Was deine Angst dir sagen will. Andreas Winter

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Was deine Angst dir sagen will - Andreas Winter

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eine Reaktion. Pawlow hatte nur das Glöckchen angeschlagen und gar kein Futter ausgeteilt, trotzdem bekamen die Hunde Speichelfluss – eine Verknüpfung zwischen Glöckchen und Futter hatte stattgefunden. Dem Tier lief das Wasser im Mund zusammen, weil es erwartete, es gäbe gleich etwas zu fressen.

      Eine erlernte Erwartung erzeugte eine körperliche Reaktion! Fällt Ihnen dabei etwas auf? Angst mit Herzrasen, Zittern, Schwitzen und Übelkeit ist ebenfalls eine körperliche Reaktion. Erwartungen lassen sich leicht automatisieren, denn das spart für das Gehirn eine Menge Energie. Und nicht nur der Hund ist aus diesem Grund ein Gewohnheitstier, sondern jedes Wesen mit einem Gehirn – auch der Mensch. Dieses Gehirn ist zwar unfassbar lernfähig und in seinen Rechenoperationen präzise, arbeitet aber leider zum überwiegenden Teil im Verborgenen – eben unbewusst. Es heißt, nur etwa drei bis fünf Prozent unserer gedanklichen Leistung würde ins Bewusstsein geraten. Dafür, dass wir uns alle für so rationale Wesen halten, ist das eher beschämend gering. Das große Problem unserer fleißigen grauen Masse unter der Schädeldecke ist, dass es alles wahrnimmt und nichts vergisst. Das Gehirn ist ein Hochleistungs-Großrechner, der hauptsächlich aus Wasser besteht. Es kümmert sich um sämtliche Zellen und Funktionsvorgänge im Körper und schläft nie! Dennoch ist das Gehirn der am meisten unterschätzte Körperteil. Es ist unsere Kommandozentrale und kann alles veranlassen, was wir für möglich halten. Dies geschieht mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit, die jeden noch so leistungsfähigen PC um Tausendfaches übertrifft. Daher können wir innerhalb von Sekundenbruchteilen herausfinden, ob uns ein Mensch bekannt vorkommt, sympathisch erscheint, ob wir seine Stimme mögen etc. Das schafft kein Computer – doch sogar ein Kind kann dies mühelos.

      Diese Eigenschaft der Konditionierung verhilft uns natürlich auch zu enormen Erleichterungen. So müssen wir nicht jedes Mal neu nachdenken, was eigentlich das rote Licht an der Verkehrsampel bedeutet. Bis wir darüber philosophiert haben, dass die rote Farbe uns möglicherweise an Blut erinnert, und wo Blut ist, da ist auch Verletzung und somit Gefahr – wir sollen also stehen bleiben … Und was bedeutet noch einmal Grün? Ist dies nicht Natur, Leben, Fruchtbarkeit, Nahrung? Also alles in Ordnung, ich kann fahren – zack! Rot! Konditionierungen sind sinnvoll, aber eben nicht immer, wie wir bereits gesehen haben.

      Ebenso unvorstellbar hoch wie seine Rechenleistung ist die Speicherkapazität des menschlichen Gehirns. Auf CD-ROM gebrannt, würden diese Daten einen Turm von rund 6,8 Millionen CDs mit 16 Kilometern Höhe und einem Gewicht von mehr als 1,2 Tonnen ergeben. Hinzu kommt, dass unser Gehirn vermutlich noch nicht einmal das einzige menschliche Datenverarbeitungsorgan ist. Nicht nur, dass unser gesamter Magen-Darm-Trakt von einem Nervengeflecht umhüllt ist und seine eigenen Verdauungsregeln erstellt – sogar unser Herz, so glauben Neurobiologen, arbeitet autonom und kann in gewissem Rahmen „Entscheidungen“ zur Regulierung des Organismus fällen. Die neuesten Ergebnisse in der Hirnforschung zeigen: Wahrscheinlich ist unser Gehirn sogar in der Lage, über die Zirbeldrüse auch ohne die Hilfe unserer Sinnesorgane Informationen einzufangen. Das bedeutet nichts anderes, als dass wir physikalisch (noch) nicht Messbares wahrnehmen können. Orientierung im Dunkeln oder das Registrieren von Gefahr gehören genauso dazu wie Vorahnungen von Tod oder Krankheit von Verwandten. Auch das Erdmagnetfeld wird vom Menschen unbewusst erspürt. Ob wir diese Fähigkeiten nutzen und trainieren, hängt von Glauben, Kultur, Förderung, Interesse aber auch von Selbstsicherheit, also von Angstfreiheit, ab.

