Was deine Angst dir sagen will. Andreas Winter

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Was deine Angst dir sagen will - Andreas Winter

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„Irgendwann hat er dann damit aufgehört“, sagt sie. Ich vermutete, dass der Junge vielleicht einen Ersatz für die Waschmaschine gefunden hat. Vielleicht etwas, das so ähnlich klingt? „Das ist mir jetzt unheimlich!“ sagte die junge Mutter besorgt und fragte weiter: „Was kann man denn da machen?“

       Ich entgegnete: „Das ist nicht unheimlich, das ist unterbewusster Stress. Um ihn zu überwinden, muss Ihr Sohn nur verstehen, dass es Ihr Stress war, nicht seiner, und er heute nicht mehr ‚gefangen‘ ist, sondern ihm andere Möglichkeiten zur Stressbewältigung offenstehen.“ „Das ist alles?“ „Ja, das ist alles und es ist nicht mal schwierig“, entgegnete ich.

      Soweit ein Analysebeispiel meiner Kollegin Maria-Theresia Niegel. Die therapeutische Konsequenz wäre in diesem Falle, dem Kind in einer Traumreise diese Zusammenhänge imaginär zu zeigen, um ihm dann eine alternative emotionale Schlussfolgerung zu ermöglichen, damit seine stressbedingten Symptome abklingen können.

      Wir sehen also, Konditionierungen können sehr differenziert sein. Man kann sogar ein und denselben Reiz mit verschiedenen Bedeutungen belegen.

      Wenn Primarstufenschüler im langweiligen Unterricht sitzen, mit dem Schlaf kämpfen (weil ihnen vor lauter Disziplindruck der wertvolle Botenstoff Serotonin ausgegangen ist, jenes Hormon, das uns zur Aufmerksamkeit befähigt) und es läutet zur Pause, dann atmen sie erleichtert auf, sind wieder hellwach und rennen lärmend auf den Schulhof. Nachdem sie dort 15 Minuten lang Fangen, Gummitwist und Fußball gespielt haben, läutet es erneut. Rennen die Kinder nun wieder gröhlend in die Klasse? Nein! Sie verdrehen die Augen, stöhnen und schleppen sich wieder an ihren Platz.

      Der gleiche Reiz kann eine völlig andere Bedeutung bekommen und damit eine völlig andere Reaktion auslösen. Das ist auch der Grund dafür, warum der eine Mensch dick wird, wenn er Schokolade isst, und der andere abnimmt. Letzterer macht etwa die sogenannte Schokoladen-Diät, hat somit nach drei Tagen die Nase gestrichen voll von Schokolade und fühlt sich nach dem Verzehr anders als ersterer.

      Das bedeutet zugleich: Je mehr Angst und Stress ein Mensch dabei empfindet, seine geliebte Schokolade zu essen, desto dicker wird er, weil er sie mit einem komplizierten Stoffwechselbefehl zu Fett umbaut. Übergewichtige sind Menschen mit einer speziellen Angst vor Mangel. Wie man diese auflöst, habe ich in meinem Buch „Abnehmen ist leichter als Zunehmen“ beschrieben.

      Geiz und Übergewicht sind Ausdruck ähnlicher Ängste. Geiz ist ein verzweifeltes Festhalten an etwas, das rar und selten erscheint und dessen Wert hoch eingestuft wird. Geiz ist somit ebenfalls eine erlernte Angst vor Mangel. Nicht selten sind „Messies“, also Menschen mit einer Wegwerf-Hemmung, auch übergewichtig.

      Da Kinder ganz besonders lernfähig und noch sehr unkritisch sind, sollten wir im Umgang mit ihnen behutsam sein. Kinder sind leicht zu konditionieren und folgern nach kurzer Zeit automatisch, dass zwei völlig voneinander unabhängige Dinge „A“ und „B“ zusammengehören. Kinder glauben den abstrusesten Unsinn, wie etwa dass man sich anstrengen muss, um erfolgreich zu sein, dass man gut in der Schule sein muss, um später Geld zu verdienen, dass Fremde einem Böses wollen oder dass man, wenn man krank ist, zum Arzt gehen muss. Derart konditioniert gehen viele durchs Leben, ohne jemals kritisch zu prüfen, ob das überhaupt stimmt, was die halbe Welt denkt, und das, obwohl solche Gedanken großes Leid erzeugen und es Millionen Ausnahmen davon gibt. Die hartnäckigsten falschen Glaubenssätze, wie etwa „kalte Füße machen Schnupfen“ oder „Essen macht dick“, „nachts muss man schlafen“ usw. resultieren aus solchen Konditionierungen in der Kindheit. Die Konditionierung ist leider ein unglaublich mächtiger Faktor beim Erlernen von Verhaltensweisen – sie begleiten einen Menschen oft ein Leben lang. Solche selbst geschaffenen Verhaltensmuster haben ihren Ursprung in der Kindheit und werden durch Wiederholung, Bestätigung und tiefe emotionale Eindrücke verstärkt und unterbewusst auf weitere Reize übertragen. Da Stressreize für uns eine viel höhere Bedeutung haben, als alles andere, geschehen Konditionierungen dadurch wesentlich effektiver, nachhaltiger und schneller als mit Glücksgefühlen. Wir lernen schneller durch Schmerzen!

