Goetheherz. Bernd Köstering

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Goetheherz - Bernd Köstering

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Hendrik nachdachte, doch aus Rücksicht auf seinen Freund wollte er es nicht aussprechen.

      »Die im Krankenhaus haben eine Reha für sie beantragt«, sagte Hendrik. »Wahrscheinlich in Bad Homburg.«

      »Das ist gut! Habt ihr schon einen Termin?«

      »Nein, bisher nicht. Übrigens, fürs Wochenende habe ich Siggi und Ella eingeladen. Sie waren ja auch dabei, bei der Schießerei im Café, vielleicht löst ein Wiedersehen Hannas Erinnerung. Hast du Lust, dazuzukommen? Vielleicht am Samstagabend?«

      »Gerne, wenn es nicht zu viel wird für Hanna.«

      Hendrik lächelte und war froh über Richards offene und unkomplizierte Art. Trotzdem hatte er plötzlich das Gefühl, zu viel von sich und Hanna geredet zu haben. Er mochte es nicht, wenn die Unterhaltung zu einseitig verlief.

      »Wie geht’s Monika?«, fragte er.

      »Weiß nicht«, brummte Richard. »Sie ist wieder zurückgegangen nach Würzburg.«

      »Oh, schade. Was war los? Dein Beruf?«

      »Ja, auch, ich hatte einfach zu wenig Zeit für sie. Abgesehen davon sind diese Datingportale definitiv nicht das richtige Medium, um sich kennenzulernen. Schon gar nicht für Ü50-Kandidaten wie Monika und mich. Von wegen alle elf Minuten verliebt sich ein Single … und so weiter.«

      Ein Kellner erschien mit den Speisen, die auf einem Servierwagen angerichtet waren.

      Während des Essens beobachtete Hendrik seinen Freund. Richards blonde Haare sahen aus, als sei er im Laufe des Tages mehrfach mit ungeduldigen Handgriffen durch sie hindurchgefahren. Die Falten, die von seinen Mundwinkeln schräg nach oben liefen, stachen scharf ins Gesicht.

      »Du wirkst etwas – wie soll ich sagen? – rastlos. Monika oder die Arbeit?«

      Richard sah ihn an. »Dir kann man nichts vormachen.« Er lächelte gequält. »Mehr die Arbeit.«

      »Geheimsache oder kannst du darüber reden?«

      »Lass uns erst einmal essen, dann erzähle ich dir davon.«

      Hendrik bemerkte, dass Richard seiner Frage nach dem Vertraulichkeitsstatus ausgewichen war, und beschloss, besser nicht nachzuhaken, dafür aber mit den Informationen, die sein Freund im Laufe des Abends preisgeben würde, sehr vorsichtig umzugehen. Schließlich gab es im K11 reichlich Fakten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Das französische Kalbsragout mit getrüffelter Preiselbeer­marmelade schmeckte hervorragend. Auch Richard war begeistert von seiner Dorade im Salzteig. Sie waren sich einig, dass der Preis zur Qualität passte. Hendrik zückte sein Smartphone und fotografierte Kalbsragout und Dorade, um sie später Hanna zu zeigen. Er achtete darauf, dass dies fast heimlich geschah, damit es nicht peinlich wurde. Er wollte keiner dieser Hipster sein, die ständig ihr Essen ablichteten und die Bilder in den sozialen Medien teilten. Dann schoss er noch ein Erinnerungsfoto von Richard.

      »Pass bitte auf, dass keine anderen Personen aufs Bild kommen! Du weißt schon, das Recht am eigenen Bild!«

      »Geht klar, Herr Kommissar!«, sagte Hendrik lachend.

      Zum Dessert wollte Richard Sachertorte bestellen, aber die gab es beim Patron nicht, so teilten sie sich eine Tarte Tatin. Anschließend zogen sie an die Bar um.

      Die Kellnerin trug ihnen ohne Aufforderung die noch halb gefüllte Rotweinflasche nach.

