Brillanter Abgang. Alexander Hoffmann
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Hans ließ sich auf dem Bett nieder. Er sackte durch, die Federn ächzten, der Rahmen schwankte wie eine Jolle in schwerer Dünung. Hier hatte sich wohl schon Marschall Tito in der heroischen Zeit ausgeruht, als es gegen die Besatzer, die deutschen Teufel, ging.
Tonja strich ihm übers Haar. »Ruh dich aus, ich muss noch kurz nach Karlovac, wegen der Bankvollmacht.«
Hans fiel schnell in einen leichten, unruhigen Schlaf. Und in einen scheußlichen Traum. Er stand auf Bahnsteig 18 im Frankfurter Hauptbahnhof und wollte den TGV nach Paris besteigen. Doch die zwei Rucksäcke voller Geldscheine, die er trug, ließen ihn einfach nicht vom Fleck kommen, er stand wie festgefroren. Und schon erschienen die Häscher auf dem Querbahnsteig.
Hans wachte auf, sein Hemd klebte feucht und kalt auf der Haut. Dann geh ich mal ins Badezimmer, sagte er sich und holte ein paar frische Sachen aus einem der Koffer.
Das Badezimmer war kleiner als sein Gäste-WC im Frankfurter Westend, die Ausstattung antiquarisch: ein Klo nebst lockerem Plastikdeckel, ein rissiges Waschbecken und eine Duschkabine, deren Vorhänge an den Rändern schwarze Flecken zierten. Der guguljakische Schimmelpilz. Ein Boiler, den wohl die deutschen Teufel 1945 zurückgelassen hatten. Irgendwie war das alles charmant in seiner Kargheit, machte sich Hans Mut. Er zog sich aus, fischte aus seinem Kulturbeutel ein Fläschchen Duschgel und stieg in die Duschkabine. Misstrauisch musterte er den Duschkopf hoch über sich und drehte vorsichtig an den zwei Hähnen. Im Boiler fing es an zu gurgeln, und ein stechend heißer Wasserstrahl streifte seine Schulter. Hans sprang aus der Kabine, machte ganz lange Arme und drehte erneut an den Hähnen. Nun war die Temperatur angenehm. Er stieg wieder hinein, seifte sich gründlich ein und begann, das Duschen zu genießen. Plötzlich krächzte der Boiler, ein Schwall eiskalten Wassers trieb ihn erneut aus der Kabine. Der Boiler wechselte in eine Art Keuchhusten. Das Wasser versiegte. Da stand er, komplett eingeseift. Neben dem Waschbecken hing ein gelb geflecktes, feucht-fettiges Handtuch. Zitternd versuchte Hans, sich damit trocken zu rubbeln. Dabei schaute er durch ein winziges Fenster in den Garten hinter dem Haus. Auf der Wiese stand eine Gras kauende eitergelbe Ziege. Sie nahm Hans wahr, trottete näher und glotzte ihn mit fahlen Augen an. Hans war sich sicher, dass exakt diese Ziege am Morgen dieses Tages mit genau diesem Handtuch abgetrocknet worden war.
Er seufzte. Sein erster Tag als Multimillionär.
8. Kapitel
Guguljak
»Das wäre erledigt.« Nach gut zwei Stunden kehrte Tonja zurück. Alles an ihr strahlte Zuversicht und Dynamik aus.
Hans fühlte sich immer noch matt. Als sie sich in der Küche zusammensetzten, fragte er leise: »Ich würde gerne wissen, wie es konkret weitergeht?«
Tonja schmunzelte. »Polako, polako – langsam, langsam, nur keine übertriebene Hast. Daran musst du dich gewöhnen. Merk dir dieses Wort, es ist das wichtigste in unserem Land.«
Sie tranken noch einen turska kava, während der Vater unweit des Häuschens im Garten werkelte. Hans starrte trübselig die Uhr an, und Tonja versuchte ihn aufzumuntern. »Nachher gehen wir ins ›Fässchen‹, und morgen um zwölf treffen wir Drago in Zagreb, im Esplanade. Zufrieden?« Sie erhob sich.