      Viele Menschen sind überrascht, wenn ich ihnen erkläre, dass sie als Kind in den ersten drei Jahren ihres Lebens Erlebtes rein emotional erfahren haben und es daher auch nicht zeitlich einordnen konnten. Die Konsequenz, dass Bedrohliches als Situation von ewiger Dauer abgespeichert wird und somit ein Angstmuster erzeugen kann, verblüfft zwar viele, dennoch leuchtet es den meisten Klienten ein. Da dieses Ur-Trauma vom Kind als existenzbedrohlich empfunden und unterbewusst neuronal verschaltet wird, kann es ein Leben lang durch entsprechende Trigger – also Erinnerungen – aufgerufen werden, die dann den gleichen körperlichen Stress auslösen wie das Ursprungserlebnis.

      Genau das ist der Grund, warum Angehörige häufig ratlos sind, wenn sie sehen, wie bei einem erwachsenen Menschen durch einen harmlosen Fahrstuhl, eine bevorstehende Flugreise oder einen Zahnarzttermin eine überschießende Angstreaktion ausgelöst wird. Ein Erwachsener empfindet Situationen mit einem ganz anderen kontextuellen Verständnis als ein Kleinkind – er weiß, dass Dinge wieder vorbeigehen und man sie auch aushalten kann. Ein Kind weiß das nicht! Dinge, bei denen ein Erwachsener nur gelassen mit den Achseln zuckt, erscheinen einem Kind wie eine lebensbedrohliche Katastrophe – und umgekehrt: Dinge, bei denen ein Kind glaubt, sein Leben sei in Gefahr, empfindet ein Erwachsener meist als Lappalie. Da die Logik der Symptome aber auf der Reife und der Macht eines Säuglings oder Kleinkindes basiert, welches sich vor der Wiederholung einer Traumatisierung schützen will und dieses Schutzmuster nicht bewusst entwickelt, wird ein Symptom immer deutlicher und stärker, je öfter die zu vermeidende Befürchtung eintritt.

      Je häufiger ein Mensch re-traumatisiert wird, desto schlimmer wird seine stressbedingte Störung! Wenn jemand einfach nur Angstsymptome bekämpft oder mit Medikamenten unterdrückt, fürchtet er unterbewusst den Verlust seines Schutzkonzeptes, und das Symptom verschlimmert sich. Daher ist die sogenannte Konfrontationstherapie, bei welcher der Patient absichtlich in eine Angst machende Situation versetzt wird, oft von zweifelhaftem Erfolg.

      Natürlich können Sie durch ständige Konfrontation mit Ihrer Bedrohung lernen, dass diese letztlich nicht so dramatisch ist, aber zum einen könnte man diesen Vorgang verkürzen, zum anderen etwas mehr methodisieren, und außerdem ignoriert die Konfrontationstherapie arroganterweise, dass eine Angst keine Dummheit ist, die man beseitigen muss, sondern ein intelligentes, aber eben irrationales Schutzkonzept gegen etwas, an das der Angstauslöser unterbewusst erinnert!

      Wenn ich Ihnen immer wieder eine Spinne vor die Nase halte und Sie auffordere, die Spinne zu berühren, lernen Sie vielleicht, dass diese konkrete Spinne nicht gefährlich ist. Vielleicht lassen Sie sich dann das Tier sogar über die Hand laufen, aber Sie lernen vor allem, dass Sie zuvor offenbar ein Idiot oder eine Memme gewesen sein müssen, sonst wäre ja nicht alles so einfach aufzulösen. Warum Sie aber Angst vor Spinnen hatten – und diese hat einen ernsten Hintergrund –, wissen Sie dann noch immer nicht.

      Unser Denken beginnt also bereits weit vor der Geburt (was viele Menschen nicht wissen). Darüber hinaus kann unser Gehirn nichts vergessen und jederzeit alles Datenmaterial durch das Antriggern von Emotionen abrufen.

      Erforscht wurde die immense Verknüpfungsfähigkeit des Gehirns bereits Anfang des letzten Jahrhunderts vom russischen Naturforscher und Nobelpreisträger Iwan Pawlow (1849–1936). Er stellte fest, dass immer dann, wenn er seine Laborhunde füttern wollte, die Tiere in freudiger Erwartung aufsprangen, noch bevor er die Näpfe gefüllt hatte. Er untersuchte diese Beobachtung wissenschaftlich. Dazu operierte er einem Hund, der als Pawlowscher Hund ein Begriff wurde, ein Glasröhrchen in den Unterkiefer ein, sodass man sehen und messen konnte, ob und wie viel Speichel dem Hund im Maul zusammenfließt. Dann stellte Pawlow seinem Hund einen Futternapf hin, der Hund bekam Speichelfluss. Irgendwann schlug Pawlow ein kleines Glöckchen an. Was geschah nun mit dem Hund? Nichts. Dem Tier bedeutete das Gebimmel nichts. Doch dann schlug Pawlow das Glöckchen immer kurz bevor er seinem Hund

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