Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

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Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов

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Crowley im November 1909 mit Victor Neuburg in Algerien ankam, legte er zweifellos das unverkennbare, subtil überlegene Verhalten eines englischen Gentlemans im Ausland an den Tag. Sein Auftreten der dort ansässigen französischen Obrigkeit gegenüber war von höflicher Verachtung gekennzeichnet, und Warnungen vor den Gefahren eines unbegleiteten Ausfluges in die Wüste schlug er in den Wind. Zuversichtlich und gelassen ging Crowley sofort daran, die nötigen Vorräte für die Reise zu besorgen. Er hatte Grundkenntnisse in der arabischen Sprache und verstand einiges von der moslemischen Kultur, doch war er besorgt, dass Neuburg mit seiner „Armesündermiene“ und seinem „irren Lachen“ seine Glaubwürdigkeit untergraben könnte. Laut Crowley wurde Neuburg deshalb der Kopf rasiert, bis auf zwei Büschel an den Schläfen, die „zu Hörnern hochgedreht“ wurden. Crowley kommentiert dieses zwar augenzwinkernd, doch bezeichnend dahingehend, dass sein Chela damit „in einen Dämon verwandelt wurde, den ich gezähmt und gelehrt hatte, mir als dienstbarer Geist zur Seite zu stehen. Dies steigerte mein Ansehen außerordentlich“.8 Die Sorge um sein Ansehen beschäftigte Crowley stets sehr, und hier glaubte er sich rechtfertigen zu sollen, dass es notwendig sei, um unbehelligt das abgelegene Wüstengelände bereisen zu können. Die Bezugnahme auf Geister und Dämonen zeigt jedoch, auch wenn sie hier scherzhaft gedacht war, wie vertraut Crowley der Umgang mit den magischen Wesenheiten, um die es ihm in seiner Funktion als der Magier Perdurabo ging, in seinem täglichen Leben gewesen ist.

      Gerade zwei Nächte hatten sie unter dem Himmel der Wüste verbracht, als Crowley die plötzliche Eingebung hatte, eine magische Unternehmung auffrischen zu müssen, die er neun Jahre zuvor in Mexiko begonnen hatte. Dies erforderte die Anwendung eines komplexen magischen Systems, das der angesehene elisabethanische Mathematiker und Astrologe John Dee mit seinem Hellseher Edward Kelley entwickelt hatten. Dee und Kelley waren sehr versiert in den Praktiken der Kabbala und experimentierten mit der Engelmagie des Renaissancemagiers und Universalgelehrten Henricus Cornelius Agrippa. Agrippa hatte ein System numerischer und alphabetischer Tafeln für die Herbeirufung von Engeln ausgearbeitet, das Dee und Kelley als Rahmen für ihre Arbeit verwendeten. John Dee nutzte Kelleys hellseherische Gabe, die diesen in die Lage versetzte, die vielen Reiche der geistigen Welt zu „bereisen“, um indirekt mit den Engeln in Kontakt zu treten und ihnen die Geheimnisse des Universums zu entlocken. Während ihrer ausgedehnten Séancen empfing Kelley seine Visionen, indem er einen „Schaustein“ in der Weise gebrauchte, wie Seher auch Kristallkugeln nutzen. Dee stellte seine Fragen und schrieb die Antworten, die er durch Kelley übermittelt bekam, gewissenhaft auf. Auf diese Weise stellte Dee nach und nach eine ganze Kosmologie von Engeln und Dämonen auf und umriss dreißig Aethyre bzw. Reiche jenseitiger Existenz.9

      Crowley waren Dees Forschungen bekannt, weil sie Bestandteil der Lehren des Golden Dawn waren. Obwohl ihm der Zugang zum Zweiten Orden verwehrt war, hatte Crowley mit anderen Adepten des Ordens studiert, vor allem mit Allan Bennett, der nur einen Rang unter dem höchsten Ordensmitglied stand. Doch während sich die Eingeweihten daran machten, Dees so genanntes Henochisches System wissenschaftlich zu untersuchen, war Crowley bereit, seine Wirksamkeit zu erproben. Er war bereits ausgebildet darin, das zu erkunden, was der Golden Dawn als Astrallicht bezeichnete – einzelne nichtphysische Ebenen oder Existenzordnungen, die sich mit der Welt irdischer Wahrnehmungen gegenseitig durchdringen.10 Er betrachtete sich selbst als einen Meister der Astralreisen und war dabei, Neuburg die dazu erforderlichen Techniken und Vorgehensweisen beizubringen. Dieses beinhaltete die absolute Vertrautheit mit der okkulten Symbolik, die für das sichere Reisen in astralen Reichen so entscheidend ist. Tatsächlich räumten Magier potenzielle Gefahren bei Astralreisen ein, wenn es sich dabei auch um innere Reisen handelt, die aus der Begrenzung des physischen Körpers heraus unternommen werden. Novizen wie Victor Neuburg kehrten erschöpft von ihren Ausflügen zurück, doch war Crowley kein Novize. Kenntnisreich und im astralen Reisen bewandert, mit den Mitteln der astralen Verteidigung und des Angriffs vertraut und ein Kenner der geistigen Welt, glaubte Crowley, dass er für eine Reise durch John Dees Aethyre bereit sei.

