Mit Kindern wachsen. Jon Kabat-Zinn
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mit Kindern wachsen - Jon Kabat-Zinn страница 7
Natürlich gibt es auch Signale, die hoffnungsvoll stimmen. Viele Eltern sehen ihre Aufgabe als heilige Herzensaufgabe an und entwickeln, oft trotz großer Hindernisse und Schwierigkeiten, kreative und einfühlsame Wege, ihre Kinder anzuleiten und zu fördern. Überall im Land ergreifen Menschen die Initiative und organisieren Vorbereitungskurse für Eltern, Kurse zu grundlegenden Kommunikationsfähigkeiten, zur Gewalt-Prävention und Stress-Reduzierung sowie Beratungsdienste für Eltern und Familien.
Es gibt auch zahlreiche Gruppen, die sich für den Aufbau und die Weiterentwicklung des Gemeinschaftslebens engagieren und sich politisch für die Interessen von Kindern einsetzen. Zahlreiche Bücher beleuchten die Rolle von Achtsamkeit, Gewahrsein und Einfühlung im Elterndasein. William und Martha Sears’ Baby Book liefert einen Bezugsrahmen, wie die Bedürfnisse von Babys und Kleinkindern gewürdigt werden können. Dan Hughes’ Buch „Attachment-Focused Parenting: Effective Strategies to care for children“ und das Buch „Parenting from the Inside out“ von Dan Siegel und Mary Hartzell verbinden neurowissenschaftliche Forschung zur Interpersonalität mit der Forschung zu Bindungsverhalten und zur Achtsamkeit. Nancy Bardackes Buch „Mindful Birthing: Training the Mind, Body and Heart for Childbirth and Beyond“ ist eine Pionierarbeit zum Thema Achtsamkeit, Gewahrsein und Elternschaft. Und ständig erscheinen neue Bücher zu diesen Themen
Doch sind die Probleme andererseits gewaltig, ja geradezu überwältigend. Wir leben in einer Zeit, in der es für Familien immer schwerer wird, Kinder auf gesunde Weise aufwachsen zu lassen. In vielen Haushalten ist heutzutage kein Erwachsener zu Hause, wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen, weil sowohl beide Eltern als auch die Nachbarn arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Kinder bleiben sich deshalb in ihrer Freizeit häufig selbst überlassen. Manchmal haben sie mehr Kontakt zur Welt von Fernsehen und Internet als zu liebevollen und fürsorglichen Erwachsenen. Dass Kinder tagtäglich die Liebe, Unterstützung und Energie und das Interesse lebendiger Erwachsener und älterer Menschen erleben, die sie achten, wird in unserer Gesellschaft immer seltener.
Doch wir haben trotz der ungeheuer starken gesellschaftlichen Kräfte, die auf unser eigenes Leben und das Leben unserer Kinder einwirken, immer auch die Freiheit, als Individuen bewusst darüber zu entscheiden, wie wir mit den Umständen unseres Lebens umgehen wollen. Wir alle haben – meist mehr, als wir ahnen – das Potenzial, einen eingeschlagenen Weg zu hinterfragen und zu prüfen, ob er das widerspiegelt, was wir ersehnen und was uns wirklich wichtig ist. Wir haben immer die Möglichkeit, unser Leben aufmerksamer und bewusster zu leben, vor allem, wenn es unsere Kinder betrifft.
Die Schritte auf diesem eigenen Weg werden wesentlich leichter und sicherer wenn wir einen umfassenden Bezugsrahmen haben, innerhalb dessen wir untersuchen und verstehen können, was wir tun und um was wir uns vielleicht noch kümmern müssen. Einen Bezugsrahmen, der uns hilft, nicht vom Weg abzukommen, auch wenn sich die äußere Situation ständig verändert und oft nicht klar ist, welchen Schritt wir als nächsten tun müssen. Achtsamkeit kann uns einen solchen Rahmen bieten.
Beispielsweise kann es schon wichtige Türen in unserem Geist öffnen, wenn wir es schlicht für möglich halten, dass wir bestimmte Situationen auch anders sehen können, als wir es im Augenblick tun, und dass uns in jedem Augenblick mehr Handlungsmöglichkeiten offen stehen, als uns klar ist.
Achtsamkeit in die verschiedenen Aspekte unseres Tagesablaufs hineinzutragen, könnte eine ganz praktische und zugleich von Grund auf positive Alternative zu jenem getriebenen, automatischen Dahinleben sein, in dem wir oft einfach nur funktionieren, ohne es überhaupt zu merken. Das ist besonders wichtig für uns als Eltern, die wir ja versuchen, den vielen Pflichten und Anforderungen gerecht zu werden, die wir Tag für Tag auf uns nehmen, während wir gleichzeitig für unsere Kinder und ihre inneren und äußeren Bedürfnisse sorgen – in einer Welt, die zunehmend komplizierter und stressreicher wird.
Was heißt „Achtsamkeit in der Familie“?
