Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

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Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов

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„herabgerufen“ oder beschworen. Eine erfolgreiche Beschwörung zeigt sich darin, dass der Neophyt von der Kraft der Gottheit „entflammt“, von ihr durchdrungen wird. Wenn es bei dem Ritual auf dem Berge so gewesen ist, dann würde sich Neuburg in jenem Moment in seiner magischen Funktion mit allem identifiziert haben, was der Bocks-Menschen-Gott repräsentiert. Einfach ausgedrückt, würde Neuburg mit seinen büscheligen „Hörnern“ zu Pan werden – dem „faunhaften“ und dennoch wilden Liebhaber aus Crowleys psychosexueller Welt. Auch wenn Crowley und Neuburg eine homosexuelle Beziehung hatten, war dies möglicherweise der erste magische homosexuelle Akt, den die beiden Männer vollzogen haben. Crowley gelangte schnell zu der Überzeugung, dass Sexualmagie ein unschlagbares Mittel war, um zu großer magischer Macht zu gelangen, und er wurde zu einem höchst erfinderischen Fachmann darin. Das Bild Pans sollte Neuburg für den Rest seines Lebens verfolgen. Es inspirierte ihn zu einigen seiner besten frühen Gedichte, doch später erfüllte es ihn mit Schrecken. Die Erfahrung war für beide Männer überwältigend, doch vorübergehend traumatisierte sie Crowley. Seine Zusammenfassung ist kurz: „Da war ein Tier in der Wildnis“, schreibt er, „doch das war nicht ich“.16

      An seine Rückkehr nach Bou Saada erinnerte sich Crowley nicht. Als er langsam wieder zu sich kam, wusste er jedoch, dass er nicht mehr derselbe war.

      Ich wusste, wer ich war, und erinnerte mich an alle Ereignisse meines Lebens; doch sah ich mich nicht mehr in ihrem Mittelpunkt … ich habe nicht existiert … Alle Dinge waren wie Schatten, die über die stille Oberfläche eines Sees streichen – ihr Bild hat keine Bedeutung für das Wasser, keine Macht, an seiner Stille zu rühren.17

      Crowley spürte, dass er zeremoniell den Abyssus überquert hatte – ein Begriff, der Anklänge an Nietzsche enthält (den Crowley überaus bewunderte), aber auch auf jene letzte schreckliche Reise hindeutet, die ein Magier unternehmen muss, bevor er berechtigt ist, Ansprüche auf die höchsten Einweihungsgrade zu erheben. Meister des Tempels zu sein – ein erleuchteter Einweihungsgrad, den in Crowleys eigenem magischen Orden nur jene erwerben konnten, die den Abyssus überquert hatten – bedeutete, sich von allem loszusagen, was das Leben ausmacht. Der Orden des Golden Dawn lehrte, dass diese Erkenntnis nicht diesseits des Todes zu erlangen sei, und Crowley bestätigte das auf seine Weise. Er lehrte, dass es nicht nur eines symbolischen Todes und einer Wiedergeburt bedürfe, um Meister des Tempels zu werden, sondern der Vernichtung des persönlichen Selbst. Der Abyssus stand daher in enger Verbindung mit dem Tod des Individuums – wenn auch nicht notwendigerweise auf der physischen Ebene.

      Wenige Tage später bereitete sich Crowley, der in der Folge seines „Opfers“ auf dem Da’leh Addin erkannt hatte, „ich habe nicht existiert“, formell darauf vor, die Prüfung des Abyssus zu durchlaufen. Er verstand, dass dies der Fall sein würde, wenn er es schaffte, John Dees zehnten Aethyr zu betreten. Er wusste, dass er im zehnten Aethyr den schrecklichen „Choronzon, den mächtigen Teufel, der den äußersten Abyssus bewohnt“18, treffen würde und ihn besiegen müßte. Er wusste auch, dass er dieses nur als Perdurabo, als magischer Adept, bewerkstelligen könne, und dass sein Erfolg von seiner Fähigkeit abhinge, Choronzon der Kraft seines magischen Willens zu unterwerfen. Die komplizierten Techniken, Rituale und das ganze Drum und Dran der magischen Praxis sind die Mittel, mit welchen ein Magier seinen Willen entwickelt und „entflammt“, das einzig wichtige Attribut, das ein Magier benötigt. Crowley verstand, dass die Kraft Choronzons nur durch die stille, aber erbarmungslose Anwendung des magischen Willens gebunden und unter Kontrolle gebracht werden konnte, und dass dies für ein erfolgreiches Überschreiten des Abyssus entscheidend wäre. Versagt der Magier darin, Choronzon seinem Willen zu unterwerfen, so wird er zu dessen Sklaven, und in der Folge wird Unheil über ihn kommen. Angesichts dessen und wegen der Warnungen, die er in den vorausgegangenen Aethyren empfangen hatte, änderte Crowley seine magische Vorgehensweise.