      Crowleys Methode war einfach: er würde sich einen abgelegenen Ort suchen und dort die passende Anrufung – die rituelle Beschwörungsformel, die ihm Zugang zum jeweiligen Aethyr verschaffen würde – rezitieren. Nachdem er sich vergewissert hätte, dass die angerufenen Kräfte anwesend seien, würde Crowley seinen magischen „Schaustein“, einen großen Goldtopas, aufnehmen und damit seine Visionen erschauen, wie Kelley es schon Jahrhunderte zuvor getan hatte. Der Topas „spielte eine ähnliche Rolle wie der Spiegel bei Alice hinter den Spiegeln“.11 Indem er die jeweilige Anrufung durchführte und sich auf den Topas konzentrierte, konnte Crowley den Aethyr betreten. Ihm war bewusst, was das bedeutete: „Wenn ich sage, dass ich in einem Aethyr gewesen bin, dann meine ich damit einfach, dass ich in den Merkmalen seiner Beschaffenheit und dessen, was sein Wesen ausmacht, gewesen bin“.12 Mit anderen Worten: Crowley hatte erkannt, dass diese Erfahrungen den Astralreisen gleichen, da sie sich innerhalb des eigenen Geistes abspielen. Wenn er den Aethyr betritt, würde er seine Erlebnisse Neuburg mitteilen, der sie niederschreiben würde. Erwähnenswert ist, dass Crowley – wie üblich – das Procedere seinen eigenen Vorstellungen angepasst hat. Anders als Dee würde er, der Meistermagier, sein eigener Seher sein. Neuburg, dessen hellsichtige Begabung Crowley durchaus erkannt hatte, war der Sekretär.

      Auf dem Weg der beiden Männer durch die Wüste geriet Crowley zunehmend in den Bann seiner Erfahrungen in John Dees Aethyren. Er begegnete sowohl schönen als auch schrecklichen himmlischen Wesen, die in einer prächtigen Symbolsprache von den Reichen erzählten, in denen sie wohnten. Crowley verstand viel von dieser Symbolik und begann zu erkennen, dass die Anrufungen dem Seher tatsächlich Zugang zu einem komplizierten und dennoch in sich schlüssigen und zusammenhängenden universellen System anderer Welten und Wesenheiten gewähren. Doch im weiteren Verlauf der Anrufungen bekam es Crowley zunehmend mit der Angst zu tun. Ihm war, als ob, so sagt er, eine Hand sein Herz festhalte, während eine flüsternde Stimme ihn in furchtbare und zauberische Worte hülle. In einer Umkehrung der Geschlechter, wie sie für viele seiner magischen Erlebnisse bezeichnend war, verrät Crowley, dass er begann, sich „ … nun ja, nicht direkt ängstlich zu fühlen; es war das feine Zittern einer Jungfrau vor dem Bräutigam“.13 Um sich gegen die zunehmend aufkommenden Angst- und Schreckensgefühle zu wappnen, rezitierte er Stellen aus dem Koran, während er durch die Wüste marschierte. Die endlos weiten, leeren Landstriche, die tägliche Hitze und die eisige nächtliche Kälte bewirkten im Zusammenspiel mit dem kontinuierlichen Anstimmen magischer und religiöser Formeln einen Zustand von nahezu überwältigender spiritueller Intensität.

      Gut zwei Wochen, nachdem sie in Algerien angekommen waren, erreichten Crowley und Neuburg Bou Saada. Diese entlegene Oase in der Wüste mit ihren Palmen, Gärten und Obstplantagen lag dort, wo die Wüstenstraße endete. Bou Saada erweckte den Eindruck, eine der letzten Verbindungen zur Zivilisation zu sein. In einiger Entfernung zur Stadt befand sich ein Berg, der Da’leh Addin. Hier vollzog Crowley eine Anrufung nach Anweisungen, die er aus früheren Gesprächen mit Engeln erhielt, und mit welcher er versuchte, in den vierzehnten Aethyr zu gelangen. Sein Versuch wurde jedoch vereitelt. Er begegnete einem „über und über prächtigen Engel“, der von Schwärze und „den Schreien von Bestien“ umgeben war. Der Engel sprach eine Warnung aus und wies den Magier zum Rückzug an. Erschrocken bereitete sich Crowley auf die Rückkehr nach Bou Saada vor. Noch während er dies tat, „kam plötzlich der Befehl, eine magische Zeremonie auf dem Gipfel“ des Berges abzuhalten. In welcher Form auch immer er diesen „Befehl“ empfing, fest steht, dass Crowley ihn als unbedingt wahrgenommen hatte. Er und Neuburg reagierten, indem sie aus losen Felsstücken einen großen Kreis aufbauten. Diesen besprachen sie mit magischen Worten der Kraft und „errichteten einen Altar“ in seiner Mitte, wo – in Crowleys Worten – folgendes geschah: „Ich opferte mich selbst. Das Feuer der allsehenden Sonne schlug auf den Altar herunter und verzehrte jedes Teilchen meiner Persönlichkeit“.14

      In nüchternen Worten ausgedrückt, war etwas anderes passiert: Crowley hatte in einem homosexuellen Ritual zu Ehren des Gottes Pan Geschlechtsverkehr mit Neuburg. Pan, der Ziegenbock-Mann, war für die beiden Männer von besonderer Bedeutung. Crowley verehrte ihn als den diabolischen Gott der Wollust und der Magie, und Neuburg verfügte über ein, wie Bekannte es beschrieben, elfisches und „faunartiges“

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