Das heilende Potenzial der Achtsamkeit. Jon Kabat-Zinn

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn

Скачать книгу

Emergenz aus einem evolutionären biologischen Prozess betrachtet, der leer von einer treibenden Kraft, leer von Teleologie und ganz und gar nicht mystisch ist.

      Wenn Bewusstsein, zumindest ein chemisch begründetes Bewusstsein, bereits als potenzielle Möglichkeit in ein sich entwickelndes Universum eingebaut ist, und es sich aus diesem Potenzial entwickelt, sofern geeignete Anfangsbedingungen gegeben sind und genügend Zeit vorhanden ist, dann könnte man sagen, dass das Bewusstsein in lebenden Organismen eine Weise des Universums ist, sich selbst zu erkennen, sich selbst zu sehen, ja sogar sich selbst zu verstehen. Wir könnten sagen, dass in der unermesslichen Weite allen Seins diese Gnade uns zuteil geworden ist, dem Homo sapiens sapiens, zumindest allem Anschein nach in stärkerem Maße als allen anderen Spezies auf diesem unendlich winzigen Staubkorn, das wir in der unvorstellbaren Weite des sich ausdehnenden Universums bewohnen, in diesem Universum, in dem unsere Art von Materie, aus der unser Körper ebenso besteht wie die Planeten und sämtliche Sterne, nur einen winzig kleinen prozentualen Anteil der Substanz und Energie des Universums auszumachen scheint.3 Dieser Ansicht zufolge ist unsere Fähigkeit zu Bewusstsein uns nicht aufgrund irgendeiner moralischen Tugend zugefallen, sondern durch reinen Zufall, durch die Wechselfälle des evolutionären Selektionsdrucks auf die Spezies der baumbewohnenden Primaten, von denen sich einige, als sie sich in die Savannen hinausbewegten, sich zum aufrechten Gehen hin entwickelten, wodurch ihre Arme und Hände zu anderem Gebrauch frei und ihr Gehirn vor die Aufgabe gestellt wurde, mit einem größeren Spektrum an Herausforderungen umzugehen. Hier ist natürlich von unseren direkten Vorfahren die Rede.

      Wie wir unsere ererbte Empfindungsfähigkeit verstehen und was wir individuell und kollektiv als Spezies damit anfangen, ist ohne Zweifel eine der entscheidendsten Fragen der heutigen Zeit. Der biologischen Sicht auf lebende Systeme mit ihrer ganz unpersönlichen Natur zufolge wohnt der Entfaltung des Lebens keine mystische Dimension inne. Sie besagt, dass Bewusstsein den Prozess nicht etwa lenkt, sondern aus dem Prozess emergiert, wenn auch das Potenzial für seine Emergenz die ganze Zeit latent vorhanden war. Nichtsdestoweniger kann Bewusstsein, wenn es erst einmal hoch genug entwickelt ist, tiefgreifenden Einfluss auf alle Bereiche des Lebens haben, und zwar durch unsere Entscheidungen darüber, wie wir leben und worin wir unsere Energie investieren wollen, und dadurch, dass wir anerkennen, welchen Einfluss wir auf unsere Welt haben. Empfindungsfähigkeit konnte nur durch die passenden Ursachen und Bedingungen emergieren, und dass diese eintreten, war keineswegs zwangsläufig. Wären sie allerdings nicht vorhanden gewesen, dann wäre auch niemand von uns da, um ihre Abwesenheit überhaupt bemerken zu können.

      Wenn wir selbst also ein Produkt unpersönlicher Ursachen und Bedingungen sein sollen, die den Gesetzen von Physik und Chemie unterliegen, wie komplex auch immer diese sein mögen, und wenn es keine »Lebenskraft« hinter all dem gibt, dann können wir sehen, warum der Antivitalismus der Naturwissenschaften, insbesondere der Biologie, zu der Behauptung führt, dass es so etwas wie die Seele als ein entscheidendes Zentrum in einem fühlenden Wesen, das anderen Gesetzen gehorcht als denen der Physik und Chemie, nicht gibt. Im 17. Jahrhundert behauptete René Descartes, die Zirbeldrüse tief im Inneren des Gehirns sei der Sitz der Seele. Moderne Neurobiologen würden sagen, dass die Zirbeldrüse zwar viele Dinge leistet, aber keine Seele hervorbringt, zumal es keinen Grund gibt, eine dauerhafte Entität oder Energie zu postulieren, die immateriell ist und dem Organismus innewohnt oder mit diesem irgendwie verbunden ist und dessen Weg durchs Leben lenkt. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Leben und die Fähigkeit zu Empfindungen nicht ein großes Mysterium sind und damit heilig, so wie auch das gesamte Universum ein großes Mysterium ist. Es heißt auch nicht, dass wir nicht von der Seele sprechen können, wenn wir damit das meinen, was sich tief in der Psyche und im Herzen bewegt, und auch nicht von der Quelle der Erbauung und Wandlung, die wir »Geist« im spirituellen Sinne nennen. Es impliziert ebenfalls nicht, dass unsere persönlichen Gefühle und unser persönliches Wohlergehen unwichtig wären und dass es keine Basis für ethisches und moralisches Handeln oder für die Empfindung des Numinosen gäbe. Tatsächlich könnten wir sagen, dass es unsere Natur und Berufung als fühlende Wesen ist, unsere Situation mit Ehrfurcht und Staunen zu betrachten und uns tiefe Fragen über das Potenzial zur Erweiterung unserer Empfindungsfähigkeit zu stellen und diese einzusetzen für das Wohlergehen anderer und dessen, was in dieser lebendigen Welt das Schönste und das Heiligste ist – so heilig, dass wir uns weit effektiver davor hüten würden, der Welt so respektlos zu begegnen oder sie womöglich sogar durch unsere Unreife zu zerstören.

