hermaphroditismus in seiner körperlichen Struktur, was sich natürlich auch in seinem Geist ausdrückt. Doch während in ähnlichen Fällen die femininen Qualitäten auf Kosten der Männlichkeit zu gehen scheinen, sind sie bei ihm mit einem perfekt-normalen maskulinen Typus verbunden. Prinzipiell wird er dadurch in die Lage versetzt, die Psychologie der Frauen zu verstehen und auf alle Theorien einen umfassenden und objektiven Blick zu werfen, auch auf spirituellen Ebenen ist er mit mütterlichen Instinkten ausgestattet … Er war imstande, von der Warte eines vollendeten menschlichen Wesens aus über die Natur zu philosophieren; bestimmte Phänomene werden immer für Männer an sich unverständlich bleiben, andere für Frauen an sich. Indem er beides zugleich verkörperte, war er fähig, eine Sichtweise der Existenz auszubilden, die Positives und Negatives, Aktives und Passives, zu einem einzigen identischen Gleichgewicht zusammenfügt … Wieder und wieder … werden wir finden, dass sein Handeln von dieser dualen Struktur bestimmt ist.69

      Während Crowley hier im essentialistischen Sinne die Geschlechtskategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit artikuliert – auch ein Aspekt der traditionellen okkulten Philosophie –, versteht er sich selbst als Verkörperung einer nutzbringenden „dualen Struktur“: er ist „beides zugleich“. Der physische „Hermaphroditismus“ wird daher bezüglich der Geschlechter nachgeahmt und als das dargestellt, was ihm die privilegierte Erkenntnis „eines vollendeten menschlichen Wesens“ verleiht. Crowley hielt daran fest, dass seine „duale Struktur“ ihn in die Lage versetzte, in der Welt zu handeln und mit ungewöhnlicher Schärfe und außerordentlichem Erfolg darüber zu „philosophieren“. Außerdem dehnte sich diese „duale Struktur“ auf seine Sexualität aus. Crowley war offenkundig bisexuell. Es gab keinen Mangel an Frauen in seinem Leben, und die Mythen, die sich um ihn ranken, zeichnen ihn als einen zärtlichen und phantasievollen Liebhaber. In der Tat trieben ihn mächtige und widersprüchliche Verhaltensweisen gegenüber Frauen an, die größtenteils jedoch uneingestanden blieben. Crowley glaubte, dass er unwiderstehlich sei und dass sein Erfolg als heterosexueller Liebhaber seiner einzigartigen Fähigkeit geschuldet sei, eine „wilde, männliche schöpferische Leidenschaft“ zum Ausdruck zu bringen, die durch eine „weibliche“ Liebenswürdigkeit veredelt ist.70 Bisexualität ist nicht dasselbe wie „Hermaphroditismus“ oder Zweigeschlechtigkeit, doch in Crowleys Vorstellungen war seine Sexualität ein weiterer Ausdruck jener Ganzheit, die in seinem „Beides-zugleich-Sein“ enthalten war.

      Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Victor Neuburg diese Sichtweise teilte und auf sich selbst übertrug. In einem langen Gedicht in The Triumph of Pan, einer 1910 veröffentlichten Sammlung, in die eine komplexe Mischung persönlicher und magischer Bezüge eingearbeitet

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