Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

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Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов

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ist, dass er das „Ego“ streng im Freud’schen Sinne betrachtete – der Begriff wurde zwar in Übersetzungen Freuds übernommen, doch wurde er fast ein Jahrhundert lang auch verwendet, um das bewusste Subjekt zu bezeichnen und war unter Okkultisten allgemein bekannt –, machten Freuds Thesen um 1914 durchaus schon seit einigen Jahren die Runde. Auf alle Fälle fasst Crowley das Ego in „The Soul of the Desert“ klar erkennbar als das „Ich“ auf, das im Namen Aleister Crowleys spricht und behauptet, dass dieses „Ich“ die Spitze des Eisberges sei. In den 1920ern gebrauchte Crowley Schlüsselbegriffe der Psychoanalyse und erkannte an, dass die Freud’sche Theorie die Bestätigung für einige entscheidende Erkenntnisse aus der magischen Praxis bietet. Für Crowley und andere, ähnlich denkende, Magier untergrub die Psychoanalyse die Glaubwürdigkeit magischen Wirkens keineswegs. Sie präsentiert lediglich einen anderen Bericht über den heldenhaften Reisenden und über die Landschaft, die er oder sie bereist.55 Crowley machte zwar deutlich, dass er Freuds Theorien von der Beziehung des Bewussten mit dem Unbewussten zustimmte, doch hob er hervor, dass Freud erst etwas spät zu seinen Schlussfolgerungen gekommen sei. Nach Crowleys Verständnis artikulierte der Vater der Psychoanalyse lediglich das, was Magier bereits seit Jahrhunderten gewusst hatten.56

       Die Linie im Sand auslöschen

      Es war eher die magische Praxis denn die psychoanalytische Theorie, die Crowley zeigte, dass die scheinbare Kohärenz menschlichen Selbstseins eine Illusion ist. Obwohl Crowley an der Vorstellung eines verborgenen, essentiellen „Selbst“, eines einzigartigen Wesenskerns im Herzen des Menschen, festhielt, lehrte ihn die Magie, dass das „Ich“ des Aleister Crowley nur ein mögliches Selbst unter vielen war. Die furchtbarste Lektion, die Crowley zu lernen hatte und die er in der Wüste lernte, war jedoch, dass es genau dieses „Ich“ ist – das einem dem Anschein nach seinen Platz in der weltlichen Ordnung sichert –, das seine Auflösung in den Qualen des Abyssus durchlaufen muss. Crowley begriff den Abyssus als eine große Kluft zwischen der „verständlichen Intuition“ und dem „Intellekt“. Andere Kommentatoren betrachteten den Abyssus als „eine imaginäre Kluft“ zwischen dem Realen und dem Idealen, oder als „die Kluft zwischen individuellem und kosmischem Bewusstsein“.57 Wie bei jeder magischen Praxis kann der Abyssus aber auch eine plastische Repräsentation seiner angenommenen Eigenschaften in physischer Form manifestieren. Doch ob man ihn nun symbolisch oder wörtlich begreift: die Überschreitung des Abyssus beinhaltet in jedem Fall die endgültige und unwiderrufliche Aufgabe des „Ich“ und des damit einhergehenden Anspruchs einer Alleinherrschaft des Rationalen.

      Die Konfrontation mit dem Abyssus und seinem dämonischen Wächter Choronzon wird von einer mentalen Krise eingeleitet, einem „schrecklichen Höhepunkt des Geistes“; um den Abyssus zu überschreiten, „muss man gänzlich und für immer all das aufgeben, was man hat und ist“. Was Crowley erkannte, bezeichnen Mystiker als „die völlige Hingabe des Selbst an Gott“ – den mystischen Tod als Voraussetzung für die mystische Vereinigung; in weltlichen Begriffen ausgedrückt, wird „der menschliche Intellekt zum Schweigen gebracht“.58 Crowley, der in der magischen Tradition geschult war, hatte die Vorstellung, dass sowohl Choronzon als auch der Abyssus äußere Realitäten seien, und er machte auch später keine Anstalten, diese Sichtweise zu ändern. In der Sprache der Psychoanalyse, die Crowley sich später dennoch zueigen machte, lässt sich sagen, dass Choronzon zugleich eine Manifestation der dunklen, unterdrückten Seelenanteile ist. Nach dieser Deutung ist der große, widerständige Schrei Choronzons, „Ich bin Ich“, gleichermaßen des Magiers letzter Ausruf des Entsetzens und Schreckens, als er kopfüber in den Abyssus stürzt, und die aufkommende Stimme des unbekannten und unbegleiteten Unbewussten. Gekennzeichnet von Zusammenbruch, Zerstreuung und Chaos – Eigenschaften, die wir auch in der zersplitternden Erfahrung der Moderne wieder finden – ist der Abyssus sowohl symbolisch als auch real. Er steht sinnbildlich für den Zusammenbruch – den Zusammenbruch des persönlichen Selbstgefühls, wie es sich im Ego manifestiert, für die Abkopplung des Körpers vom „Ich“ und die Auflösung des Alltagsbewusstseins. Er markiert die formelle Auslöschung der Grenze zwischen dem Bewussten und den Unbewussten, eine Auslöschung, die der künftige Magus absichtlich heraufbeschwören muss. Die erfolgreiche Überwindung des Abyssus ist die ultimative Prüfung hoher Einweihung. Der Magus ist jemand, der in der Lage ist, eine harmonische Beziehung mit dem Unbewussten einzugehen und damit „Wandel im Einklang mit dem Willen“ herbeizuführen.59

