Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов страница 10

Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов

Скачать книгу

hatte, und dass er „jede Qual, jeden Zorn, jede Verzweiflung und jeden Ausbruch von Wahnsinn erlebt“ habe.24 Neuburg jedoch hatte verbotene Konversation mit dem Bewohner des Abyssus geführt. Beide Männer hatten nun das Gefühl, das Wesen des Abyssus verstanden zu haben. Er steht für Zerstreuung: ein entsetzliches Chaos, in dem es keine Mitte und kein kontrollierendes Bewusstsein gibt. Sein Furcht erregender Bewohner war kein Individuum, sondern die Personifizierung eines Ausmaßes bösartiger Gewalten, die sich durch die geballte Energie des beschwörenden Magiers manifestieren. Diese Kräfte auf einer so unmittelbaren und zutiefst persönlichen Ebene zu erfahren, und, wie Victor, zu glauben, dass er einen Kampf auf Leben und Tod mit ihnen durchgemacht hat, war niederschmetternd. Oder wie Crowley sagte, „ich weiß kaum noch, wie wir je nach Bou Saada zurückgekommen sind“.25

      Die nächsten zwei Wochen hindurch setzten Crowley und Neuburg ihre Anrufungen fort, während sie sich auf ihrem über einhundert Meilen weiten Weg durch die Wüste nach Biskra befanden. Einige von Crowleys Erlebnissen in den Aethyren lesen sich wie lyrische Hymnen der Schönheit und der Ekstase, doch andere erscheinen voll unheilvoller Vorahnungen – sie deuten darauf hin, dass er in eine Welt gestolpert ist, für die er noch nicht bereit war. Als sie am 16. Dezember Biskra erreichten, wusste Crowley, dass er gefährlich nahe am äußersten Ende seiner Kräfte angekommen war. Vier Tage später schloss er mit der letzten Anrufung ab. Das magische Werk war vollbracht. Die beiden Männer waren äußerst erschöpft, jedoch nicht von den körperlichen Strapazen ihrer Reise, die zumindest Crowley ergötzlich fand. Die magischen Erlebnisse waren es, die ihren Tribut forderten. Die sie kannten, meinten, dass Neuburg „die Zeichen dieses magischen Abenteuers bis ins Grab getragen“ habe, und dass Crowley, psychisch zerschmettert, nie von dieser Tortur genesen sei.26 Die beiden Männer erholten sich in Bisra, bevor sie nach Algier zurückkehrten. Am letzten Dezembertag des Jahres 1909 schifften sie sich ein und fuhren nach England zurück.

       „Auch ich bin die Seele der Wüste“

      Auch wenn Crowley bei der Inszenierung seiner Anrufungen zwanglos vorging, ist es unwahrscheinlich, dass die Umgebung dieser magischen Unternehmung reiner Zufall war.27 „Arabien“ und die Wüste hatten besondere Bedeutung für ihn. Crowley weidete sich an der arabischen Kultur, insbesondere an der der Beduinen. Nach einem langen Tagesmarsch, so sagte er einmal aus, erfreue ihn nichts mehr, als die Männer eines fernen Dorfes zu besuchen und die Nacht dort mit Kaffeetrinken und dem Rauchen von Tabak oder „Kif“ (Haschisch) zu verbringen. Er war bereits vertraut mit den Wirkungen einer „Huqqa … gestopft mit verrückt machendem Cannabis“, und fühlte sich befreit durch die Wüste und ihre Gesellschaft.28 Crowley gestand ein, dass er sich, obgleich er sich spirituell in China zuhause fühlte, „mit Herz und Hand dem Arabischen“ verschrieben hatte.29 Wenn er vom „Arabischen“ sprach, identifizierte er damit jedoch das, was er als den Geist der Wüstenkultur ausmachte: die starken Bande, die Männer miteinander verbanden und eine Existenz, die sich auf ästhetisierte Lebensgrundlagen beschränkte. Einer der Aspekte jenes „Arabiens“, das einen so speziellen Klang für ihn hatte, war ein romantisiertes Männlichkeitsethos.

      Über die Faszination der Wüste für die Europäer, die Romantisierung der Beduinen und die literarische Schöpfung eines besonders mythischen „Orient“ ist in der Reiseliteratur und anderswo viel geschrieben worden.30 Crowley war gegen diese Fiktionen nicht gefeit. Auch wenn seine persönlichen Erlebnisse mit der Wüste kraftvoll und direkt waren – sein Gefühl der Verbundenheit zum „Arabischen“ hatte eine andere Grundlage. Als er vermutete, intuitiv in das Herz der Wüste Arabiens vorgestoßen zu sein, worunter er auf einer unausgesprochenen Ebene die tief greifende Wirkung des unmittelbaren Dialogs mit den von ihm so bezeichneten acht Genien der Wüste auf den menschlichen Geist verstand, lag das daran, dass er so begierig die „Arabia Deserta“-Literatur verschlungen hatte.31 Und wenn es einen Subtext zu Crowleys nordafrikanischem Abenteuer – und tatsächlich für alle seine Reisen – gibt, dann finden wir diesen im Leben und Werk des viktorianischen Abenteurers und Forschungsreisenden Richard Burton.

