Was deine Angst dir sagen will. Andreas Winter

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Was deine Angst dir sagen will - Andreas Winter

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waren unerträgliche Folgen meiner Ängste. Lächerlich, peinlich, ein Jammer!

      Doch irgendwann, ich war schon 18 Jahre alt und stand kurz vorm Abitur, las ich das Märchen „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ von den Gebrüdern Grimm. Erinnern Sie sich an das Märchen? Der jüngere Sohn eines Töpfers galt als naiv und dümmlich, weil er sich vor nichts fürchtete. Weder Geister noch Friedhöfe oder Galgen ängstigten ihn. Mich hingegen faszinierte seine Furchtlosigkeit, und mir wurde durch dieses traditionelle Märchen klar, dass man Angst zunächst erlernen muss. Dieser Gedanke ließ mich fortan nicht mehr los. Wenn jemand vor etwas Angst hat, so muss er die befürchtete Situation zunächst einmal in seiner Gefährlichkeit kennengelernt, genauer gesagt emotional erlebt haben. Ich wusste bereits von Konditionierungen, Reiz-Reaktions-Verknüpfungen und Auslösern, und so bestätigte sich in den folgenden Jahren während meines geisteswissenschaftlichen Studiums mein Verdacht. Es war das Gegenteil von dem, was ich an der Uni in den Vorlesungen hörte, denn da hieß es immer, Angst entstünde angesichts des Unbekannten. Aber einmal ehrlich, wenn Sie Angst vor dem Unbekannten hätten, dann hätten Sie auch Angst vor diesem Buch, denn Sie kennen ja den Rest des Inhaltes nicht. Sie müssten gleich morgens nach dem Aufwachen Angst bekommen, denn der Tag, der vor Ihnen liegt, ist unbekannt. „Niemand hat Angst vor ‚Schnirx‘“, sage ich heute bei meinen Vorträgen immer. „Warum nicht? Weil niemand ‚Schnirx‘ kennt.“ Wir haben nur Angst, wenn wir die Gefahr einer Sache bereits kennen oder sie mit einer ähnlichen Situation in Verbindung bringen. Ein Märchen brachte mich auf diesen Zusammenhang; meine Forschung in Sachen Angst wurde eine faszinierende und spannende Arbeit, denn dadurch zeigte sich mir der goldene Schlüssel zur Angstfreiheit, mit dem ich alle meine Ängste vollständig und in Sekunden auflösen konnte.

      Zusammenfassung

      Ängste und Blockaden basieren auf Erlerntem, haben eine Schutzfunktion und lassen sich durch das Bewusstmachen der ihnen gemeinsamen Ursache mit einer Verhaltensalternative versehen: entscheiden statt reagieren! Angstfreiheit ist somit Entscheidungsfreiheit.

      Fallbeispiel: Ed, Manager

      Wochenlang hatte Edmund sich vorbereitet. Doch nun rann dem Manager mit einem Jahreseinkommen von rund 80.000 Euro der Schweiß von der Stirn, als er kreidebleich und mit zitternder Stimme vor der Jahreshauptversammlung sprechen sollte. Ed, wie seine Freunde ihn nannten, schlotterten die Knie. Er stand da wie ein hilfloses Kind. Er hangelte sich von Wort zu Wort, von Satz zu Satz. Seine Hände kneteten verkrampft die Zettel mit dem Redemanuskript. Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Immer wieder schaute Ed in die Versammlung und spürte die Blicke, die auf ihn gerichtet waren, deutlich wie Injektionsnadeln. Hier waren nicht seine Freunde, hier waren seine Henker, die nur darauf warteten, ihn endlich verurteilen zu können, so fühlte er sich. Ed war hilflos wie ein Kind.

      Endlich, nach einer halben Ewigkeit wrang er den Schlusssatz des Berichtes durch seine Kehle. Er war so froh, sein Manuskript endlich hinter sich gebracht zu haben, dass er vergaß, sich beim Publikum für die Aufmerksamkeit zu bedanken. Den höflichen und verhaltenen Applaus für seine jämmerliche Vorstellung hörte Ed schon gar nicht mehr. Er ging von der Bühne, sank auf seinen Stuhl und stürzte den Rest eines Brandys hinunter. Den weiteren Abend verbrachte Ed vor der Tür, eine Zigarette nach der anderen rauchend, bevor er sich ein Taxi nahm und verschwand.

      Fallbeispiel: Marta, Haushaltshilfe

      Marta hatte Waschtag. Jeden Mittwoch und jeden Freitag kümmerte sich die junge Polin um den Haushalt ihrer Nachbarin, einer 82-jährigen Kriegerwitwe. Heute war also wieder Waschtag, und die alte Waschmaschine im Keller tat ihre ratternde Pflicht. Es war Mai, und Marta würde die Bettwäsche, die Handtücher und die große Tischdecke im Garten aufhängen. Die Frühlingssonne wärmte schon seit Tagen die Luft und ließ keinen Zweifel daran, dass es bald Sommer wurde.

