Aleister Crowley & die westliche Esoterik. Группа авторов

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Aleister Crowley & die westliche Esoterik - Группа авторов

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Eskapaden sowohl sexueller als auch gewalttätiger Natur sind, wird in der sensationellen Bühnenfassung deutlich, die im August 1888 in London uraufgeführt wurde. In W. T. Steads Pall Mall Gazette wurde das Theaterstück mit den grausamen Morden Jack the Rippers in Verbindung gebracht, der in jenem Herbst im Londoner East End fünf Prostituierte umgebracht hatte. Der darauf folgende Skandal eskalierte dermaßen, dass die Aufführungen schließlich eingestellt werden mussten.49

      In Dr. Jekyll and Mr. Hyde werden spezifische, die bürgerliche Männlichkeit betreffende Ängste artikuliert. Um die 1880er Jahre herum hatte das konventionelle Bild vom zurückhaltenden, disziplinierten und gottesfürchtigen Gentleman als Inbegriff des respektablen männlichen Mittelklassebürgers einige tiefe Risse bekommen. Die spätviktorianischen Sorgen über Prostitution, Pornographie, Geschlechtskrankheiten, das moralische Wohl der Kinder und die Sicherheit ehrbarer Frauen auf städtischen Straßen konzentrierten sich in einer Reihe öffentlicher Kampagnen, die die männliche Sexualität als rücksichtslos und gefährlich darstellten.50 Gemäß der Rhetorik dieser Kampagnen gaben verheiratete wie alleinstehende Männer gleichermaßen Anlass zur Besorgnis. Tatsächlich wuchs, obwohl das Ehebett und die angeblich erlösenden Qualitäten reiner viktorianischer Weiblichkeit üblicherweise als Bollwerk gegen die männliche Lasterhaftigkeit betrachtet wurden, der Gedanke, dass die Ehe lediglich eine lizenzierte Form der sexuellen Ausbeutung von Frauen war. Eine undifferenzierte „männliche Lust“ wurde für die scheinbar endemische Verbreitung des „Lasters“ verantwortlich gemacht, und Gemeinschaften der Sittlichkeitsbewegung und der Wachsamkeitskomitees machten im ganzen Land zur Bekämpfung dieser Einflüsse mobil. Obwohl Stevenson jegliche indirekte Bezugnahme auf Sexualität in seinem Roman von sich wies, wurde die männliche Welt, die er darin beschrieb, von weiten Kreisen als das Milieu einer bildlichen Darstellung des minderwertigen Hyde betrachtet, der in Jedermann steckt – des abscheulichen und mörderischen Lüstlings, der unter der Oberfläche urbaner Höflichkeit schlummert. Die Aufführung von 1888 machte das Ziel der Gelüste des Schurken deutlich.

      „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ beschäftigt sich jedoch ebenfalls zentral mit der Vorstellung von einem gespaltenen Selbst und ist gleichermaßen eine Wiederaufnahme des Begriffs der gespaltenen Persönlichkeit, der die um die Jahrhundertwende verbreitete Faszination für Dualität, Zersplitterung und Verfall ansprach. Im Roman kann Dr. Jekyll von seinem anderen Selbst, seinem „Teufel“, nur in der dritten Person – der „Er-Form“ – sprechen („Er, sage ich – ich kann nicht Ich sagen“), während der Trank, der die Macht hat, einen Jekyll in einen Hyde zu verwandeln, einen Überfall auf die „wahre Festung der Identität“ repräsentiert.51 Die in dem Roman mitschwingende Infragestellung des Konzepts eines einheitlichen Selbst als einziger Quelle der Identität fand ihren Widerhall auch andernorts, als das Jahrhundert seinem Ende entgegen ging, was in den zeitgenössischen Diskussionen über den menschlichen Geist wahrscheinlich besonders ausgeprägt war. Tatsächlich gibt es einige Hinweise, dass Stevenson mit den Entwicklungen der Psychologie in Europa vertraut gewesen und von einer „wissenschaftlichen“ Abhandlung über das „Unterbewusstsein“, die er in französischer Sprache gelesen hatte, „zutiefst beeindruckt“ gewesen sei.52 Das Interesse an den unerschlossenen Territorien des Geistes und des Bewusstseins sowie an den Verbindungen zwischen Geist, Körper und sexueller Perversion verbreitete sich in der spätviktorianischen Zeit explosionsartig, was sich in vielen Neuerungen auf dem relativ neuen Feld der medizinischen Psychologie, in der Pionierarbeit von Sexualforschern und der Gründung der Society for Psychical Research in London niederschlug.53 In Frankreich wagte der renommierte Neurologe Jean-Martin Charcot kühne Interpretationen der körperlichen Manifestationen psychischer Zustände, während Sigmund Freud, der in den 1880er Jahren mit Charcot zusammenarbeitete, versuchte, die zwangsläufige Verbindung zwischen physischer Ursache und psychischer Auswirkung zu durchtrennen. Die Society for Psychical Research, die sich vieler führender internationaler medizinischer Psychologen unter ihren Mitgliedern rühmte, verfolgte diese Debatten und partizipierte daran mit dem Bestreben, das Wesen numinaler Erfahrung und psychischer Phänomene (im Sinne von übernatürlichen und paranormalen Erscheinungen) vollständiger zu begreifen.54 Was diese verschiedenen Annäherungen und Programme verband, war der einvernehmliche Einsatz für ein klareres Verständnis der Vielschichtigkeit emotionaler und psychischer Erfahrungen.

