Das heilende Potenzial der Achtsamkeit. Jon Kabat-Zinn

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Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn

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jedem einzelnen molekularen Profil in unserem Körper (Zellmembranen, Muskelproteine, Hormone und so weiter)… Durch diese verteilte Interdependenz wird ein globales Gleichgewicht hergestellt, sodass die Moleküle meiner Haut in Kommunikation mit den Zellen meiner Leber stehen, weil sie durch dieses zirkulierende Netzwerk des Immunsystems wechselseitig beeinflusst werden. Aus der Perspektive der Netzwerk-Immunologie ist das Immunsystem nicht anderes als etwas, was die ständige Kommunikation zwischen den Zellen unseres Körpers ermöglicht, so wie die Neuronen voneinander entfernte Orte im Nervensystem miteinander verbinden (…) Zellen des Immunsystems sterben etwa in einem Rhythmus von zwei Tagen ab und werden durch neue ersetzt [bei einigen ist das der Fall, andere leben viel länger, Wochen oder sogar Monate], so wie Menschen in einer Gesellschaft nach einer bestimmten Zeit sterben und ständig wieder Kinder geboren werden. Auf sehr komplexe Weise bildet die Gesellschaft die Kinder aus diesem Reservoir dazu aus, verschiedene Aufgaben zu übernehmen. Auf diese Weise erneuert das System seine Bestandteile. Es kommt zu Lernen und Erinnerung, weil neue Zellen durch «Erziehung» in das System eingepasst werden. Die neuen Zellen sind nicht mit den alten identisch, aber sie spielen dieselbe Rolle für den übergeordneten Zweck des emergierenden globalen Bildes…

      Wir sind es nicht gewohnt, uns den Körper als ein Selbst vorzustellen, das ein ebenso komplexes Ding ist wie unser kognitives Selbst, aber wir funktionieren tatsächlich auf diese Weise (…) Um wieder zu meiner sozialen Analogie zurückzukehren: Ich kaufe mein Brot jeden Tag bei einem Bäcker in Paris, dessen Familie diese Bäckerei bereits seit 200 Jahren betreibt. Er ist Teil der Gesellschaft und weiß, wie er sein Brot zu backen hat. Wenn ich eines Tages plötzlich einen anderen Bäcker in derselben Bäckerei vorfinde, der vielleicht die gleichen Dinge tut und das gleiche Brot verkauft, wird das trotzdem nicht dasselbe sein. Mein Bäcker gehört aufgrund der langen Geschichte seiner Interaktionen an diesen Ort; er kennt die Leute des Viertels schon seit Langem und sie sprechen eine gemeinsame Sprache. Sie könnten versuchen, diesen französischen Bäcker zu imitieren, aber wenn Sie nicht die richtige Geschichte haben und dieselbe Sprache und Fähigkeit zur Kommunikation besitzen, dann werden die Nachbarn Sie ablehnen. Was meine Zellen an ihrem Ort etabliert und es meinen Leberzellen erlaubt, sich als Leberzellen zu verhalten, meinen Thymuszellen erlaubt, sich als Thymuszellen zu verhalten und so weiter, das ist die Tatsache, dass sie diese gemeinsame Sprache besitzen, sodass sie in einem Kontext miteinander operieren können. Auf ähnliche Weise weiß der Bäcker, dass auch der Bankier zu seiner Gemeinschaft gehört, selbst wenn der Bankier etwas ganz anderes tut. Da wir so sehr an das Funktionieren unseres Körpers gewöhnt sind, wissen wir die Komplexität dieses emergierenden Prozesses, der sein Funktionieren aufrechterhält, gar nicht mehr zu würdigen. So ähnlich wie im menschlichen Gehirn, bei dem das Erinnerungsvermögen oder die Empfindung eines Selbst emergierende Eigenschaften aller Neuronen sind, gibt es im Immunsystem eine emergierende Fähigkeit, den Körper zu erhalten und eine Vergangenheit mit ihm zu haben, – ein Selbst zu haben. Als emergierende Eigenschaft ist das etwas, was entsteht, das aber nicht irgendwo existiert… Meine körperliche Identität ist nicht in meinen Genen oder in meinen Zellen lokalisiert, sondern im Komplex ihrer Interaktionen.«

      Wir können uns an diese vitale und dynamische Perspektive erinnern, wenn wir uns in Band 4 mit der Metapher der Welt als lebendigem Körper beschäftigen.