      Marta ging mit dem leeren Wäschekorb die dunklen Betonstufen der Kellertreppe hinunter. Lichtstrahlen fielen durch das vergitterte Kellerfenster, der Staub der Kellerluft teilte die Strahlen in ein flirrendes Muster. Bewegte sich da etwas über der Waschmaschine? Der große schwarze Fleck dort, war das ein Schatten, oder war es das, was Marta befürchtete? Das kleine Tier der Gattung Eratigena atrica machte sich mit seinen acht behaarten Beinen über eine fette Stubenfliege her, die soeben zappelnd in sein Netz gegangen war. Es wickelte sein bewegungsunfähiges Opfer in einen festen Kokon ein, in welchem es durch den mit dem Biss injizierten Verdauungssaft langsam von innen her zersetzt wurde.

      Marta schrie, ließ den Wäschekorb fallen und rannte die Treppe hoch. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Oben angekommen, schüttelte sie sich vor Ekel, bevor sie begann, sich für ihre alberne Angst zu schämen. Es war schließlich nur eine Spinne.

      Fallbeispiel: Ines, Arzthelferin

      Die 65-jährige Rentnerin Renate würde vielleicht noch leben, wenn Ines in ihrem Auto nicht vor Angst erstarrt wäre. Renate wollte eigentlich nur ihren Plastikmüll etwas tiefer in die gelbe Mülltonne stopfen und übersah dabei, dass vorher irgendjemand eine zerbrochene Glasvase in den Müll geworfen hatte.

      Mit der bloßen Hand und mit hochgekrempeltem Ärmel griff Renate in die großen, senkrecht stehenden Glasscherben, die zwischen Joghurtbechern und Gemüseverpackungen nicht zu sehen waren, und schnitt sich damit den ganzen Unterarm auf. Die Scherben schnitten tief in das Gewebe hinein und hielten den Arm wie Widerhaken fest. Das Blut quoll aus dem Arm der hilflosen Frau. Bis eine aufmerksame Nachbarin den Notarzt alarmierte, lag Renate bereits ohnmächtig vor der Mülltonne. Der Abtransport der Schwerverletzten erfolgte dann professionell und zügig, bis zur großen Kreuzung kurz vor dem Krankenhaus, wo er vor Ines’ Kleinwagen zum Halten kam.

      Trotz Blaulicht und Sirene blieb Ines an der Ampel wie angewurzelt stehen und blockierte die Weiterfahrt. Die junge Frau am Steuer blickte mit weit aufgerissenen Augen und wie hypnotisiert in den Rückspiegel, das Dröhnen des Martinshorns hinter sich, und war unfähig, über die Kreuzung zu fahren – schließlich zeigte die Ampel ja rot. Als es endlich grün wurde, fuhr Ines mit quietschenden Reifen los, hatte aber leider in ihrer Panik den Rückwärtsgang eingelegt und krachte gegen den Krankenwagen. Wie bei jedem normalen Verkehrsunfall stieg Ines aus dem Auto, statt zunächst einmal schnellstmöglich die Kreuzung zu räumen und den Krankenwagen passieren zu lassen.

      Schließlich konnte im Krankenhaus nur noch der Tod der Rentnerin festgestellt werden. Ines war durch das Ereignis so geschockt, dass sie sich fortan nicht mehr ans Steuer eines Autos setzte.

      Fallbeispiel: Jörg, Auszubildender

      Jörg war ein hervorragender Tischler und der Beste seines Jahrgangs in der Berufsschule. Für sein Gesellenstück, eine Spiegelkommode mit Schubfächern, wollte er nur die edelsten Hölzer verwenden.

      Die drei Spiegel waren angeordnet wie ein mittelalterliches Triptychon, bei dem die dreigeteilten Kunstgemälde das mittlere Bild auf besondere Weise betonen. Man kennt das von zahlreichen religiösen Darstellungen: Jesus in der Mitte, und die Apostel links und rechts um ihn herum angeordnet.

      Die Betrachterin im Spiegel würde durch Jörgs Triptychon zum künstlerischen Mittelpunkt, während sie sich frisiert und schminkt. Größere Schubkästen sollten Platz für Fön und Haarspraydosen bieten, mittlere für Parfüm und Abschminktücher und kleine Schubfächer zur Aufbewahrung von Schmuck dienen. Eher ein Meisterwerk als ein Gesellenstück, denn Jörg hatte hohe Ansprüche.

      Den kompletten Entwurf hatte der 18-Jährige fix und fertig im Kopf. Nur mit der Umsetzung, für die er zwei bis drei Monate Zeit eingerechnet hatte, tat er sich schwer. Irgendetwas lenkte ihn immer wieder ab. E-Mails beantworten, ins Kino gehen, die Wohnung aufräumen, Freunde treffen, Faulenzen oder Joggen – es gab viel zu tun.

      Und so verschob Jörg die Arbeit, die

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