Das heilende Potenzial der Achtsamkeit. Jon Kabat-Zinn

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Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn

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»ein Bein« oder »einen Kopf« sagen, sondern wir würden das Personalpronomen »mein« verwenden, weil, relativ gesehen, dieser unser Körper (da haben Sie es schon wieder) in einer Beziehung zu der Sprechenden steht, wer immer das ist. Sprächen wir von »unserer Hand« als »einer Hand«, erschiene uns das distanziert, entfremdet, irgendwie unverkörpert und krankhaft. Es gibt also eine geheimnisvolle Beziehung zwischen mir und meinem Körper, jedoch eine, die wir gewöhnlich in keiner Weise hinterfragen. Weil sie nicht hinterfragt wird, verfallen wir so leicht darauf, zu glauben, dass es »unser« Körper ist, ohne uns bewusst zu sein, dass wir gar nicht genau wissen, wer es ist, die da behauptet, die Besitzerin zu sein, und dass dieser Besitzanspruch nur eine Sprachfloskel ist und keine Tatsache. Natürlich ist das relativ wahr (schließlich ist es nicht der Körper von jemand anderem – würden wir das denken oder fühlen, dann wären wir in großen Schwierigkeiten und uns stünde wohl die Einweisung in eine Nervenklinik bevor), doch aus der absoluten Sicht gilt das nicht. Wenn das, was der Herz-Sūtra besagt, wahr ist, dann ist die Erscheinung an sich leer.

      Dasselbe trifft auch auf den Geist zu. Wessen Geist ist es denn? Und wer macht sich die Mühe, einen Geist zu erfinden? Und wer will das wissen? Wer liest gerade diese Zeilen?

      Nehmen wir einmal an, die Biologinnen und die Buddhistinnen hätten recht – obwohl der Geist für die Buddhistinnen durchaus einer anderen Dimension angehört, die ihre eigene Gesetzmäßigkeit besitzt, und er zwar mit materiellen Phänomenen, also dem Gehirn, in Zusammenhang gebracht, jedoch nicht auf Materie reduziert werden kann. Als Lebewesen wären wir nach dieser Ansicht das Produkt von Chemie, Physik und Biologie, von gänzlich unpersönlichen Prozessen, die, sobald wir mit der Welt jenseits unserer Haut und mit dem Reich von Körper und Geist in Kontakt treten, unsere Erfahrung hervorbringen. Die Empfindung eines Selbst, eines »Ich«, das all diese Erfahrungen macht, das diese Gedanken denkt, diese Gefühle fühlt, das Entscheidungen trifft und auf diese oder jene Weise handelt, ist nur ein Epiphänomen: ein Nebenprodukt komplexer biologischer Prozesse. Sowohl die Ichempfindung als solche als auch unsere Persönlichkeit sind in einem tiefen Sinne unpersönlich, wenn auch eindeutig einzigartig und im relativen Sinne wirklich, so wie auch unser Gesicht einzigartig und relativ gesehen wirklich ist, wenn auch bei Weitem nicht alles, was wir sind.

      Wenn dem so wäre, was würden wir verlieren? Und was könnten wir durch eine solch radikale Verschiebung des Blickwinkels hin zu einer größeren, umfassenderen und vielleicht grundlegenderen Sichtweise gewinnen?

      Was wir verlieren würden, wäre unsere übertriebene Identifizierung mit praktisch jeglicher inneren wie äußeren Erfahrung als »ich«, »mich« und »mein« anstelle einer Sichtweise, für die sich die Phänomene entsprechend verschiedener Ursachen und Bedingungen entfalten oder sie, wie man sagen könnte, einfach geschehen. Wenn wir lernen könnten, die Art und Weise, wie sich eine Ichempfindung um Geschehnisse und Erscheinungen herum kristallisiert und sich dann, koste es, was es wolle, selbst behauptet, infrage zu stellen, wenn wir uns fragten, ob diese Ichempfindung grundlegend real ist und nicht bloß ein Konstrukt des Geistes, und wir untersuchen wollten, ob sie unveränderlich oder in ständigem Wandel begriffen ist, und bedenken würden, wie wichtig unsere Ansichten in jedem Moment in Relation zum größeren Ganzen sind, dann wären wir vielleicht nicht so sehr von uns eingenommen und die meiste Zeit so sehr mit unseren Gedanken und Meinungen sowie unseren persönlichen Geschichten über Gewinn und Verlust beschäftigt und damit, ersteren zu maximieren und letzteren zu minimieren. Dann könnten wir vielleicht durch diesen von uns selbst erzeugten Schleier, der auf subtile oder nicht so subtile Weise auf jeden Aspekt unserer Erfahrung abfärbt, hindurchsehen. Wir könnten uns selbst vielleicht sehr viel besser hören. Wir würden uns und die Geschichten, die wir darüber erfinden, wie die Dinge sein müssten, damit wir glücklich sein können und damit sie nach »unseren Vorstellungen« laufen, vielleicht weniger ernst nehmen.