Kurz darauf hörte Hans sie im Badezimmer rumoren. Das Wasser der Dusche plätscherte stetig, ihr war der Boiler offenbar voller Hingabe zu Diensten. Hans dachte an seinen Jaguar, an die Beletage im Frankfurter Westend, an all das Schöne und Sichere.
Ehe er ganz in der Erinnerung versank, war Tonja zurück – frisch und mit einem Hauch Rouge auf den Wangen. Betörend.
Die Luft hatte sich merklich abgekühlt, als sie vors Haus traten und den Weg Richtung »Fässchen« einschlugen. Endlich hatte Hans Appetit. Er entspannte sich zusehends und konnte wieder klarer denken.
Mitten im hohen Gras fragte er Tonja: »Was hat es eigentlich mit der Bankvollmacht auf sich?«
Sie wedelte mit den Händen. »Ich war bei der Sparkasse in Karlovac, ich kann nun das Konto der stari rokeri mitbenutzen.«
»Stari was?«
»Die Altrocker – so heißt die Band, in der mein Vater spielt. Das Foto, das du im Gästezimmer gesehen hast. Die stari rokeri sind noch oder schon wieder in, werden sogar von jungen Leuten zu Hochzeiten gebucht. In der Kirche spielen sie brav die alten Lieder, bei der Feier danach in der Kneipe geben sie dem Schwein die Freiheit.«
»Du meinst, sie lassen die Sau raus.«
»Wie auch immer. Jedenfalls kommen die Altrocker sehr gut an. Tihomir ist ihr Kassenwart, er spielt meist Bass, kann aber auch Gitarre und Mundharmonika.«
»Und wofür brauchen wir das Konto?«
Tonja blickte Hans nachsichtig an. »Schatz, dort deponieren wir ein bisschen Geld zum Leben. Außerdem möchte ich etwas für Vater tun. Und für meine Onkel.«
»Wie viele Onkel hast du denn?«
»Acht«, antwortete sie fröhlich.
»Meine Güte. Wo leben die denn alle?«
»In Guguljak.«
»Und was tun sie?«
»Nichts.« Leise fügte sie hinzu: »Aber sie sind meine Onkel.«
Hans meinte: »Dann hoffen wir mal, dass für uns noch etwas übrig bleibt.«
Tonja erwiderte: »Mehr als genug, mein Lieber.«
Im »Fässchen« empfing sie sprudelndes Leben. Gänzlich tot war das Dorf also nicht. Hans kam es so vor, als ob sich alle 244 Guguljakaner an den Holztischen der kleinen Gaststube mit ihren weiß getünchten Wänden versammelt hatten. Direkt neben der Theke stand eine Jukebox, die Hans sofort anzog.
Tonja flüsterte: »Hier im Bačvica hat sich seit den 60er-Jahren nichts verändert. Da gab es mich noch gar nicht.«
Hans näherte sich dem gleißenden Plexiglas und den Bonbonfarben. Er streichelte die Jukebox. »Herrlich – das ist eine Wurlitzer. Das Jubiläumsmodell von 1956.« Tonja lächelte. »Ich weiß, früher war es schöner. Darüber kannst du dich gerne mit dem Wirt unterhalten. Der hockt oft nach Mitternacht allein vor dem Ding und spielt ›I can hear music‹ von den Beach Boys. Zur Not zehnmal hintereinander.«
Der Hit von 1969. Hans fühlte Wärme in sich aufsteigen. Er war nicht allein.
Gläser klirrten, Besteck klapperte, es roch appetitlich nach einem Braten, alle schwatzten fröhlich. Der eisgraue Schrat begrüßte sie mit einem freundlichen Kopfnicken.
Zielbewusst steuerte Tonja auf die hinterste Ecke zu, wo noch zwei Plätze frei waren – direkt neben einem runden Tisch, an dem sechs Männer die Köpfe zusammensteckten, eingenebelt von den Rauchschwaden ihrer Zigaretten.
»Das Business Center«, sagte Tonja leise, während sie sich setzten. »Hier geht es um Gälder, hier werden die großen Gäschäfte gemacht.«
Hans überließ ihr die Bestellung. Der Wirt brachte zwei Gläser gemišt: zwei Drittel Weißwein und ein Drittel Mineralwasser. Dazu gab es eine mächtige Platte mit getrocknetem Schinken und Maisbrot. Hans langte