Menschen mehr gerecht werden. Franz Reiser

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Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral

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beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer 2004).

      48 Versorgungsforschung hat normwissenschaftliche und evaluative Anteile, sie bewertet auch nach ethischen Vorgaben und Grundwerten (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft 2010, S. 27), 29 f., 40); vgl. dazu unten Kap. 3.

      49 Vgl. ausführlich unten Abschn. 4.5.3.

      50 Vgl. dazu oben Abschn. 1.5.

      51 Vgl. dazu unten Abschn. 3.2.

      52 Zu beachten ist, dass natürlich oft auch Mehrfachdiagnosen vorkommen.

      53 Multi-methodischer Ansatz: Systematische Literaturdurchsicht, Neuanalyse bestehender Datensätze und nationaler Surveys, sowie Expertenbefragungen (vgl. Wittchen et al. 2011, S. 656).

      54 Eingedenk der Mahnung von K. I. Pargament: „In fact, there is, perhaps, only one thing to avoid: simple conclusions. Stereotypic views of religion, be they positive or negative, do not stand up to empirical scrutiny.“ (Pargament 2002b, S. 178)

      2 Anthropologische Aspekte: Inwiefern gehört eine religiöse bzw. spirituelle Dimension zum Menschen?

      Gehört eine solche Dimension zum „Wesen“ des Menschen, ist sie konstitutiv für das Menschsein? Oder ist sie zumindest möglich – und gegebenenfalls auch eine relevante und ernst zu nehmende Dimension? Ein völliger Konsens der unterschiedlichen Menschenbilder und Anthropologien wird sich nicht herstellen lassen.55 Anthropologische Reflexion stößt angesichts der Komplexität ihres „Gegenstandes“ Mensch an Grenzen, die keine alles übergreifende Meta-Synthese erlauben.56

      Anschaulich wird das z. B. in der langen Liste von „Wesensbestimmungen“ des Menschen, die der Philosoph Gerhard Arlt zusammengestellt hat, ebenso beeindruckend seine Aufzählung von Namen einzelner Anthropologien: Es gibt mehr davon, „als Wörter auf eine Druckseite gehen.“ (vgl. Arlt 2001, S. 5) f.) Berühmt ist das Diktum von Karl Rahner zur Frage „Was ist der Mensch?“: „Ich meine: der Mensch ist die Frage, auf die es keine Antwort gibt.“ (Aus: Wagnis des Christen; zit. nach Rahner 1979, S. 23)57 Und doch ist die Frage wichtig, was zum Mensch-sein gehört – oder gehören kann.

      In ihrer Einleitung zum Handbuch Anthropologie betonen Eike Bohlken und Christian Thies, man könne nur bedingt von einem Wesen des Menschen sprechen:

      Der Begriff eines „Wesens“ darf allerdings nicht mehr „essenzialistisch“ als Substanz aufgefasst werden, sondern ist lediglich im Sinne einer inhaltsoffenen Strukturformel zu denken; er muss als dynamisch konzipiert werden, denn seine inhaltliche Füllung bleibt notwendig geschichtlich unabgeschlossen und damit Gegenstand fortwährender Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen, Epochen und Disziplinen. (Bohlken u. Thies 2009, S. 4)58

      Klaus Hock, Professor für Religionsgeschichte an der Universität Rostock, beobachtet in der Philosophie und Theologie bisweilen apologetische Bemühungen, „in der Religiosität eine in der menschlichen Natur mitgegebene Größe jenseits aller konkreten Ausdrucksformen von Religion zu finden.“ (vgl. Hock 2009, S. 399 f.) Auch religionssoziologische wie -psychologische Untersuchungen könnten keine abschließende Antwort auf die fundamentale Frage geben, ob wir es bei Religiosität mit einer „anthropologischen Grundkonstante“ zu tun haben, „die substanziell zum Wesen des Menschen gehört“, oder eher mit einem „Akzidens, dessen Vorhandensein (oder Fehlen) durch ein Ensemble unterschiedlichster Faktoren zustandekommt“, also nicht essenzialistisch in der Grundstruktur des Menschen angelegt sei (ebd., S. 402).

