Zivilisation in der Sackgasse. Franz M. Wuketits
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Kaum zu bestreiten ist jedoch, dass der Mensch während eines beträchtlichen Zeitraums seiner Evolutionsgeschichte, über zwei Millionen Jahre, nomadisierend als Jäger und Sammler gelebt hat. Er ist also der geborene Nomade. Besser sollte man vielleicht sagen: Halbnomade. Denn es liegt nahe, dass sich die steinzeitlichen Jäger und Sammler vorübergehend auch niedergelassen haben, und zwar vor allem an Orten, die ihnen ausreichende Nahrungsressourcen boten. Es wäre ja eine Verschwendung von Energie gewesen, herumzuwandern, wenn das zum Fressen Benötigte in unmittelbarer Umgebung zumindest saisonal verfügbar und das Aufspüren von Ressourcen in größerer Distanz mit Unwägbarkeiten verbunden war. Und man kann mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen: Nichts lag unseren steinzeitlichen Ahnen ferner, als überflüssige Anstrengungen zu unternehmen oder sich unnötigen Risiken auszusetzen. Ihr Leben war ohnedies hart genug. Die auf die Antike zurückgehende Vorstellung eines „goldenen Zeitalters“ irgendwann in grauer Vorzeit und die noch von Jean-Jacques Rousseau (1712 bis 1778) vertretene und verteidigte Idee, dass im „Naturzustand“ alles gut gewesen sei und der Mensch in seinem Urzustand glücklich gelebt habe, sind schöne Märchen. Dagegen stellte bereits der Arzt und Philosoph Ludwig Büchner (1824 bis 1899), der populärste Vertreter des Materialismus seiner Zeit, treffend Folgendes fest:
So schön und tief empfunden die Paradies-Sage oder diejenige vom goldenen Zeitalter ist, ebenso unwahr und der Phantasie entsprossen ist sie doch. In Wirklichkeit hat es niemals einen paradiesischen Zustand der Menschheit gegeben, sondern ganz im Gegentheil einen elenden, erbärmlichen Zustand unseres ältesten Vorfahren oder des Urmenschen, aus welchem sich derselbe nur sehr allmählich befreit hat, … nicht durch Göttliche Hülfe, sondern durch eigene, unerhörte Anstrengungen im Laufe zahlloser Jahre und Generationen.
(Büchner 1891, S. 3)
Wann immer es ihm gegönnt war, wird der „Urmensch“, wie gesagt, Anstrengungen vermieden haben – womit er sich in keiner Weise von anderen Tieren unterschied. Auch ein Löwe etwa unternimmt keine zusätzliche Anstrengung, wenn er sich an Ort und Stelle einer fetten Beute versichern darf und obendrein von niemandem behelligt wird. Es herrscht das „Trägheitsprinzip“: Anstrengung lohnt sich nur, wenn sie unmittelbar Erfolg verspricht. Freilich ist das Leben der Tiere (in freier Wildbahn) und war das Leben unserer steinzeitlichen Ahnen von gar vielen Mühen und Plagen gekennzeichnet. Nur satte Mäuler können der Ruhe pflegen.
Nun kurz zu der alten Frage „Woher kommen wir?“.
AFRIKA UND DIE BESIEDLUNG DER ERDE
Abermals war es Charles Darwin, der bereits die richtige Vermutung hinsichtlich unserer „Urheimat“ äußerte: Afrika. Alle Fossilien, die das früheste und frühe Auftreten von Menschen (Hominini) heute belegen, stammen aus diesem Kontinent. Mittlerweile sind es recht viele Funde, die verschiedene Gattungen und Arten repräsentieren. Keineswegs alle können hier berücksichtigt werden. Zu erwähnen ist aber zunächst Ardipithecus ramidus aus Äthiopien, der älteste bisher bekannte „Mensch“, eine Spezies jedenfalls, die schon zur bipeden Fortbewegung befähigt gewesen sein muss und vor über fünf Jahrmillionen auftrat. Seine Existenz ist erst seit den 1990er Jahren bekannt. Auf eine längere Entdeckungsgeschichte kann die Gattung Australopithecus zurückblicken, die nach wie vor häufig als „Urmensch“ bezeichnet wird. Der erste Fund dieser Gattung stammt aus dem Jahr 1924. Heute werden, je nach Gesichtspunkt, fünf bis acht Spezies unterschieden, die älteste von ihnen ist Australopithecus anamensis, der ein Alter von über vier Millionen Jahren aufweist. Andere Arten sind der rund drei Millionen Jahre alte Australopithecus africanus und Australopithecus robustus (auch Paranthropus robustus genannt), der vor etwa zwei Jahrmillionen auftrat. Es muss davon ausgegangen werden, dass in den frühen (teils auch in späteren) Phasen seiner Evolution mehrere Gattungen und Arten des Menschen zeitgleich und auch in derselben Region gelebt haben. Wie mögen sie einander begegnet sein? Eine spannende Frage. Wahrscheinlich standen sie in Konkurrenz zueinander und besetzten unterschiedliche ökologische Nischen. Mag sein, dass sie sich gelegentlich auch gehörig in die Quere kamen. Aber Näheres bleibt derzeit noch Mutmaßungen überlassen, vieles wird vielleicht für immer im Dunklen bleiben (obwohl man in der Wissenschaft ein Problem nie resignierend als grundsätzlich unlösbar erachten sollte).