      Keine Fragmentierung

      

Wie Sie inzwischen dadurch, dass Sie den Aktivitäten Ihres eigenen Körpers und Geistes von Moment zu Moment etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben, vielleicht schon in gewissem Ausmaß erfahren haben, neigen wir innerlich wie äußerlich dazu, ein stark fragmentiertes Leben zu führen. Zu dieser Fragmentierung tragen wir dadurch bei, dass wir zeitweilig vergessen, wer wir unserem tiefsten Wesen nach tatsächlich sind, sowie auch durch den Impuls, nicht so zu sein, wie wir sind, sondern so, wie andere oder wir selbst uns am liebsten haben würden. Auf diese Weise spalten wir uns von uns selbst ab. Wir spalten uns auf, um Trugbildern nachzujagen, manchmal für Jahre oder gar Jahrzehnte, und in diesem Prozess verlieren wir den Kontakt zu unserer wahren Natur, zu unserer Souveränität, und verraten mitunter die Schönheit dessen, was wir tatsächlich sind, sowie unsere ungeteilte und unteilbare Ganzheit. Dies ist ein Symptom unserer endemischen Überlastung und unseres Un-Wohlseins als Individuen und als Gesellschaft. Vielleicht ist dieses Abspalten von uns selbst der grundlegende Konflikt. Vielleicht ist das sogar der Kern aller Konflikte.

      Heilwerden ist ein Prozess, zu dem gehört, dass wir unsere Ganzheit anerkennen und uns standhaft dagegen wehren, uns fragmentieren zu lassen, selbst wenn wir vor etwas Angst haben oder vom Leben zerbrochen werden. Heilwerden heißt letztlich, dass wir mit den Dingen, so wie sie sind, Frieden schließen, statt ständig darum zu ringen, sie zu zwingen, so zu sein, wie sie einmal waren oder wie wir sie gern haben würden, damit wir uns sicher fühlen können, oder einfach, um unseren Willen zu bekommen. Wie mein Freund und Kollege Saki Santorelli gesagt hat, geht es bei Heilung darum, zu wissen, dass wir zerbrochen und doch ganz sein können.

      Emily Dickinson formulierte diesen endemischen Impuls, Teile von uns selbst abzuspalten, uns angesichts unserer eigenen Ängste und Wunden zu fragmentieren, mit unglaublicher Prägnanz:

       Mich zu verbannen aus mir selbst

       – besäße ich die Kunstfertigkeit –

       meine Festung wäre uneinnehmbar

       für jedes Herz.

       Doch da ich selbst es bin, der mich belagert –

       wie könnt ich Frieden finden,

       wenn nicht, indem ich das Bewusstsein

       unterwürfe?

       Und da wir beide für einander Herrscher sind,

       wie könnt dies sein,

       wenn nicht durch Abdankung –

       des Ich – von mir?

      Wie oft verbannen wir uns freiwillig, doch ohne uns dessen bewusst zu sein, aus uns selbst, wie oft geben wir unsere Ganzheit auf, wie oft unterwerfen wir unser Bewusstsein, unsere Empfindungsfähigkeit und unseren gesunden Menschenverstand, unsere Souveränität und die Möglichkeiten wahrer Heilung in der Hoffnung, Unverletzlichkeit zu finden, uns selbst vor weiteren Schmerzen zu bewahren und unser Leiden zu lindern?

      Was ist der Preis, den wir für eine solche Abdankung zahlen? Und ist er die Sache wert?

      Was wäre, wenn wir uns entschlössen, mutig zu sein und unser Bewusstsein nicht mehr zu unterwerfen? Oder es wenigstens für einen Moment nicht mehr zu tun?

      Wer wären wir dann?

      Wie würden wir uns im Inneren fühlen?

      Wie würden wir uns nach Außen verhalten?

      Keine Trennung

      

Albert Einstein, der über eine tiefere Einsicht in die Natur von Zeit und Raum, von Masse und Energie, von Licht und Schwerkraft verfügte als seine Zeitgenossinnen, erkannte, welch blind machende Wirkungen Begehren und Anhaften haben und wie wichtig es ist, das aufzulösen, was er die »Täuschung der Getrenntheit« nannte. Als sich einmal ein Rabbi an ihn wandte und ihn um Rat fragte, wie er den Tod seiner Tochter, eines »wunderschönen sechzehnjährigen Mädchens ohne Sünde« deren älterer Schwester erklären solle, entgegnete Einstein:

      »Ein

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