Brillanter Abgang. Alexander Hoffmann
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»Erzähl!«
»Vor zehn Jahren wurde das Unternehmen privatisiert. Einer aus der alten Nomenklatura in Zagreb griff sich die Firma, verscherbelte ihre Schätze und plünderte die Kasse. Übrigens kräftig unterstützt von der Zagorska Banka. Erst Entlassungen, danach schleichende Pleite. Irgendwer hat dann die Halle angezündet. Aus Wut oder als warmer Abbruch für einen Versicherungsbetrug, keine Ahnung. Auf jeden Fall lebt der Plünderer jetzt fröhlich in Österreich, und Guguljak ist jedna selendra – ein Unort, klein und tot.«
»Woher weißt du das alles?«
»Weil ich damals bei der Zagorska Banka angestellt war.« Tonja schüttelte den Kopf, wie um die Erinnerung loszuwerden, und beschleunigte ihr Tempo.
Sie erreichten das erste Haus am Ortsrand von Guguljak. Der unverputzte Bau sah aus wie eine vor Urzeiten verlassene Zollstation. Die Eingangstür hing schräg in ihren Angeln und gab den Blick frei auf einen dunklen Flur, in dem sich Bierkästen stapelten. Zwei der Fenster waren mit Pappe vernagelt. Auf dem versengten Gras vor dem Haus lag kopfüber eine verrostete Zinkwanne, umrahmt von zwei geplatzten Müllsäcken. Daneben ein gemauerter Brunnen, vor dem sich traurig ein Pumpenschwengel verneigte.
Sie blieben stehen.
Eine monströse Ratte kam unter der Wanne hervor, im Gras neben der Tür lauerte ein verfilzter Kater, der seine Chancen bezüglich der Ratte abschätzte. Diese würdigte ihn keines Blicks, sprang auf den Brunnenrand und verschwand mit einem eleganten Satz in der Tiefe. Kein Mensch weit und breit. Nur gespenstische Ruhe.
In diesem Moment knallte es zweimal ohrenbetäubend laut.
Hans duckte sich. »Da schießt jemand!« Halb im Scherz fügte er hinzu: »Sind die aus Frankfurt so schnell?«
Tonja tätschelte seine Wangen. »Ach was. Das sind Slavko und Branko, die Marković-Zwillinge. Die sitzen im Garten hinterm Haus und feiern ein bisschen mit ihrem Selbstgebrannten.«
»Morgens um elf?«
»Was sollen sie sonst groß tun? Die Zwillinge sind Helden, waren 1992 ganz vorneweg in ihrem T-55 bei der Verteidigung von Karlovac gegen die Serben.« Ihre Miene verdüsterte sich. »War eine böse Zeit. Die Zwillinge kamen mit Orden behängt zurück. Aber seit der Krieg vorbei ist, sind sie zu nichts mehr zu gebrauchen. Sie leben von einer kleinen Invalidenrente hier auf ihrem Hof, zusammen mit ein paar Kühen und Hühnern – und dem selbst gebrannten Sliwowitz, dem schnellsten Weg in die Hölle.«
Wieder krachten zwei Schüsse, wieder duckte sich Hans.
Tonja beruhigte ihn. »Wenn ihnen mulmig ist von den eigenen Träumen, schießen sie ein bisschen in die Luft, ist völlig harmlos.«
In die folgende Stille hinein erhob sich hinter dem Haus ein machtvoller Gesang aus zwei Kehlen: »Pi me ga, pi me ga – se do dana belega.«
Tonja grinste. »Bei euch würde man ›Einer geht noch rein‹ sagen.«
Ein schratiger Endfünfziger mit eisgrauen Haaren war unbemerkt zu ihnen getreten. Er umarmte Tonja herzlich, küsste sie auf beide Wangen und blickte fragend zu Hans, der eine Verbeugung andeutete.