Die Gattung Homo, zu der auch unsere eigene Spezies zählt, trat vor etwa zwei Millionen Jahren in Erscheinung und sollte sich gleichsam als Erfolgsmodell in der Evolutionsgeschichte des Menschen herausstellen. Ihre ältesten Vertreter sind Homo habilis und Homo ergaster, etwas jünger – seit etwa einer Million Jahren nachgewiesen – ist Homo erectus, dessen späte „Ausläufer“ noch vor zweihunderttausend Jahren existiert haben dürften. Ursprünglich beschränkte sich auch das Verbreitungsgebiet der Gattung Homo auf Afrika, Homo erectus aber, dessen Erforschungsgeschichte im späten 19. Jahrhundert mit der Entdeckung von Skelettresten auf Java begann, lebte auch schon in Asien und in Europa. Zu einiger Berühmtheit brachte es dabei der sogenannte Peking-Mensch, der in den 1920er Jahren in der Nähe der chinesischen Hauptstadt entdeckt wurde, vor knapp fünfhunderttausend Jahren erstmals in Erscheinung trat und sich bereits im Gebrauch des Feuers übte. Für die paläoanthropologischen Forschung nicht minder bedeutsam ist auch ein „Europäer“, der Heidelberg-Mensch oder Homo heidelbergensis, der vor etwa sechshunderttausend Jahren in Afrika aufgetaucht war und sich später auf unserem Kontinent niederließ. Unsere eigene Art schließlich, Homo sapiens, erschien vor etwa hundertfünfzigtausend Jahren auf der Bühne, und zwar wiederum zunächst in Afrika, von wo aus er nach Europa – und später auf alle anderen Kontinente – auswanderte.
Somit lässt sich heute nicht nur sagen, dass die Wiege der Menschheit in Afrika stand, sondern auch, dass von dort aus immer wieder menschliche Populationen in andere Regionen der Erde eingewandert sind. Diese im Fachjargon als Out-of-Africa bezeichnete Migrationshypothese findet nicht nur in Fossilien und Werkzeugen, sondern auch in molekularbiologischen Untersuchungen (DNA-Vergleichen heutiger menschlicher Populationen) eine veritable Stütze. Was aber hat Menschen immer wieder dazu bewogen, den afrikanischen Kontinent und ihr jeweils angestammtes Territorium zu verlassen? Eine abermals sehr spannende Frage. Es mögen Nahrungsmangel, klimatische Veränderungen und noch andere Faktoren dafür maßgeblich gewesen sein. Vielleicht auch veranlasste seine zunehmende Intelligenz und mit dieser seine sich beständig steigernde Neugier und Entdeckungslust den Menschen schon früh dazu, nach neuen Ufern vorzustoßen, auf neuem Terrain Fuß zu fassen.
Obwohl hier ein nur überaus knapper Abriss der Evolution und Verbreitungsgeschichte des Menschen bezweckt sein kann, darf die Erwähnung des Neandertalers nicht fehlen. Der Homo neandertalensis ist eine Schlüsselfigur der Paläoanthropologie, die als Wissenschaft vom fossilen Menschen mit seiner Entdeckung überhaupt erst ihren Anfang nahm (1856 in einer Höhle im Neandertal bei Düsseldorf). Wenngleich die Existenz des Neandertalers mittlerweile durch zahlreiche Funde aus Europa und dem Vorderen Orient sehr gut dokumentiert ist und seine Lebensweise anhand einschlägiger Grabungsergebnisse gut rekonstruiert werden konnte (nachweislich bestattete er seine Toten und schmückte ihre Gräber mit Blumen), gibt diese „Menschenform“ nach wie vor einige Rätsel auf. Insbesondere ihr Verschwinden vor knapp dreißigtausend Jahren liefert immer noch Stoff für einige Spekulationen. Tatsache ist, dass der Neandertaler zeitgleich mit dem