      Die Buddhisten haben ein ähnliches Verständnis von der unpersönlichen Natur der Phänomene. Wie wir schon am Beispiel der Herz-Sūtra gesehen haben (siehe Band 1 im Kapitel Leere), hat der Buddha auf der Grundlage seiner eigenen persönlichen Forschungen und Erfahrungen gelehrt, dass die gesamte erfahrbare Welt – also das, was er die fünf skandhas (Aggregate, Anhäufungen) nannte, nämlich Form, Empfindung, Wahrnehmung, psychische Formkräfte und Bewusstsein – leer ist von jeglichen dauerhaften und aus sich selbst existierenden Eigenschaften. So sehr man auch danach suchen mag, es wird einem nicht gelingen, eine dauerhafte, unveränderliche Selbstheit in oder unter den Phänomenen aufzufinden, den unbelebten und den belebten einschließlich unserer selbst, weil alles wechselseitig miteinander verknüpft ist und jede Manifestation einer Form oder eines Prozesses in ihrer individuellen Emergenz und in Bezug auf ihre charakteristischen Eigenschaften von einem sich ständig wandelnden Gefüge von Ursachen und Bedingungen abhängt. Der Buddha fordert uns heraus, selber hinzusehen und nachzuforschen, ob dem so ist oder nicht, ob das Selbst oder Ich nicht einfach ein Konstrukt ist, so wie unsere Sinne irgendwie zusammenwirken, um sowohl die Welt, die »da draußen« zu sein scheint, als auch die Empfindung einer Person »hier drinnen«, die die Welt wahrnimmt, zu konstruieren.

      Nun, wie könnten wir aber dann das Gefühl haben, dass es ein Selbst gibt, dass wir ein Ich sind und dass das, was geschieht, »mir« geschieht; – dass jeden Morgen dasselbe Ich aufwacht und sich als solches im Spiegel wiedererkennt? Sowohl die moderne Biologie und Kognitionswissenschaft als auch der Buddhismus würden sagen, dass dies in gewisser Weise eine Fehlwahrnehmung ist, die zu einer beständigen individuellen und kulturellen Gewohnheit geworden ist. Wenn Sie sich jedoch auf den Prozess einer systematischen Suche nach diesem Ich oder Selbst einlassen, so behaupten beide, dann werden Sie kein beständiges, eigenständiges Selbst finden, ob Sie nun in »Ihrem« Körper – einschließlich seiner Zellen, spezialisierten Drüsen, seinem Nervensystem, Gehirn und so weiter – oder in »Ihren« Gefühlen, Überzeugungen, Gedanken, Beziehungen oder sonstwo suchen.

      Und der Grund dafür, dass Sie nirgendwo ein dauerhaftes, isoliertes, aus sich selbst existierendes Ich finden können, das »Sie« sind, besteht darin, dass dieses Ich ein Trugbild ist, eine holographische Emergenz, ein Phantom: das Produkt eines an Gewohnheiten gebundenen und emotional aufgewühlt denkenden Geistes. Dieses »Ich« wird ständig, von Moment zu Moment, konstruiert und wieder dekonstruiert. Es ist andauernd dem Wandel unterworfen und deshalb im Sinne von etwas Identifizierbarem und Isolierbarem weder dauerhaft noch wirklich. Es ist eher virtuell als solide, zumindest metaphorisch vergleichbar mit den virtuellen Elementarteilchen, die für kurze Augenblicke im Quantenschaum des leeren Raumes aus dem Nichts aufzutauchen scheinen und sich sofort wieder in das Nichts auflösen. Das, was wir das Selbst nennen, könnte man in der Welt der Chaostheorie auch als einen »seltsamen Attraktor« bezeichnen, ein dynamisches Muster, das sich ständig verändert, aber immer selbst-ähnlich bleibt. Mehr oder weniger sind Sie, wer Sie auch gestern schon waren, aber doch nicht genau die oder der Gleiche.

      Lassen Sie uns ein wenig mit dieser Vorstellung spielen und unter die Lupe nehmen, was wir meinen, wenn wir von »meinem Körper« sprechen. Wer sagt das? Wer behauptet da, einen Körper zu »haben« und damit von ebendiesem Körper getrennt zu sein? Das ist doch ziemlich mysteriös, nicht wahr? Unsere Sprache selbst ist selbst-referentiell – sie verweist auf ein Selbst. Sie verlangt, dass wir von »unserem« Körper sprechen – zählen Sie nur einmal, wie oft ich auf dieser Seite ein Personalpronomen benutzen muss, um Irgendetwas über uns auszusagen –, und wir gewöhnen uns daran, zu denken, dass es eben das ist, was wir sind, oder doch zumindest ein großer Teil dessen, was wir sind. Das wird zu einem nicht hinterfragten Teil unserer konventionellen Realität. Auf der Ebene der Erscheinungen ist das, relativ

Скачать книгу