      Eine für alle überzeugende Antwort, inwieweit eine religiöse bzw. spirituelle Dimension zum Menschen gehöre, wird sich auch hier nicht darstellen lassen. Versucht werden soll aber ein Mosaik namhafter Stimmen (v. a. des 20. und 21. Jh.s) aus unterschiedlichen Fächern, die dieses komplexe Phänomen aus verschiedenen Richtungen beleuchten und so seine Relevanz und Vielfalt aufscheinen lassen. Denn selbst „eine“ religiös-spirituelle Dimension wäre keine eindimensionale Erscheinung.

      Vor der philosophischen Reflexion steht die Wahrnehmung, oft auch erst das Staunen, wie Aristoteles bemerkte. In der Vielfalt religiöser Phänomene versuchen die Religionswissenschaften, ordnende Kategorien zu finden. Eine sehr einflussreiche, auch religionspsychologisch brauchbare Definition von Religion hat 1966 der Ethnologe Clifford Geertz vorgelegt:

      Eine Religion ist (1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, daß (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen. (Geertz 1983, S. 48)59

      Ein Symbolsystem hat mit der Deutung von Wirklichkeit zu tun, was auch für den Religionsphänomenologen Jacques Waardenburg zentral ist. Er zählt als die drei wesentlichen Merkmale von Religion auf: „religiös gedeutete Wirklichkeiten“, „religiös gedeutete Erfahrungen“ und „religiös gedeutete Normen“ (vgl. Waardenburg 1986, S. 18–23). Das könnte tautologisch klingen oder wie eine bloße Explikation des Begriffs Religion, verdeutlicht aber den – philosophisch wie theologisch sinnvollen – Ansatz, dass Religion und ihr intendiertes Gegenüber (wie etwa Gott selbst) nicht direkt greifbar sind, sondern eine Deutung des Gegebenen verlangen.

      Der Philosoph Bernhard Irrgang vermerkt beim Eintrag „Mensch“ im Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie: „Als grundlegende Wesenszüge des M.en gelten seine Vernunft und seine Freiheit, seine Sprachfähigkeit, seine Moralität, seine Sozialität, sein Selbst- und Todesbewusstsein, aber auch der aufrechte Gang, Kultur, Technik, seine Weltoffenheit und sein Transzendenzbezug bzw. seine Religiosität.“ (Irrgang 2007, S. 263)

      Ähnlich hält Holger Zaborowski im Neuen Handbuch philosophischer Grundbegriffe fest, Religion sei ein

      Grundvollzug oder -phänomen des Menschseins. Religion ist ein Phänomen, das sich empirisch seit den Anfängen der Menschheit nachweisen lässt […] Der Mensch verfügt nicht nur über Vernunft, Selbstbewusstsein oder Sprache; es ist für ihn auch charakteristisch, ein religiöses Wesen zu sein. In diesem Zusammenhang wird seit der Zeit der Kirchenväter von der anima naturaliter religiosa des Menschen gesprochen. (Zaborowski 2011, S. 1892)

      Freilich ist dies eine offene, freie Möglichkeit für den einzelnen Menschen: „Religion (im Sinne von Religiosität) ist keine naturwüchsige Tatsache, sondern eine natürliche Möglichkeit des Menschseins, die es in Freiheit anzueignen und kulturell zu bestimmen gilt.“ (ebd., S. 1893)60

      Eine schöne Beschreibung grundlegender religiöser Erfahrung gibt ein Beitrag von Rüdiger Safranski:

      Ich habe also weniger eine bestimmte Religion als System oder gar als Institution meinen Überlegungen zugrunde gelegt, sondern eine religiöse Erfahrung zu skizzieren versucht, die ich zusammenfassend so charakterisieren kann: es handelt sich dabei um jene Erfahrung, die im Leben und im Sein insgesamt ein letztlich unauflösbares Geheimnis und einen unerschöpflichen Reichtum sieht – und die von diesem Umgreifenden angerührt ist. Diese Erfahrung gibt es in unterschiedlichen Graden von Intensität. (Safranski 2002, S. 19) f.)

      Auch er sieht sie als eine Möglichkeit:

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