Schwarzfahrt. Alexander Pelkim
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»Was? Bist du sicher? Ist es nicht eher ein Tierkadaver?«
»Nein, nein! Bin mir ziemlich sicher, dass es keiner ist. Da sind noch Haare an dem Schädel.«
»Und wo ist der Rest?«
»Weiß ich nicht. Wahrscheinlich noch im Schlick. Ich bleibe keine Sekunde länger hier unten. Holt mich sofort rauf«, rief er hysterisch.
In Windeseile hatte man das Saugrohr aus der Öffnung entfernt und hievte den Arbeitskollegen wieder ans Tageslicht. Es erschien eine vermummte Gestalt mit Gummistiefeln, wasserdichtem Anzug, Handschuhen und einer Maske auf dem Gesicht. Seine Kleidung war bis zu den Oberschenkeln mit Dreck und Kot verschmiert. Der aufgeweichte Inhalt der Grube stank fürchterlich.
»Wer mag das da unten wohl sein?«
»Keine Ahnung! Ist mir auch ziemlich egal. Puh! Was für ein Schock, ich brauch einen Schnaps.«
»Was machen wir jetzt?«
»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen.«
Zuerst tauchte eine Streifenwagenbesatzung auf. Als man den beiden Gesetzeshütern den Sachverhalt erklärte, informierten sie ihren Vorgesetzten und der wiederum die Staatsanwaltschaft. Diese ordnete die Bergung und gerichtsmedizinische Untersuchung des Leichnams an. Eigentlich war es ja gar keine Leiche mehr, sondern nur noch die Überreste in Form eines Skeletts. Mit Hilfe der Gerätschaft der Firma, die die Reinigung vornehmen sollte, versuchte man die menschlichen Knochen freizulegen. Es dauerte bis zum nächsten Tag, bis alle gefunden waren. Der Fund landete auf dem Tisch von Frau Doktor Wollner.
Hauptkommissar Habich traf die Rechtsmedizinerin am Seziertisch an, auf dem das Skelett aus der Güllegrube lag. Inzwischen hatte Doktor Wollner die Knochen vom Schmutz befreit und so sortiert, dass sie wieder die Form eines menschlichen Körpers darstellten. Mit einer an einem Schwenkarm befestigten großen beleuchteten Lupe begutachtete sie jeden einzelnen der Knochen ganz genau. Habich trat vorsichtig näher, um sie nicht von ihrer Arbeit abzulenken. Trotzdem spürte sie seine Anwesenheit und schaute auf.
»Ach, Sie sind es«, sagte sie locker und richtete sich auf. Die Augen auf die Akten in seiner Hand gerichtet meinte sie schelmisch: »Oh, bringen Sie mir eine ganze Mappe voller gastronomischer Empfehlungen?«
Verlegen lächelnd schüttelte er den Kopf. »Nein, das leider nicht. Es ist eher etwas Arbeit. Aber ich habe Sie nicht vergessen«, beeilte er sich hinzuzufügen, »und wollte Sie für heute Abend einladen.«
Ein warmer, gnädiger Blick trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Fieberhaft überlegte er, wohin er die Pathologin einladen sollte, dann stand sein Entschluss fest. »Darf ich Sie um 19 Uhr abholen oder ist das zu spät?«
»Nein, durchaus nicht. Ich lass mich überraschen, wohin es geht.« Sie nannte ihm ihre Wohnadresse. »So, nun aber zu Ihrem dienstlichen Anliegen.«, Sie zeigte auf die Unterlagen, die Habich immer noch in den Händen hielt. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ach ja, ich habe hier zwei alte Fälle und möchte Sie bitten von der medizinischen Seite her noch mal einen Blick darauf zu werfen. Außerdem möchte ich, dass Sie diese Fälle mit dem aktuellen Fall der toten Tanja Böhmert vergleichen.«
»Vermuten Sie da Zusammenhänge?«
»Genau das möchte ich von Ihnen wissen.«
»Gut, dann werde ich mir die Unterlagen und die Obduktionsberichte in Ruhe anschauen.«
»Was haben Sie denn da?«, fragte Habich, den Blick auf die Knochen gerichtet.