      Am 6. Dezember 1909 verließen Crowley und Neuburg Bou Saada und gingen weit in die Wüste hinaus, bis sie ein passendes Tal in den Dünen fanden. Dort zogen sie einen Kreis in den Sand, in den sie die verschiedenen heiligen Namen Gottes schrieben. Dann zeichneten sie nahe daran ein Dreieck, dessen Eingrenzungen sie ebenfalls mit göttlichen Namen und mit dem Namen Choronzon versahen. So entsprach es der korrekten magischen Praxis. Der magische Kreis bot dem Magier Schutz; in dem Dreieck sollten sich alle sichtbaren Manifestationen jener Kräfte zeigen, die Perdurabo herbeirief oder beschwor. In diesem Fall sollte der Vorgang der Beschwörung die physische Materialisierung des Dämons herbeiführen, der den Abyssus bewohnt. Drei Tauben wurden dazu geopfert, deren Blut in den drei Spitzen des Dreiecks verteilt wurde, wobei Crowley sorgsam darauf achtete, dass es innerhalb der Begrenzungen der Figur blieb. Das Blut diente zur leichteren Herbeiführung und Aufrechterhaltung der Manifestation, und dazu war es essentiell erforderlich, dass es innerhalb des Dreiecks verbliebe. An dieser Stelle betrat Neuburg den Kreis. Er war mit einem magischen Dolch bewaffnet und hatte die strikte Anweisung, diesen zu benutzen, wenn etwas – selbst, wenn dieses Etwas so aussah wie Crowley – versuchte, in den Kreis einzudringen. Auf Crowleys Veranlassung hin schwor Neuburg einen Eid, die Unverletzbarkeit des Kreises mit seinem Leben zu verteidigen. Dann wich Crowley, der in sein schwarzes Ritualgewand gekleidet war, erstaunlicherweise von der anerkannten magischen Praxis ab: anstatt sich zu seinem Chela in die relative Sicherheit des Kreises zu begeben, betrat er das Dreieck. Während Neuburg die Bannrituale des Pentagramms und des Hexagramms ausführte, die ihn schützen sollten, begab sich Crowley an die Anrufung des zehnten Aethyrs.19

      Der mächtige Choronzon kündigte sich unter dem großen Geschrei „Zazas, Zazas, Nasatanada Zazas“ im Schaustein an:

      Ich bin Ich. … Von mir kommen Lepra und Pocken und Pest und Krebs und Cholera und die Fallsucht. Ah! Ich werde dem Allerhöchsten bis zu den Knien hinaufreichen und seinen Phallus mit meinen Zähnen zerbeißen, und ich werde seine Hoden in einem Mörser zermalmen, und daraus werde ich Gift machen, um die Söhne der Menschen zu töten.20

      Wahrscheinlich hatte Crowley diese Worte geäußert. Danach jedoch verfiel er, soweit Neuburg sich erinnert, in Schweigen; er blieb, bekleidet mit seiner Robe und seiner Kopfbedeckung, in dem Dreieck im Sand sitzen, tief in sich zurückgezogen, und „bewegte sich oder sprach während der Zeremonie nicht mehr“.21 Doch Neuburg hörte, und er sah. – Anders als bei früheren Anrufungen, bei denen er nur als Sekretär fungiert hatte, erblickte er nun: Nicht Crowley war es, der in dem Dreieck saß, sondern das Wesen, das Crowley beschworen hatte. Vor ihm erschien Choronzon in Gestalt einer schönen Frau, die er einst in Paris kennen- und liebengelernt hatte, und die nun versuchte, ihn aus dem Kreis herauszulocken. Nach der Frau erschien ein heiliger Mann, dann eine Schlange.

      Langsam gelang es dem Dämon in seinen unterschiedlichen Manifestationen, den unerfahrenen Neuburg in Gespräche zu verwickeln. Er fuhr fort, ihn zu täuschen. Hatte er nicht – „O Geschwätziger“ – die Anweisung, keine Gespräche mit dem mächtigen Choronzon zu führen? Zweifellos hatte er diese Instruktion von Crowley erhalten, doch im Eifer des Gefechts vergaß er sich selbst. Während der heftigen Debatte, die folgte, und während Neuburg, der jede Einzelheit festhalten wollte, wild draufloskritzelte, begann Choronzon heimlich, die schützenden Ränder des Kreises im Sand zu verwischen. Plötzlich sprang Choronzon aus dem Dreieck in den Kreis hinein und rang Neuburg zu Boden. Der Schreiber fand sich selbst mit einem Dämon in Gestalt eines „nackten Wilden“ ringen, eines starken Mannes „mit Schaum vor dem Mund, der ihm mit seinen Fangzähnen die Kehle zerreißen wollte“. Neuburg rief die magischen Namen Gottes an, holte mit seinem Dolch aus und zwang die sich windende Gestalt schließlich zurück in das Dreieck. Der Chela reparierte den Kreis, und Choronzon wechselte mehrfach seine Gestalt und fuhr mit seinem wirren Gerede fort. Er schmeichelte, verführte, schimpfte, flehte und versuchte so, den Schreiber zu schwächen. Schlussendlich begannen die Manifestationen zu verblassen, und das Dreieck leerte sich.22

      Nun wurde Neuburg Crowleys gewahr, der allein in dem Dreieck saß. Er sah, wie Crowley mit seinem heiligen Ring den Namen BABALON in den Sand schrieb, was hier für die Überwältigung Choronzons stehen sollte.23 Die Zeremonie war abgeschlossen. Sie hatte mehr als zwei Stunden gedauert. Die beiden Männer entzündeten ein

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