      Eine wachsende Aufmerksamkeit wurde auf das Rätsel unerklärlicher körperlicher Symptome gelenkt, wie Hysterie, gespaltene und multiple Persönlichkeiten und veränderte Bewusstseinszustände. Zur selben Zeit galten bisher bewährte Erklärungsmodelle, nach denen ein einziges, stabiles Bewusstsein die Wurzel allen menschlichen Verhaltens sei, plötzlich als veraltet und nicht mehr stimmig. Das Haus des Geistes, so schien es, bestand aus mehreren Räumen – einige davon waren dunkel, unterirdisch und schwer zu betreten. Der menschliche Geist offenbarte sich als ein Labyrinth, von dem nur einige Teile der bewussten Selbstkontrolle zugänglich waren. Diese Interpretation deutet an, dass die Psyche eher als geteilt und fragmentiert zu verstehen ist denn als einheitliche Ganzheit. Extreme Verfechter dieser These gingen davon aus, dass der Geist – als Sitz der bewussten Identität – sich in einem dauerhaften Zustand der Anomie befindet. Ob beabsichtigt oder nicht: diese neuen Forschungsgebiete implizierten einen Angriff auf die Integrität des vernünftigen, selbstbestimmten Individuums.

      Die Gründung des Order of the Golden Dawn fiel mit diesen zeitgenössischen Entwicklungen zusammen; ich würde sogar sagen, sie sprach diese direkt an. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Astralreisen oder fortgeschrittene magische Praktiken, mittels derer die Adepten lernten, ein zweites magisches Selbst zu entwickeln, um ausgedehnte Ausflüge in Welten zu unternehmen, die gleichzeitig sowohl als innerlich wie auch als äußerlich konzipiert waren, im Zentrum der Blütezeit des okkulten Wiederauflebens standen. Doch während man diese Übungen als bemerkenswerte und anhaltende Erkundungen der Psyche interpretieren kann, war den Magiern des späten neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts nicht an der Theoretisierung des Geistes gelegen. Sie waren von magischen Unternehmungen besessen, und ihre Auffassung dieses Unterfangens drückte sich in den entsprechenden Begriffen aus. Magiern war sicherlich bewusst, dass die Anwendung magischen Wissens und magischer Kräfte auch das innere Reisen beinhaltet, doch sprachen sie nicht von der Psyche, sondern von „Aethyren“ und „Ebenen“. Die magische Praxis diente dazu, diese Ebenen zu verstehen und Kontrolle über sie zu erlangen, und die Adepten grübelten nicht übermäßig darüber nach, ob solche Reiche über eine objektive oder subjektive Existenz verfügten oder nicht. Was zählte, war, dass die magische Erfahrung mit anderen Magiern geteilt und von diesen verifiziert werden konnte, und die Authentizität wurde nach dem Erfolg der gewünschten Ergebnisse bewertet. Die unbedingte Realität der Erlebnisse wurde angenommen, ohne sie zu hinterfragen.

      Das Bestreben der magischen Praxis lag darin, ein macht- und wirkungsvolles zweites Selbst zu erschaffen, das die Sphären jenseits der bewussten Wahrnehmung erkunden würde. Dieses zweite Selbst war jedoch keine getrennte Persönlichkeit, wie etwa bei einem spiritistischen Medium oder bei psychischen Störungen. Als Crowley andeutete, dass die Existenz seiner beiden Persönlichkeiten, der eingeweihten und der „nicht eingeweihten“, dem gespaltenen Selbst des Dr. Jekyll ähnele, bestätigte er damit einfach den Bezug des Romanthemas zur magischen Praxis. Der Hauptunterschied zwischen ihm selbst und Dr. Jekyll bestand in der Tatsache, dass Crowleys „zwei Persönlichkeiten an sich ausgeglichen und in sich abgeschlossen [waren]“. Crowley hätte wohl auch gesagt, dass Perdurabo kein Monster war. Er war ein in die Magie eingeweihtes Selbst und repräsentierte in keiner Weise eine persönliche Identitätskrise. Der Punkt ist, dass ein erfahrener Magier durch eine ritualisierte Abfolge von Praktiken die eingeweihte Persönlichkeit unter Kontrolle hat; er (oder sie) kann nach Wunsch darauf zugreifen und sie mit dem weltlichen Selbst in perfektem Gleichgewicht halten. Für den wahren Adepten gibt es kein Verwischen der Grenzen. Im magischen Sinne bestätigte Crowley nicht nur ein Selbst, sondern viele (über die Zeit gesehen). Und aufgrund seiner magischen Übung erlebte er diese nicht als problematische Spaltung: „Es war wie bei Jekyll und Hyde, doch mit beiden Persönlichkeiten ausgeglichen und in sich abgeschlossen“.

      Nachdem das neue Jahrhundert begonnen hatte, fing Crowley an, das begriffliche Wörterbuch der Magie um Erkenntnisse aus der Erforschung des Geistes zu

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