      »Excusez-moi, darf isch nachschenken?«

      »Gerne!«, sagte Richard. Und an Hendrik gewandt fuhr er fort: »Den Wein bezahle ich. Als Ausdruck meiner Freude über Hannas Genesung!«

      Hendrik lächelte, sie stießen an. Der Patron kam höchstpersönlich vorbei, grüßte und fragte, ob sie zufrieden seien. Es entwickelte sich ein kurzes, herzliches Gespräch, in dem Hendrik und Richard die Kochkünste des Franzosen lobten und versprachen, dass dies nicht ihr letzter Besuch gewesen sei. Der Patron entschwand in die Küche.

      »Es geht um eine tote Frau in Offenbach«, sagte Richard Volk unvermittelt. »Gestern Mittag haben die Kollegen vom PPSOH sie gefunden.«

      »Vom PP… was?«

      »Ach, sorry, die Kollegen vom Polizeipräsidium Südosthessen.«

      Hendrik dachte an seine Mutter, die im Offenbacher Hafenviertel wohnte. Sein Gesicht schien diese Sorge zu spiegeln, denn Richard schob sofort hinterher: »Nicht im Hafenviertel, draußen in Bürgel.«

      »Aha, gut … und was hast du damit zu tun?«

      »Ein Kollege dort, der früher mal im Frankfurter Präsidium war, ein Kumpel, hat mich um Hilfe gebeten. Die meisten seiner Kollegen gehen von einer natürlichen Todesursache aus, auch der Arzt, der die Leichenschau durchgeführt hat. Kreislaufversagen.«

      »Aber dein ›Kumpel‹, der zweifelt daran, oder wie?«

      »Richtig. Erstens zweifelt er an der Leichenschau und zweitens gibt es Indizien, die auf einen gewaltsamen Tod hindeuten. Mehr darf ich nicht sagen.«

      »Schon klar. Und warum zweifelt er an der Leichenschau?«

      »Die wurde von einem normalen Hausarzt vorgenommen.«

      »Wie bitte?«

      »Na ja, es ist nicht vorgeschrieben, dass das ein Rechtsmediziner macht, auch wenn wir Polizisten das natürlich lieber sähen. Oft sind die Spezialisten überlastet, dann werden niedergelassene Ärzte verpflichtet, die kaum Spezialwissen haben und erst recht keine Zeit. Das ist ein unmöglicher Zustand. Wir können derzeit jedoch nichts daran ändern.«

      »Gibt es denn in Offenbach nicht wenigstens Pathologen, die das übernehmen können?«

      »Doch, natürlich, in den beiden Kliniken, aber am Sonntag kommen wir an die nicht ran. Mein Freund wollte die Staatsanwaltschaft überzeugen, einer Obduktion zuzustimmen, was ihm bisher nicht gelungen ist. Erschwerend kommt dazu, dass in der zuständigen Rechtsmedizin an der Frankfurter Uni zwei Leute fehlen, einer ist krank, eine Planstelle ist vorübergehend gesperrt.«

      »Oh, das mit der gesperrten Planstelle kenne ich aus unserem Fachbereich«, sagte Hendrik. »Nur mal zu meinem Verständnis: Schreiben die Ärzte nicht sowieso meistens Herz-Kreislauf-Versagen auf den Totenschein?«

      »Vorsicht, das kann man nicht verallgemeinern. Einige geben sich große Mühe, andere drehen den Leichnam nicht einmal um und übersehen eine Stichwunde im Rücken. Immerhin hat der Allgemeinmediziner eine Blutprobe entnommen, die hat nichts Auffälliges ergeben. Der Staatsanwalt hat ihm – also meinem Kumpel – zwei Tage gegeben, um neue Beweise zu finden, wenn nicht, wird der Fall abgeschlossen. Entschuldige, dass ich immer nur von meinem ›Kumpel‹ spreche, besser, du kennst seinen Namen nicht«.

      »Verstehe. Probleme zwischen den Präsidien?«

      »Ja, genau.«

      »Hm.« Hendrik war ratlos, hatte allerdings auch nicht den Anspruch, Richard helfen zu können. Schließlich war er Literaturwissenschaftler und kein Kriminalbeamter, wenngleich er wusste, dass sowohl Richard als auch ihr gemeinsamer Freund Siegfried Dorst seine unvoreingenommene Art der Menschenbetrachtung schätzten. Zumal er bereits in einige Kriminalfälle hineingestolpert war, zwar ohne sein Zutun, aber

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