Lebensbilder aus dem Bistum Mainz. Группа авторов
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Die politisch-religiöse Bewegung des Deutschkatholizismus blieb eine Randerscheinung, doch ließen die revolutionären Unruhen im Großherzogtum Hessen Lüft 1848 Ausschau nach dem Amt des Frankfurter Stadtpfarrers halten. Lüft teilte Linde mit, dass mir das Leben in Darmstadt und damit auch meine Stelle immer mehr zu verleiden anfängt, was ich freilich vorläufig nur Ihnen sagen darf, obschon es mir schwer fällt, das Gesicht des Überdrusses zu verbergen75. Wie viele Glieder des Establishments erschütterten ihn die revolutionären Vorgänge.
In seiner Neujahrspredigt 1851 blickte Lüft auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und verurteilte Krieg und Revolution, falsche Aufklärung und Weltweisheit76. Die Wendung zum Besseren schien ihm allerdings gewiss. Wir haben mit Freuden gesehen, wie ein mächtiger Zug der Gnade durch die Herzen geht, und die Religion wieder angefangen hat, innigere und zahlreichere Verehrer zu zählen. Auch das Nachlassen der konfessionellen Reibungen und Kämpfe erfüllte ihn mit Zuversicht77.
Warf man Lüft im Mainzer Kreis auch vor, er sei allzusehr verdarmstädtert, so suchte Bischof Ketteler doch seine Verdienste zu würdigen. Da er Lüft bei der nächsten Vakanz eines Domkanonikats unmöglich übergehen, dieser aber in seiner einflussreichen Stelle als Pfarrer und Oberschulrat in Darmstadt „multo utilior“ wirken konnte, bat Ketteler den Papst um die Erlaubnis, Lüft zum Ehrendomherrn erheben zu dürfen. Der Zustimmung des Großherzogs war er sich von vornherein gewiss. Pius IX. erhob keine Einwände und Lüft wurde 1852 Mainzer Ehrendomherr. Als Darmstädter Pfarrer hatte Lüft zeitweilig Ketteler in der Ersten Kammer der Landstände zu vertreten. 1862 bat er, aus gesundheitlichen Gründen von dieser Aufgabe entbunden zu werden. In dieser Zeit nahm Lüft auch nicht mehr an den Sitzungen der Darmstädter Oberstudiendirektion teil; Klagen über die mangelnde Vertretung kirchlicher Interessen in diesem Gremium waren die Folge.
Politisch dachte Lüft großdeutsch. 1858 kam es deshalb zum Eklat; denn Lüft schlug die Bitte des französischen Gesandten in Darmstadt, zum Napoleonstag 1858 eine Messe zu feiern, rundweg ab; aus seinen pro-österreichischen Gefühlen machte er keinen Hehl. Die hessen-darmstädtische Regierung gab sich indigniert.
In den Jahren 1862/63 stand Lüft in Briefwechsel mit dem resignierten bayerischen König Ludwig I. (1786–1868); dieser hatte enge Beziehungen zu Darmstadt; denn seine Tochter Mathilde war die Gattin Großherzog Ludwigs III. Lüft nahm in seinen Schreiben Stellung zu Heiratsplänen des Königs. Die Auserwählte war die um Jahrzehnte jüngere Darmstädter Hofdame Carlotta von Breidbach-Bürresheim (1838–1920). Lüft betätigte sich als Postillion d’amour, war dann aber vor allem damit beschäftigt, den König von seinen Plänen abzubringen. Als die Freiin sich vermählte, spendete er dem „Unterlegenen“ Trost und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass bei Euer Majestät bald die Periode eintritt, wo die freundliche Erinnerung ohne schmerzliche Beimischung ist78.
Am Todesleiden Lüfts nahm auch Bischof Ketteler Anteil; schon im Januar 1869 fragte man sich, ob Lüft den Winter überlebt79. Lüft erholte sich nochmals, starb aber am 23. April 1870. In einem Nachruf der „Darmstädter Zeitung“ hieß es, Lüft erfreute sich durch die Reinheit, Geradheit und Unwandelbarkeit seines Charakters sowie durch seine echt christliche Toleranz der Achtung und Liebe aller, die mit ihm in Berührung kamen, in reichstem Maße80. Kettelers Urteil war zwiespältiger. Unsern alten Lüft werden wir noch oft entbehren, schrieb er an Johann Baptist Heinrich vom Vatikanischen Konzil, wenn auch für die Seelsorge unendlich viel mehr und Besseres geschehen kann wie bisher81. Lüfts „Rolle“ auf der diplomatischen Bühne spiegelte sich auch in der Verleihung des Ritterkreuzes des Großherzoglich Hessischen Ludwigsordens I. Klasse und des Königlich Bayerischen Verdienstordens I. Klasse.
In Johann Baptist Lüft begegnet uns ein Theologe von Rang. Ihm verdankt die Liturgik ihre wissenschaftliche Grundlegung. Doch vermochte die Universität für ihn nicht zur eigentlichen Heimat zu werden. Der Professor für Pastoral strebte nach der pastoralen Praxis. 35 Jahre lang hat er sich ihr in Darmstadt gewidmet. Zeit seines Darmstädter Wirkens ist es ihm gelungen, trotz des forschen Vorgehens eines Bischofs wie Ketteler für ausgeglichene Beziehungen zwischen Staat und Kirche zu sorgen. Dabei hat er den katholischen Standpunkt nicht verschwiegen, viel weniger aufgegeben.
Lebensdaten
30.03.1801 | geb. in Hechtsheim bei Mainz als Sohn des Tagelöhners Jakob Lüft und seiner Frau Klara, geb. Strohm |
07.04.1824 | Priesterweihe in Speyer |
1829 | Professor für Moraltheologie am Mainzer Priesterseminar |
30.11.1830 | Professor für Moral- und Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät und Pfarrer in Gießen |
1835 | Pfarrer, Dekan und Oberschulrat in Darmstadt |
1852 | Ehrendomkapitular |
23.04.1870 | gest. in Darmstadt |
Quellen
Archivio Segreto Vaticano, Rom (ASV):
ANM 80 pos. 87
Bundesarchiv Außenstelle, Frankfurt a.M. (BAF):
FN 10/32
Bayerische Staatsbibliothek, München (BayStB):
Ludwig I., Archiv
Dom- und Diözesanarchiv, Mainz (DDAMz):
Generalakten 1/I; Pfarrakten Dekanat Gießen; Pfarrakten Gießen 2; Generalakten 1/IIk; Generalakten 1/III; Generalakten 4; Domkapitel C. 1.8a
Freies Deutsches Hochstift, Frankfurt a.M. (FDHF):
Hs. 24691
Pfarrarchiv St. Bonifatius, Gießen (PfAGi):
[J. B. Rady], Chronica Parochiae Catholicae Giessen 1880
Schriften
Die Bedürfnisse der Kanzelberedsamkeit in ihrem Verhältnisse zu den Anforderungen der Zeit und der Kirche. In: Kirchenzeitung für das katholische Deutschland 3 (1832) S. 137–144, 153–158, 209–215, 225–232.
Der Glaube. Sein Wesen, sein notwendiger Zusammenhang mit dem Wesen des Menschen und seine unmittelbarsten Äußerungen. Eine praktisch-theologische Abhandlung in Anlehnung an Matthäus 8,1–13. In: Religiöse Zeitschrift für das katholische Deutschland 1 (1833) S. 268–297.
Rez. F. S. Häglsperger, Skizzierte Themata zu Homilien und Predigten