Postsowjetische Identität? - Постсоветская идентичность?. Wolfgang Krieger
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Zugehörigkeit zu einer Gruppe. In diesem Sinne etwa versteht George Herbert Mead „soziale Identität“ als ein Konglomerat von sozialen, also rollengebundenen Teil-Identitäten, die ein Individuum einnimmt. Ihr stellt er die „personale Identität“ gegenüber als die einmalige Konstellation von individuellen Merkmalen einer Person und die biographisch einmalige Synthese von Rollenarrangements und Selbstkonzepten eines Individuums.16
Fundamentale Orientierungen, Überzeugungen und Haltungen. Biologische und psychische Merkmale, die weitgehend kontinuierlich sind, mit welchen sich ein Individuum identifiziert und die in vielfacher Hinsicht für die eigene Lebensführung relevant werden zeigen zum einen dem jeweiligen Subjekt, zum anderen aber auch seinen externen Beobachtern an, „wofür jemand steht“.
Epochale Homogenität. Insbesondere die Kultursoziologie erstellt immer wieder Zeitdiagnosen, die ein Konstrukt gesellschaftlicher Identität von hohem Allgemeinheitsgrad beinhaltet. Beispiele in Deutschland sind die Diagnosen einer „Risikogesellschaft“ von Ulrich Beck (1986), oder einer „Erlebnisgesellschaft“ von Gerhard Schulze (1992) oder auch der „beschleunigten Gesellschaft“ nach Fuchs, Iwer und Micali (2018), die ein „überfordertes Subjekt“ generiert.17 Ob der Begriff einer „post-sowjetischen Identität“, wenn er überhaupt sinnvoll ist, so verstanden werden kann, dass er eine epochal homogene Identität bezeichnet, wird zu prüfen sein.
Psychologie. Vor allem persönlichkeitspsychologische, entwicklungspsychologische und sozialpsychologische Zugänge haben sich mit dem Begriff der Identität befasst, zum einen in der Entwicklung des Konstruktes „Ich-Identität“ als der Summe von Selbstattributionen und -identifikationen eines Individuums, zum anderen in Hinsicht auf die entwicklungs- und lernpsychologischen Aspekte bei der Übernahme von Identifikationen und der Ausbildung von Selbstkonzepten. Einerseits spezifiziert sich also der psychologische Blick auf Phänomene des Bewusstseins einer Selbst-Identität, andererseits auf die Bedingungen zur Entwicklung dieses Bewusstseins in der Sozialisation und Erziehung junger Menschen.
Die psychologische Perspektive fokussiert vornehmlich die Fragen, in welcher Weise sich Menschen selbst „Identität“ zuschreiben und was dies für ihr Selbstverständnis bedeutet, wie die Selbstkonzepte und Idealkonzepte in der Entwicklung des Individuums entstehen18 und welche biographischen und sozialen Faktoren für die Selektion von Identitätsangeboten entscheidend sind. „Identität” wird also vor allem als Ergebnis einer Selbstsicht des Menschen verstanden, der bestimmte Dimensionen der Selbstreflexion zugrunde liegen. Für die Selbstzuschreibung von Identität ist wesentlich, dass es der Person gelingt, in diesen Dimensionen relativ konstante Selbstwahrnehmungen und relative konstante Identifikationen vorzufinden. Der Psychologe Hilarion G. Petzold hat in diesem Sinne fünf sogenannte „Säulen der Identität” entworfen, auf welchen die Zuschreibung von Menschen beruht, dass sie sich als eine einzigartige und stabile Persönlichkeit sehen können. Zu diesen fünf Säulen gehört das Erleben der eigenen Leiblichkeit und der eigenen Bedürfnisse, das soziale Netzwerk bzw. die sozialen Bezüge (soziale Zugehörigkeit), Arbeit und Leistung (die Identifikation mit der eigenen Tätigkeit), die materielle Sicherheit (materielle Ressourcen und vertrauter ökologischer Raum) und Werte und Normen (Wertorientierungen und Lebenssinn).19 Die fünf Säulen bezeichnen zum einen Bereiche, in welchen die Person wesentliche Bezugspunkte findet, um sich selbst zu identifizieren; sie bezeichnen zum anderen aber auch die für die Identitätsentwicklung schicksalhaften Felder der Sozialisation, in welchen sich die spezifischen Identitätsangebote, also die Potenziale, sich mit etwas zu identifizieren, vorgehalten werden.
