Das heilende Potenzial der Achtsamkeit. Jon Kabat-Zinn

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Das heilende Potenzial der Achtsamkeit - Jon Kabat-Zinn

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Fähigkeit zum Gewahrsein ist uns offenbar angeboren. Wir können gar nicht anders, als gewahr sein. Das ist das Charakteristikum, das unsere Spezies ausmacht. Es liegt in unserer Biologie begründet, geht jedoch weit über das rein Biologische hinaus. Es ist das, was und wer wir in Wirklichkeit sind. Doch wenn diese Empfindungsfähigkeit nicht kultiviert und verfeinert und in mancher Hinsicht auch geschützt wird, besteht die Gefahr, dass es von Schlingpflanzen und Unterholz überwuchert wird und schwach und unterentwickelt bleibt, nicht viel mehr als ein schlummerndes Potenzial. Wir können relativ empfindungslos werden, unsensibel und mehr schlafend als wach, wenn es um unser Vermögen geht, über die Grenzen egoistischen Denkens hinaus etwas zu erkennen. Zu diesem Vermögen gehört auch die Erkenntnis, dass bestimmte Gedanken egoistisch sind, und damit schon in dem Moment, in dem sie entstehen, zu erkennen, dass sie beschränkt und eventuell unklug sind. Wird die Empfindungsfähigkeit kultiviert und gestärkt, dann erleuchtet sie unser Leben und die Welt und schenkt uns ein Maß an Freiheit, das wir uns kaum haben vorstellen können, obwohl unsere Vorstellungskraft selbst aus eben dieser stammt.

      Dieses Empfindungsfähigkeit verleiht uns auch eine Weisheit, die uns aus unserer Neigung herausführen kann, bewusst oder unbewusst Schaden anzurichten und stattdessen Wunden zu heilen und die Souveränität und Würde all unserer Mitgeschöpfe anzuerkennen.

      Das ist nicht persönlich gemeint, aber, verzeihen Sie… Sind wir wirklich, wer wir zu sein glauben?

       Der wahre Wert eines menschlichen Wesens

       wird vor allem von dem Ausmaß bestimmt,

       in dem es Freiheit von sich selbst erlangt hat.

      ALBERT EINSTEIN ZUGESCHRIEBEN

      

Als ich Biologie studierte, wurde uns eingehämmert, dass das Leben den Gesetzen der Physik und der Chemie gehorcht und dass biologische Phänomene genau denselben Naturgesetzen unterliegen (und einhämmern ist tatsächlich eine Metapher, die in höheren Bildungsinstitutionen nicht unüblich ist). Auch wenn das Leben sehr komplex ist und die Moleküle des Lebens weitaus komplizierter sind als die einfacheren atomaren und molekularen Strukturen der unbelebten Natur, so sagte man uns, bestehe kein Grund zu der Annahme, dass es eine besondere belebende Kraft oder »Lebensenergie« gäbe, welche die »Ursache« für die Lebendigkeit eines Systems sei. Da wäre also nichts außer einer einigermaßen prekären Konstellation von Umständen, die es den Komponenten und Strukturen von lebenden Systemen erlauben, so zusammenzuwirken, dass die Eigenschaften des Ganzen, also zum Beispiel einer lebenden, wachsenden und sich teilenden Zelle, emergieren. Dasselbe Prinzip gälte, weitergedacht, den Stammbaum der Evolution hinauf auch für die zunehmend komplexeren Lebensformen, die sich immer weiter in das Pflanzen- und Tierreich hinein entfalten und natürlich auch in unsere Säugetierlinie, in der sich nach und nach immer komplexere Nervensysteme entwickelten, bis dann irgendwann wir selbst auf den Plan traten.

      Aus dieser Sicht gibt es keinen inhärenten Grund dafür, anzunehmen, dass wir nicht eines Tages Leben erzeugen können, auch wenn wir bis heute nicht einmal auf der Ebene einer einzelnen Zelle, nicht einmal auf der Ebene eines ganz »einfachen« einzelligen Organismus wie eines Bakteriums das verstehen, was wir »Leben« nennen, und tatsächlich wurde im Jahr 2010 das erste vollständig synthetische Bakterium hergestellt. In einem ähnlichen Durchbruch gelang es Forschern, das Polio-Virus im Labor aus einfachen Chemikalien anhand der im Internet gefundenen Informationen über die genetische Sequenz des Virus zusammenzusetzen. Nachdem sie es erzeugt hatten, konnten sie zeigen, dass es infektiös war und sich in einer lebenden Zelle replizieren und neue Viren erzeugen konnte – womit bewiesen war, dass keine »zusätzliche« Lebensenergie notwendig war.