»Womöglich noch mehr Arbeit für Sie und Ihr Team. Der Bericht dazu geht heute Abend noch an die Staatsanwaltschaft und die entscheidet dann, ob ermittelt wird.« Als Habich weiterfragen wollte, kam sie ihm zuvor. »Vielleicht erzähle ich Ihnen beim Essen Details, aber jetzt muss ich weitermachen, sonst wird es nichts mit unserer Verabredung«, meinte sie freundlich, aber rigoros. Wortlos verschwand der Hauptkommissar auf der Stelle. Den abendlichen Termin mit der hübschen Pathologin wollte er nicht gefährden. Erneut schalt er sich einen Narren hinsichtlich seiner Hoffnungen, die in ihm aufkeimten.
»So, was haben wir bis jetzt?«, begann der Hauptkommissar die Besprechung mit seinem Team. »Lasst mal eure Ergebnisse hören.«
Rautner erinnerte noch mal an das, was er von Lackners Arbeitskollegen erfahren hatte, und das war wenig ergiebig. Sein abschließendes Urteil lautete: »Ausschließen können wir ihn nicht, solange wir kein Alibi von ihm haben. Wir sollten ihn jetzt endlich mal auf die Fahndungsliste setzen.«
» Okay, mach das«, gab der Hauptkommissar seine Zustimmung. »Er wird aber nur als Zeuge gesucht, nicht als Verdächtiger.«
»Apropos Alibi«, mischte sich Jasmin ein, »Dieter Ranko, der letzte Ex von Tanja, ist außen vor. Er hat ein wasserdichtes Alibi. Ranko war mit seinem Chef und einem weiteren Kollegen im Auftrag eines Großunternehmens auf Messebau in Paris. Sie haben genau an dem Wochenende dort die Elektrik installiert, als unser Opfer verschwand, und am Wochenende darauf, als sie gefunden wurde, ist er erst am Sonntag von Paris zurückgekommen.«
»Gut«, nickte Habich, »einer weniger. Was macht die Fahrerliste?«
»Die Kollegen und ich haben alles telefonisch in die Wege geleitet. Was an Unterlagen und Namenslisten zu bekommen war, trifft spätestens morgen per Fax oder Mail hier ein«, antwortete Jasmin.
Schössler hatte dem Team mehrere uniformierte Beamte zur Seite gestellt, die mithelfen sollten, die zu erwartende große Anzahl der Taxifahrer zu befragen.
»Dann nehmt ihr euch noch einmal die Zeugen der alten Fälle vor. Stellt Fragen wegen der Taxis, quetscht sie ein weiteres Mal über den Abend und das Umfeld der Toten aus. Vielleicht fällt ihnen etwas ein, was sie bisher übersehen oder vergessen hatten. Ich nehme mir die drei Freunde vor, die in Tanjas und Valeries Begleitung waren.«
Es wurde ein Tag mit vielen Telefonaten und Gesprächen.
»Nix, einfach gar nix Neues in Erfahrung zu bringen«, stöhnte Jasmin. Sie hatte den ältesten Mordfall übernommen. »Zwei der ehemaligen Zeugen konnte ich gar nicht ausfindig machen, bei allen anderen waren die Erinnerungen verblasst. Meistens hieß es: schon zu lange her. Ich befürchte die Bemühungen waren umsonst.«
»Bei mir ähnlich«, gestand Rautner. »Die, mit denen ich gesprochen habe, konnten mir keine neuen Details berichten. Sie verwiesen mich auf ihre damaligen Aussagen, mehr konnte ich nicht herausholen.«
»Auch ich bin nicht weitergekommen. Es gibt keine neuen Anhaltspunkte.« Etwas resigniert ließ Habich den Kugelschreiber auf seinen Schreibtisch fallen und lehnte sich zurück. »Tanjas Freunde haben nichts gesehen, nichts gehört und keine Vorstellung, wer das Tanja Böhmert angetan haben könnte.«
»Übrigens, ich wollte noch etwas wegen Lackner …« Jasmin wurde durch das anspringende Faxgerät unterbrochen. Sie stand auf, vergaß den Satz zu vollenden, holte sich die Blätter und überflog sie.
»Was sind das für Faxe?«, fragte Habich.
»Die ersten Fahrerlisten«, antwortete sie und las weiter.
»Wolltest