Die Praxis der Achtsamkeit in der Familie ruft uns dazu auf, den Möglichkeiten, positiven Entwicklungschancen und Herausforderungen des Eltern-Seins mit einem neuen Bewusstsein und einer besonderen inneren Haltung zu begegnen. Sie bringt nicht nur mit sich, dass uns das, was wir tun, als wichtig erscheint, sondern zeigt uns, dass unser bewusstes Engagement als Eltern im wahrsten Sinne des Wortes das Wichtigste ist, was wir tun können – sowohl für unsere Kinder als auch für uns selbst.
Dieses Buch befasst sich mit den verschiedensten Aspekten dessen, was Eltern erleben. Es beschreibt, wie wir die Bedürfnisse unserer Kinder so umfassend wie möglich befriedigen können, indem wir eine bestimmte Art von Gewahrsein oder Bewusstheit entwickeln. Mit Hilfe dieses Gewahrseins, das auch Achtsamkeit genannt wird, können wir zu einem tieferen Verständnis für unsere Kinder und uns selbst gelangen. Achtsamkeit ermöglicht es, hinter den oberflächlichen Anschein der Dinge vorzudringen und klarer zu sehen, wie unsere Kinder wirklich sind. Mit Hilfe der Achtsamkeit können wir sowohl in unser Inneres schauen als auch die Außenwelt betrachten und aufgrund dessen, was wir dabei sehen, in unserem Handeln ein gewisses Maß an Weisheit und Mitgefühl entwickeln. Wenn Eltern sich bei allem, was sie tun, um Achtsamkeit bemühen, so kann das eine sehr heilende und transformierende Wirkung haben – sowohl auf ihre Kinder als auch auf sie selbst.
In Teil IV des Buches werden wir sehen, dass man das Leben mit Kindern im Geiste der Achtsamkeit wie eine außergewöhnlich lange und zuweilen sehr anstrengende Meditationsklausur verstehen kann, die einen großen Teil unseres Lebens umfasst. Und wir können unsere Kinder als uns ständig fordernde Hauslehrer sehen, die uns von ihrer Geburt bis weit in ihr Erwachsenenleben hinein begleiten und schulen. Sie geben uns zahllose Gelegenheiten, mehr darüber zu erfahren, wer wir sind und wer sie sind. Dies wiederum gibt uns die Möglichkeit, mit den wichtigen Dingen in Kontakt zu bleiben und unseren Kindern zu geben, was sie für ihre Entwicklung am dringendsten brauchen. Vielleicht stellen wir im Laufe der Zeit fest, dass uns dieses Gewahrsein von Augenblick zu Augenblick von einigen der blockierendsten Gewohnheiten der Wahrnehmung und unserer Art, zu anderen Menschen in Beziehung zu treten, befreit – von den Zwangsjacken und Gefängnissen des Geistes, die die Vorgänger-Generation an uns weitergegeben hat oder die wir auf irgendeine Weise selbst geschaffen haben. Unsere Kinder können uns durch ihre bloße Gegenwart und oft ohne Worte oder Diskussionen dazu inspirieren, diese innere Arbeit zu tun. Je besser es uns gelingt, uns die dem Wesen unserer Kinder eigene Ganzheit und Schönheit zu vergegenwärtigen – insbesondere dann, wenn es uns gerade schwerfällt –, umso tiefer wird unsere Fähigkeit, achtsam zu sein. Je klarer wir sehen, desto besser, großzügiger und klüger können wir auf sie eingehen.
Wenn wir es uns zur Aufgabe machen, sie auch innerlich zu fördern und zu verstehen, wer sie sind, dann werden uns unsere „Hauslehrer“ insbesondere in den ersten zehn oder zwanzig Jahren unserer „Ausbildung“ unendlich viele Augenblicke des Staunens und der Glückseligkeit bescheren sowie zahllose Gelegenheiten, tiefste Gefühle der Verbundenheit und Liebe zu erfahren. Ebenso wahrscheinlich ist, dass sie zielsicher alle unsere wunden Punkte finden, alle unsere Unsicherheiten, an allen unseren Grenzen rütteln und all das in uns anrühren, wovor wir Angst haben und worin wir uns unzulänglich fühlen. Wenn wir bereit sind, das ganze Spektrum unserer Erfahrungen wirklich bewusst zu erleben, werden sie uns immer wieder an das Wichtigste im Leben erinnern – einschließlich seiner Mysterien.
Unsere Aufgabe als Eltern ist teilweise deshalb besonders intensiv und anstrengend, weil unsere Kinder von uns Dinge fordern, die niemand anders von uns fordern könnte und wie es niemand anders tun könnte oder würde. Sie kommen uns so nah wie kein anderer Mensch, und sie zwingen uns ständig, in den Spiegel zu schauen, den sie uns vorhalten. Dadurch geben sie uns immer wieder die Chance, uns auf neuartige Weise zu sehen und uns bewusst zu fragen, was wir aus jeder Situation lernen können, die wir mit ihnen erleben. Aus diesem Gewahrsein heraus können wir dann Entscheidungen treffen, die gleichzeitig dem inneren Wachstum unserer Kinder und unserer