      Würden wir das tun, dann würden wir vielleicht auch mit einem größeren Gefühl von Leichtigkeit unseren Körper bewohnen und in der Welt leben, dann würden wir vielleicht sehr viel mehr über die bloße Tatsache unserer Existenz, die bloße Tatsache des Erkennens staunen, ohne uns allzu sehr in das feste Gefühl eines »Erkennenden« verrennen zu müssen, das sich von dem Erkannten abspaltet und damit sowohl ein Subjekt (ein Ich) als auch ein Objekt da draußen (das vom Subjekt erkannt wird) erzeugt sowie Distanz schafft zwischen den beiden statt Nähe in ihrer Wechselseitigkeit, einem gemeinsamen Entstehen mit dem Gewahrsein und im Gewahrsein. Stellen Sie sich vor, wir wären auf diese Weise weniger mit uns selbst beschäftigt, wir müssten nicht ständig unsere engstirnigen Pläne vorantreiben, weil wir sähen und wüssten, dass die Ichempfindung an sich leer ist von inhärenter Existenz, dass sie nur den Anschein der Existenz erweckt und dass eine starke Identifizierung mit ihr uns gefangenhält in einer verzerrten, verarmten und eklatant unvollständigen Sicht auf unser Sein und auf unser Leben, insbesondere in Beziehung mit dem Leben anderer und auf unseren Pfad in dieser Welt.

      Was das angeht, so ist Ihnen vielleicht schon aufgefallen, dass unsere Ichempfindung uns die ganze Zeit glauben macht, wir seien nicht vollständig. Sie sagt uns, dass wir anderswohin gelangen müssen, dass wir etwas Erstrebenswertes erlangen müssen, dass wir ganz werden, glücklich werden, etwas verändern, weiterkommen müssen – und all das mag zum Teil richtig und im relativen Sinne wahr sein, und in diesem Maße sollten wir diese Stimmen auch ernst nehmen. Aber unsere Ichempfindung vergisst, uns daran zu erinnern, dass auf einer tieferen Ebene, jenseits der Erscheinungen und der Zeit, all das, was es zu erreichen gilt, bereits jetzt hier ist, und dass es nicht möglich ist, das Selbst zu verbessern. Wir können lediglich seine wahre Natur als gleichermaßen leer wie voll und als ausgesprochen nützlich erkennen.

      Wenn wir das zutiefst erkennen, wenn wir es mit unserem ganzen Sein erkennen – eine Fähigkeit, die die sich durch beständige Achtsamkeitspraxis entwickelt – dann vermögen wir in diesem Wissen selbst zu ruhen und können wesentlich weniger egozentrisch in der Welt handeln, zum Wohle anderer Lebewesen, mit einer gewaltlosen Haltung und ohne etwas erzwingen zu wollen. Wir sind dazu in der Lage, weil wir auf einer grundlegenden Ebene erkennen, dass die »anderen« immer auch wir selbst sind. Diese wechselseitige Verbundenheit ist ursprünglicher Natur. Sie ist der Geburtsort von Einfühlung und Mitgefühl, unseres Gefühls für die anderen, unseres Impulses und unserer Veranlagung, uns an die Stelle eines anderen zu setzen, mit einem anderen zu fühlen. Das ist die Grundlage von Ethik und Moral, auf der wir wahrhaft menschlich werden können – jenseits des potenziellen Nihilismus und des unbegründeten Relativismus, der aus einer rein mechanistischen und reduktionistischen Sichtweise des Geistes und des Lebens entspringt.

      Von diesem Standpunkt aus gesehen, sind Sie in einem ganz wirklichen Sinn nicht diejenige, die Sie zu sein glauben. Und alle anderen Menschen sind auch nicht das, was sie zu sein glauben. Wir alle sind viel größer und viel geheimnisvoller. Haben wir das erst einmal erkannt, erweitern sich unsere kreativen Fähigkeiten enorm, weil wir verstehen, wie wir uns letztlich selbst im Weg stehen und uns klein machen durch unsere zwanghafte Beschäftigung mit uns selbst und unsere Selbstzentriertheit, unser Beschäftigtsein mit dem, was wir für wichtig halten, was aber in Wahrheit nicht wesentlich ist.

      Das ist keine Kritik. Es ist bloß eine Tatsache.

      Es ist also nicht persönlich gemeint, darum fassen Sie es bitte nicht so auf.

       Ich bin nicht ich.

       Ich bin der,

       der neben mir geht

       und den ich nicht sehe,

       den ich gelegentlich zu besuchen vermag

       und den ich zu anderen Zeiten vergesse…

      JUAN RAMÓN JIMÉNEZ

      (nach der englischen Übersetzung von Robert Bly)

       Genug.

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