      Ich möchte im Folgenden zeigen, dass Sie sich mit einer bestimmten Gesprächstechnik, in der Sie Ihre emotionalen Hirnareale nutzen, präzise und überprüfbar daran erinnern können, wo Sie als Kleinkind laufen gelernt haben, was Sie anhatten, worauf Sie zugegangen sind und vor allem wann, an welchem Datum und Wochentag genau das gewesen ist! Probieren Sie es aus! Setzen Sie sich bequem hin, und versetzen Sie sich mit geschlossenen Augen und in echter Ruhe (!) imaginär in die Situation, in der Sie mutmaßlich Ihre ersten eigenen Schritte gegangen sind. Lassen Sie sich von den Gedanken, die da hochkommen, einfach lenken, nehmen Sie diese ernst! Kontrollieren Sie nicht mit Logik und Verstand! Dann fragen Sie sich selbst nach Jahreszeit, Monat, Datum und Wochentag. Das Ergebnis können Sie mit einem elektronischen Kalender überprüfen. Wir führen diesen Test in unserem Institut seit 2010 standardmäßig mit einem Großteil unserer Klienten durch. Unsere Testpersonen lagen nur zu etwa 20 Prozent im ersten Durchlauf daneben. Doch wenn im zweiten Test fast alle eine korrekte Datum-Wochentag-Konstellation nennen, so wie ich es in meiner Praxis seit Jahren erlebe, dann trauen Sie dem Gehirn auch zu, dass es sich genau an die Geburt und an die Monate davor und danach erinnert. In dieser Zeit nämlich werden die Angstprogramme „geschrieben“.

      Zwar heißt es, Ängste würden über die Erbanlagen weitergegeben werden. Das ist vielleicht in engen Grenzen nicht ganz auszuschließen, jedoch halte ich es für wesentlich bedeutungsvoller, dass erstens Lernprozesse bereits in einem sehr frühen pränatalen Entwicklungsstadium stattfinden, dass wir also die Emotionen der Mutter erlernen, und dass sich zweitens Erbanlagen über Jahrmillionen im Erbgut halten können Dies würde bedeuten, dass sich auch Mut und Coolness vererben lassen. Es müsste also einen Grund geben, warum ein der Angst konträres Programm sich nicht dominant durchsetzen sollte, denn da Angst das Verhalten beeinträchtigt und die Abwehr schwächt, müsste der Zweig der ängstlichen Menschen folglich längst ausgestorben sein. Davon abgesehen: Wenn ein Mensch innerhalb von Minuten seine Angst vollständig und rückfallfrei, mess- und überprüfbar, allein durch eine Erkenntnis überwindet, kann mir niemand von Erbanlagen erzählen. Ängste sind ein geisteswissenschaftliches Thema und keines der Biologie. Nur der Vollständigkeit halber sei gesagt: Es gibt Menschen, die mir sagen, sie hätten ihre Ängste deswegen, weil sie in angeblichen früheren Leben Traumatisches erlebt haben. Abgesehen davon, dass ich die Annahme früherer Leben nicht ablehne, so muss es aber eine Erklärung geben, warum wir ausgerechnet in diesem Leben ein Problem bekommen, denn wenn es ein früheres Leben gab, dann muss es davon sehr viele gegeben haben. Das bedeutet, wir alle sind schon einmal verhungert, an einer Krankheit verreckt, erschlagen oder von einem Raubtier gefressen worden. Warum sind wir dann nicht alle zum Schutz davor übergewichtig, misstrauisch, tierscheu und Gesundheitsfanatiker? Antwort: Weil es erst in diesem Leben einen Grund, einen Auslöser für das Angstprogramm geben muss.

      Übrigens gehe ich mit meinem physikalischen Verständnis davon aus, dass sich auch Informationskomplexe anreichern, also weiterentwickeln können. Man kann ein Kochrezept verfeinern, eine Sinfonie ausarbeiten und auch ein Computerprogramm verbessern. Doch teile ich nicht die Sicht einiger Rückführungstherapeuten, es gebe eine Art Gericht, das darüber entscheidet, dass ein Verbrecher beispielsweise im späteren Leben als Opfer zur Welt kommt, um sein Karma auszugleichen. Dies ist meines Erachtens unlogisch und entspricht nicht der naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Denn dann müssten ja alle Katzen als Mäuse wiedergeboren werden, um das Verbrechen an ihnen zu sühnen, und diese Mäuse müssten dann als Pflanzen oder Würmer reinkarnieren. Die Evolution wäre damit rückläufig. Oder glauben die Rückführungstherapeuten etwa, es gäbe einen karmischen Unterschied, ob ich einen Artgenossen töte, ein Lebewesen in meiner Nahrungskette erbeute oder Wale und Delfine für Forschungszwecke abschlachte? Mir persönlich leuchtet die streng physikalische Erklärung des Algorithmus eines Organisationsfeldes, das sich schlicht materiell niederschlägt und mit Informationen anreichern kann, am ehesten ein. Sicherlich entscheidet die Absicht darüber, wie eine Tat, ein Gedanke, ein Verhalten zu bewerten ist, aber wer bewertet die Absicht?

      Ich werde oft gefragt, ob das, was einem Menschen durch den Kopf geht, nicht einfach nur Fantasie sei. Meist ist es das nicht. Man kann Fantasie von Erlebtem durch zwei Kriterien relativ sicher voneinander unterscheiden:

      →Authentizitätsempfinden: Fantasie besteht nur aus sehr geringen Datenmengen und hinterlässt kein starkes Gefühl von Echtheit. Real Erlebtes hingegen umfasst viel mehr Informationen, sodass hier bei einer Erinnerung der Körper angesteuert wird. Es fühlt sich subjektiv wesentlich echter an als Fantasie und kann auch deutliche körperliche Reaktionen (Weinen, Husten, Würgen, Schmerzen) hervorrufen.

      →Erinnerbarkeit:

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