      Burton repräsentierte den Typ Mann, der Crowley gern gewesen wäre – stark, mutig, unerschrocken, und doch ein Gelehrter und Dichter und ein Kerl, der an konventionellen Beschränkungen stets aneckte. Sein düsteres, vernarbtes Gesicht und seine satanische Ausstrahlung schienen Wissen und Macht zu suggerieren, die jenseits des Akzeptierten und des Akzeptablen lagen, seine Erkundungsfahrten in Afrika und dem Nahen Osten waren legendär, und durch seine Übersetzungen von Texten aus dem Italienischen, Lateinischen, Arabischen und dem Sanskrit wurde die viktorianische Leserschaft in europäische und „orientalische“ Volkskunde und Erotika eingeführt.32 Als ein Mann mit einer erstaunlichen Bandbreite an Wissen und Fähigkeiten, war Burton zweifellos ein Vorbild für Crowley. Als Crowley seine ausgedehnten Reisen zu fernen Orten unternahm, fühlte er, dass er „zwar voller Ehrfurcht, aber weit davon entfernt sei, in die Fußstapfen des Helden meiner Jugend, Richard Francis Burton, zu treten“.33 Dieser war einer von drei Männern, denen Crowley seine Confessions widmete: „dem vollendeten Pionier des geistigen und physischen Abenteuers“.

      Crowley strebte eine Art kultureller Herrschaft an, wie sie Burton in seiner berühmten „Pilgerreise“ nach Mekka 1853 zur Schau stellte, als der Entdecker, perfekt als Moslem getarnt, in das Herz der heiligen Stadt vorstieß, die Europäern verwehrt war. Dass Crowley während seiner Nordafrikareisen mit Neuburg einen auffälligen Sternsaphirring trug, gründete auf Burtons Information, dass dieser Stein von den Moslems verehrt wurde. Wie Crowley erzählt, beendete er einmal eine Kaffeehausschlägerei, indem er ruhig durch das Getümmel hindurch ging und mit seinem Ring magische Figuren in die Luft zeichnete, während er eine Sure aus dem Koran rezitierte: „Der Lärm verstummte sofort, und ein paar Minuten später kamen die ursprünglich streitenden Parteien zu mir und baten mich, zwischen ihnen zu vermitteln, da sie gesehen hatten, dass ich ein Heiliger war“.34

      Auch wenn Crowley sich in seiner Erzählung selbst parodiert, war er, wie Burton, in das imperialistische Projekt verwickelt. Beide Männer wiesen die erdrückenden Beschränkungen der viktorianischen Gesellschaft zurück und versuchten, sich auf unterschiedliche Weise von den bürgerlichen Vorstellungen eines nüchternen, zurückhaltenden und geschäftigen Männlichkeitsbildes zu distanzieren. Nichtsdestotrotz verkörperten sie, obwohl sie die arabische Kultur und deren Völker aufrichtig verehrten, gleichzeitig den unhinterfragten Gestus von Überlegenheit und das Verlangen nach Herrschaft, das imperialistischen Bestrebungen zueigen ist.35 Diese Fragen sind jedoch komplex. Im Fall Burtons und Crowleys war weder das Überlegenheitsgefühl noch das Streben nach Herrschaft notwendigerweise mit der rücksichtslosen Unterdrückung des Weiblichen gleichgesetzt, die (nach Freud) oft mit Darstellungen moderner maskuliner Subjektivität verbunden ist. Wenngleich die beiden Männer in gewisser Hinsicht dem klassischen Profil des Imperialisten entsprachen, wurden sie doch von einer Kultur angezogen, die dem Anschein nach den Aspekt des Weiblichen als unlösbaren Bestandteil mit viriler Männlichkeit verbinden konnte. Imperialismus beinhaltet immer einen gewissen Grad an Feminisierung, doch Crowley betrachtete, von Burton beeinflusst, die arabische Kultur als eine positive und unwiderstehliche Mischung aus Männlichem und Weiblichem.

      „Der Islam“, so bemerkte Burton, „scheint die Bande zwischen den Geschlechtern absichtlich gelockert zu haben, um jene zu stärken, die Mann und Mann miteinander verbinden“.36 Dies wird sowohl in Crowleys Vorstellungen von einer zutiefst maskulinistischen Gesellschaft als auch in deren Spiegelbild angedeutet, und zum Teil war Burton für diese besondere Charakterisierung des Ostens verantwortlich. Er war lange Zeit von „orientalischer“ Erotik fasziniert gewesen, als er im späteren Leben mit der Veröffentlichung seiner Studien über orientalische Päderastie sein beachtliches Wissen darüber zu Papier brachte. Durch diese und andere Schriften wurde „Arabien“ in der europäischen Vorstellung zu einem Synonym für Homosexualität.37 Es ist nicht unerheblich, dass im selben Jahr, als Crowley und Neuburg durch die Wüste wanderten, T. E. Lawrence – der später als Lawrence von Arabien unsterblich werden sollte – einen Fußmarsch durch den Vorderen Orient unternahm und dass es um ihn Gerüchte von einer früheren engen homosexuellen Beziehung zu einem

Скачать книгу