      Der Magier, dem die Überschreitung des Abyssus gelingt, ist ein Eingeweihter, der vollständige Kontrolle erlangt hat, so dass er sich dem Zerfall seiner Persönlichkeit preisgeben und sich von allem Wissen vom und jeglicher Wahrnehmung des „Ich“ loslösen kann, während er die Kraft und Autorität des magischen Selbst und des magischen Willens behält und behauptet. Der Adept, der aus dieser Erfahrung unbeschadet hervorgeht, hat den entfesselten Furien des Unbewussten gegenübergestanden und sie in sich aufgenommen, nicht mittels der Patrouillenmanöver des kurzsichtigen Ego, sondern durch eine unendlich klarsichtige und allgewaltige magische, vom persönlichen Selbst losgelöste Persönlichkeit. So gesehen, ist der Magus ein magischer Eingeweihter, der einen flüchtigen Blick auf die vollständigen Verwicklungen seiner Subjektivität erhascht hat. Für immer verloren ist das begrenzende und begrenzte Verständnis vom „Ich“ als endlichem Mittelpunkt seines Universums. Er hat das Unbewusste betreten und erkennt die Durchlässigkeit seiner Grenzen. In Crowleys Fall hatte er für sich selbst erfahren, dass Choronzon fähig war, die Linie im Sand auszulöschen.

      Crowleys Bericht von den Ereignissen in der Wüste ist in der unmittelbaren Sprache des Realismus geschrieben. Er macht aus seinen Erlebnissen keine psychoanalytische Interpretation. Crowley behandelt die Episode als magische Unternehmung und präsentiert sie als klaren Beweis dafür, dass er das erleuchtete Bewusstsein erlangt hat. Das erste Erlebnis erhöhter Wahrnehmung empfand er nach dem Opfer auf dem Da’leh Addin: „Ich wusste, wer ich war … [aber] ich existierte nicht“. Mit anderen Worten verstand Crowley, dass dieses „Ich“ nur eine bequeme Fiktion war, um einen Aspekt der Realität zu erfassen. Nach seiner Konfrontation mit Choronzon nahm Crowley an, dass er die Erkenntnisse des wahren Magus, des Meisters des Tempels, erlangt hatte:

      Ich begriff, dass das Leid keine Substanz hat; dass nur meine Ignoranz und mangelnde Intelligenz mich dazu gebracht hatten, an eine Existenz des Bösen zu glauben. Sobald ich meine Persönlichkeit zerstört und sobald ich mein Ego abgestreift hatte, für welches das Universum in der Tat eine fürchterliche und tödliche, mit allen Formen der Angst belastete Gewalt war, war dieses nur noch in Verbindung mit dieser Vorstellung vom „Ich“ der Fall; so lange „ich ich bin“, muss alles andere feindlich erscheinen.60

      Nachdem Crowley sein Ego „abgestreift“ hatte und nichts im Universum mehr als „fürchterliche und tödliche Gewalt“ empfinden konnte, war ihm jede neue Erfahrung höchst willkommen; zu differenzieren weigerte er sich. Die leichtsinnige Verantwortungslosigkeit und Amoralität seines späteren Gebarens ist Legende. Zunehmend integrierte er „abstoßende Rituale“ in seine magischen Praktiken, und in den 1920er Jahren hatte er seinen Ruf als „König der Verderbtheit“ und „Bösester Mann der Welt“ gefestigt – ein Ruf, der (fälschlicherweise) sogar eine Neigung zum Ritualmord einschloss.61

      Kritische Beobachter meinen, dass Crowley 1909 schließlich sein wahres Potential ausgeschöpft hätte und verrückt geworden sei. Aus magischer Sicht würde man dies als fehlgeschlagene Bezwingung des Dämons Choronzon und Erliegen dessen Fluches betrachten. Gewiss räumte Crowley ein, sich in der Folge seiner Erlebnisse von 1909 äußerst einsam und verloren gefühlt zu haben; auch im materiellen Sinne „ist es ständig schwieriger geworden, liquide zu bleiben“.62 Anscheinend fiel es Crowley mit der Zeit immer schwerer, zwischen dem erleuchteten magischen Selbst, das sich nach eigenem Ermessen Zugang zum Unterbewussten verschafft und keine Beschränkungen anerkennt, und dem Mann Aleister Crowley, der in der Welt funktionieren muss, zu unterscheiden. Um in der Welt zu zurechtzukommen, braucht man ein stabiles persönliches Identitätsgefühl, ein klar definiertes Ego – auch wenn dieses Ego nur als Teil einer unendlich komplexen Geschichte verstanden wird. Der Magus kann sich mit Leichtigkeit

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