      Diese Perspektive, dass lebende Systeme nicht durch ein »zusätzliches« nichtmaterielles Elements belebt werden, ist in der Biologie ein Bollwerk gegen das, was früher »Vitalismus« genannt wurde, nämlich die Überzeugung, dass es einer besonderen Energie bedarf, die jenseits der von Physik, Chemie und Biologie erklärbaren Kräfte besteht, und nicht allein dadurch zustande kommt, dass das Leben über sehr lange Zeiträume seine einzigartigen Eigenschaften entwickelt, zu denen auch das Bewusstsein gehört. Der Vitalismus wurde als mystisch, irrational, antiwissenschaftlich und schlichtweg falsch angesehen. Und nach der bisherigen historischen Bilanz war und ist er es auch. Das heißt jedoch nicht, dass eine reduktionistische und rein materialistische Sichtweise richtig sein muss. Es gibt verschiedenste Methoden, das Mysterium des Lebens wissenschaftlich zu erforschen und zu verstehen, Methoden, die höhere Ordnungen von Phänomenen und deren emergente Eigenschaften in Betracht ziehen und anerkennen.

      Vom Standpunkt der Biologie aus gibt es an der Basis lebender Systeme, einschließlich des Menschen, nichts anderes als unpersönliche Mechanismen. Sie sieht die Emergenz des Lebens selbst als eine Folge einer umfassenderen Emergenz, nämlich der Evolution des Universum und all der geordneten Strukturen und Prozesse, die sich darin entfalten. An einem bestimmten Punkt dieser Evolution, vielleicht vor etwa drei Milliarden Jahren, als die Bedingungen günstig waren auf dem noch jungen Planeten Erde – der sich aus dem interstellaren Staub gebildet hatte, welcher den in Entstehung befindlichen Stern umgab, den wir heute unsere Sonne nennen, einem Staub, der selbst wiederum das Ergebnis eines kolossalen Zerfalls früherer Sterne auf dem Weg über einen Gravitationskollaps war, in dem außer Wasserstoff eben die Atome entstanden, aus denen unser Körper und alles andere auf diesem Planeten gemacht ist –, konnte es gar nicht anders kommen als zur Synthese von Biomolekülen durch natürlich auftretende anorganische Prozesse in warmen Tümpeln und Ozeanen in Millionen und Abermillionen Jahren, vielleicht ausgelöst von Blitzen, von Tonerden und anderen unbelebten Mikroumgebungen, die auf verschiedene Weise zu solchen Prozessen beitragen können. In genügend langen Zeiträumen fanden diese verschiedenen Biomoleküle Möglichkeiten, entsprechend den Gesetzen der Chemie zu interagieren, was zur Entstehung rudimentärer Polymerketten von Nukleotiden (dem Stoff, aus dem die DNS und die RNS gemacht sind) und von Aminosäuren mit ganz bestimmten Eigenschaften führte.

      Ihrer Natur nach besitzen Polynukleotidketten die Fähigkeit, mittels der Sequenz der vier Basen, aus denen sie bestehen, große Mengen an Informationen zu speichern; außerdem können sie sich selbst durch Replikation mit hoher Präzision verdoppeln und dabei diese Informationen bewahren, oder es kann unter bestimmten Bedingungen zu kleinen Veränderungen kommen, wodurch als Mutationen bezeichnete Varianten erzeugt werden, die in seltenen Fällen einen selektiven Vorteil im Wettstreit um natürliche Ressourcen haben können. Diese Informationen in den Polynukleotidketten werden in die lineare Sequenz von Aminosäuren übersetzt, die jene Polynukleotidketten bilden, die, wenn sie eingefaltet sind, Proteine genannt werden, sozusagen die Arbeitspferde der Zelle, die all ihre Tausende von chemischen Reaktionen ausführen, in welchem Fall sie Enzyme genannt werden; und die eine Myriade struktureller Schlüsselbausteine zur Verfügung stellen, aus denen die Zellen erzeugt werden, in welchem Fall sie strukturelle Proteine genannt werden.

      Was genau geschehen ist, dass überhaupt eine organisierte Zelle entstand, wenn auch eine äußerst primitive Zelle, lässt sich bis heute nicht erklären. Aber in der Biologie ist man der Meinung, dass es im Prinzip verstanden werden kann und eines Tages auch wird – und alles, was nötig sein wird, um es zu verstehen, wird ein tieferes Verständnis komplexer Systeme aus Molekülen sein, die selbst keine Lebenskraft besitzen außer dem Vermögen, unter günstigen Bedingungen und im Zusammenwirken mit vielen anderen solcher Moleküle unvorhersehbare neue Phänomene emergieren zu lassen, einschließlich, und das ist wichtig, der Stabilisierung, Speicherung und Wiederherstellung von Informationen und der Modulation des Informationsflusses. In diesem Sinne ist das Leben eine natürliche Erweiterung der Evolution des Universums, sobald einmal Sterne und Planeten entstanden sind, welche die notwendigen Bedingungen bereitstellen, unter denen auf chemischen Prozessen basierende lebende Systeme emergieren können. Und Bewusstsein, das dann in lebenden Systemen emergiert, welche denselben Gesetzen der Physik und Chemie gehorchen, wenn die Bedingungen günstig sind, es genügend Zeit dafür gibt und

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