Erik H. Erikson hat den Begriff der Ich-Identität benutzt, um die biographische Einmaligkeit des Individuums zu bezeichnen, die er vor allem als Ergebnis der Bewältigung von universellen Entwicklungskrisen verstanden hat, die aber auch wesentlich davon abhängt, inwieweit andere das Selbstbild einer Person anerkennen.20 Insofern ist auch in diesem Konzept die Entwicklung und Bewährung von Identität sozial vermittelt. Erikson sah vor allem die Jugendphase als die entscheidende Phase der Identitätsfindung an, in der relative dauerhaft stabile Positionen der Ich-Identität herausgebildet werden. Inzwischen ist die Annahme einer homogenen kontinuierlichen Ich-Identität21 in der Psychologie vielfach kritisiert worden und die Auffassung hat sich durchgesetzt, dass unter den pluralen und widersprüchlichen Bedingungen der Postmoderne einheitsstiftende Kriterien der Konstitution des Selbstbildes und der eigenen Identitätsdarstellung nicht mehr sicherzustellen sind, sondern Individuen auf unterschiedliche soziale und kulturelle Anforderungen mit situativen Identitäten reagieren. Hierfür gibt es keine traditionellen oder konsensuellen Lösungskonzepte. Ihre Individualität entwickeln sie vielmehr so in eigen-ständiger „Identitätsarbeit“, in welcher sie versuchen, Balancen zwischen ihren Teil-Identitäten zu arrangieren, die ihnen noch ein Mindestmaß an Selbstgleichheit und persönlichem Stil gewährleisten.
4. Der Identitätsbegriff im Wandel
Seit den Neunzigerjahren ist der Begriff einer „Patchwork-Identität“22 entstanden, der dem traditionellen Verständnis von Identität als einem konstanten Sich-selbst-treu-Bleiben und somit auch für andere Berechenbar-Bleiben widersprach und das Individuum nun als ein chamaeleonhaftes Wesen vorstellte, welches sich opportun den wechselhaften Anforderungen einer sozialen Umwelt anpasst und sich so in eine strategisch vorteilhafte Position bringt, die den Erwartungen und Erfolgskriterien anderer gegenüber möglichst angepasst war.
Dieser vor allem von Heiner Keupp konstruierte Begriff hatte – wohl nicht zuletzt wegen seines gegenüber einem „modernen“23 Begriff des selbst-identischen Subjekts schockierenden Widerspruchs – eine erhebliche Wirkung in der Fachdiskussion in der Jugendsoziologie. Zugleich war dieses sozial-psychologisch hergeleitete Konstrukt gut anschlussfähig an die identitätstheoretischen Entwürfe des Symbolischen Interaktionismus von George Herbert Mead und Erving Goffman und ihre Weiterentwicklung von Lothar Krappmann in Deutschland. Die pragmatistische Experimentalität sozialen Handelns, die schon William James und George Herbert Mead in den Vordergrund gerückt hatten, schien nun vollends gegenüber der Tugend individueller Charakterstärke den Sieg errungen zu haben; die Selbstdarstellung der Individuen hatte den Anspruch auf einen maximal möglichen Ausdruck individueller Orientierungen und Haltungen offenbar vollkommen verloren und war zu einem strategischen Manöver, ja Täuschungsmanöver im Umgang mit den Erwartungen anderer geworden. Keupp nannte dies das „impression management“. Was man traditionell noch als „Charakterschwäche“ kritisiert hätte, schien nun eine Erfolgskonzept eines „Identitäts-Marketings“ auf einem Markt der sozialen Anerkennungsmechanismen. Diese Sichtweise von Identität wird regelrecht paradigmatisch in den heutigen „Medien-Identitäten“ von jungen Menschen in den sozialen Medien. Selbstdarstellung in einer Vielfalt von Rollen und Outfits, Situationen und Beziehungen gespickt mit einem Quantum an Originalität und Kreativität, symbolische Anwandlungen aus der Welt der Stars, der realen und virtuellen Heroen, eventuell zugleich durch Selbstironie wieder infragegestellt, kennzeichnen den Habitus vor allem junger Menschen. Es ist augenscheinlich, wie dieser Habitus das Programm der Postmoderne erfüllt, indem die entlehnte Symbolik kaum mehr aus einem feststehenden Repertoire geschöpft wird, sondern aus dem symbolischen Fundus quasi aller Kulturen und Epochen zitiert werden kann, und indem den in der Selbstdarstellung aufgegriffenen Identifikationen keine wirkliche Verbindlichkeit und Kontinuität zukommt. Kurzum: Der Habitus solcher Selbstdarstellung präsentiert sich als ein