Tonja wandte sich an Hans. »Der Wirt vom Bačvica, dem ›Fässchen‹, der einzigen Kneipe in Guguljak.«
Der Wirt musterte Hans und sein Seidenjackett, dann die Eingangstür. Er sprach kurz mit Tonja und schüttelte den Kopf. Als er sich zum Gehen bereit machte, sagte er voller Abscheu: »Vidi ovo, sve je otvoreno ko kurvina guzica.«
»Was heißt das?«, fragte Hans.
Tonja lachte. »Er sagt, hier sei alles offen wie ein Hurenarsch.«
»Ihr habt interessante Redewendungen!«
»Du musst erst mal eine Marktfrau in Split fluchen hören!«
Die Häuser von Guguljak hingen aufgereiht wie unsortierte Perlen an der Dorfstraße. In einigen hausten offenbar ebenfalls Kriegsgestörte, andere waren durchaus gepflegt, ihre Vorgärten bewirtschaftet.
Tonja war sichtlich froh, sie Hans zu zeigen. »Die haben sich Leute gebaut, die lange in Deutschland gearbeitet haben oder in Kanada. Wer hiergeblieben ist, muss sich irgendwie durchwursteln.«
Es ging gegen Mittag, die Hitze wurde unerträglich. Hans spürte das Gewicht seiner Hebammentasche. Er fragte: »Wo ist hier die Dorfmitte, so was wie das Zentrum?«
Sie antwortete grinsend: »Wir stehen mittendrin.«
Hans blickte sich um. Die Straße hatte sich unmerklich zu einem runden, sandigen Plätzchen erweitert. Vor ihm erhob sich der weiß gekalkte Turm der Kirche, daneben lag ein winziger Friedhof mit mächtigen Grabsteinen. Die Toten waren mit ihrem Foto im Stein verewigt und blickten ernst herüber zu Hans.
Tonja erklärte: »Die Kirche ist auch für die Dörfer im Umkreis da. Beim Gottesdienst am Sonntag ist sie so voll, dass die Leute bis auf die Straße stehen.«
Gegenüber der Kirche behauptete sich ein roh gemauerter Kubus, dessen Eingang die kroatische Nationalflagge zierte. Das rot-weiße Schachbrett hing schlaff in der Mittagsglut, die Rollläden im ersten Stock waren heruntergelassen. Vor dem Haus ein paar Tische und Plastikstühle unter einem Sonnenschirm. Zwei alte Männer hockten vor einem Krug Wein und fächelten sich mit ihren Strohhüten Luft zu, unter dem Tisch zankten sich zwei Hühner um ein paar Brotkrumen. Gleichgültig musterten die Männer die Neuankömmlinge.
»Das ›Fässchen‹, der Mittelpunkt von Guguljak«, sagte Tonja. »Dort essen wir heute Abend eine Kleinigkeit. Dort wirst du auch unser Business Center kennenlernen.«
Hans runzelte die Stirn.
Sie lachte und fügte mit einem spöttischen Unterton hinzu: »Wirst schon sehen – im ›Fässchen‹ treffen sich unsere Bisnissmän.« Ihr Deutsch war eigentlich fließend, aber stets mit jener Färbung, die er so liebte. Nun übertrieb sie bewusst.
Ein rostiger Pritschenwagen quälte sich über den Platz, auf seiner Ladefläche schwankten mit Pflaumen gefüllte Körbe. Er verschwand um die Ecke, wieder war es still. Eine schwache Windböe raffte sich auf und ließ eine leere Bierdose Karlovačko Pivo zwei Meter weit über den Sand kullern. Damit erschöpfte sich ihre Kraft.
Hitze und Stille.
Hans hielt andächtig inne, er war angekommen. Das also war Guguljak, seine neue Heimat.
7. Kapitel
Guguljak
Tonja nahm ihn an der Hand. Sie gingen Richtung Ortsausgang, an zwei Kästen mit leeren Fensterhöhlen vorbei. Aus einer streckte ein Baumschössling seine lichtgierigen Zweige.
»Die Post und der Lebensmittelladen. Geschlossen – fünf Jahre nach Ausrufung unseres jungen Staates«, sagte Tonja.
Hans spöttelte: »Schon bemerkenswert, dein Guguljak. Diese Ruhe, diese verhaltene Kraft.«
»Na