Menschen mehr gerecht werden. Franz Reiser

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser страница 17

Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral

Скачать книгу

Fähigkeit zur Transzendenz:

      Der Mensch ist ein Wesen, das transzendieren, das heißt: über sich hinausgehen kann; […] Für dieses transzendierende Vermögen gibt es unendlich viele Formulierungen; die vielleicht schönste haben Goethe und Schelling gefunden, als sie erklärten: Der Mensch ist Natur; aber im Menschen schlägt die Natur ihre Augen auf und bemerkt, daß sie da ist. Im Menschen ist die Natur gesteigert zur Selbstsichtbarkeit und damit zur Selbsttranszendenz. Daraus erwächst das große Staunen darüber, daß es das Sein gibt und nicht das Nichts. (ebd., S. 25)

      Das bleibt kein nur individuelles Phänomen, sondern bekommt gemeinschaftliche Gestalt: „Aus diesem Spielraum des Transzendierens sind auch die Religionen erwachsen. Sie sind Versuche, der Transzendenz, auf die hin wir transzendieren können, ein bestimmtes Gesicht zu geben.“ (ebd., S. 26)

      Der Freiburger Religionsphilosoph Bernhard Welte hat auf seine ganz eigene phänomenologische Art menschliche Bedingtheit, Freiheit und Transzendenz aufgewiesen. Zu allem Gegebenen könne der Mensch sich verhalten und Stellung nehmen, da sei ein „ich selbst“, ein innerster Punkt, der nie Objekt werden könne (vgl. Welte 1969, S. 50–56). Alles menschliche Sich-Verhalten habe ein „Worumwillen“, ein im weitesten Sinne sinngebendes Element, das alles umfassend und auch alles überschreitend sei: Für den Menschen gebe es – anders als für Tiere – keine begrenzte Welt als einen „begrenzten Spielraum seines Verhaltens“, sondern für „ihn ist die alles umfassende und alles übersteigende Transzendenz eröffnet.“ (vgl. ebd., S. 61) f.) Daraus folgert er: Ist der Mensch

      einerseits ein einzelnes und begrenztes Naturwesen, so ist er andererseits alle Natur umfassend und übergreifend und darum auch aller Natur gegenüber. Verlängern wir an diesem Punkte unsere Betrachtungen um ein Weniges, dann können wir es wagen zu sagen: Der Mensch ist in der Transzendenz seines Umwillen immer schon ausgerichtet auf das Allumfassende, Unbegrenzte und Unbedingte und von diesem beansprucht. Im Hinblick auf diesen Zusammenhang kamen ältere Denker nicht ohne Grund auf den Gedanken, das Allumfassende, Unbegrenzte und Unbedingte, das den Menschen in seiner Freiheit immer schon beansprucht, sei das, was in der Sprache der Religion Gott genannt wird, und der Mensch sei also im Grunde oder in der Spitze seines Wesens von Gott beansprucht oder von Gott angerührt oder Gott berührend. (ebd., S. 87)

      Der Mensch habe im Ganzen eine Stellung des „Zwischen“: „zwischen Natur und dem, was mehr ist als Natur“ – in der neuplatonischen Tradition wurde deshalb das Menschenwesen auch „Wesen der Grenze“ genannt (vgl. ebd., S. 88) f.).61

      Für Welte grundlegend ist auch die elementare Verbindung von Hoffnung und Sinn im menschlichen Dasein:

      Tatsächlich tun wir alles, was wir tun, und wir können es nur tun, insofern wir dabei von dem – zumeist unausdrücklichen – Gedanken geleitet sind: Es wird schon Sinn haben, oder es wird schon für etwas gut sein, oder es wird mich schon zu einem erstrebten Ziel hinführen, d. h. aber, wir tun alles aus Hoffnung. Damit hängt auch die Sinnfrage zusammen, die neuerdings so viel und mit Recht erörtert wird. Hoffend fragen wir nach dem Sinn. Diese Frage ist uns niemals gleichgültig. (Welte 1982, S. 230)

      Die fundamentale Hoffnung und Voraussetzung von Sinn zu erhalten oder zu stärken sei lebenswichtig:

      Man kann es immer und immer wieder beobachten, daß die Kraft und der Mut überhaupt zu leben in sich zusammenfallen, wenn die Hoffnung auf ein sinnvolles Leben erlischt. Daher kann man sagen, die Hoffnung und die mit ihr verbundene Sinnvoraussetzung ist die Bedingung der Möglichkeit lebendigen menschlichen Daseins. Und als Bedingung der Möglichkeit ist sie dann auch die Triebfeder, die alle Formen unseres Daseins in Gang setzt. (ebd.)

      Zumindest kurz anzureißen wäre hier die transzendentalphilosophische Anthropologie von Karl Rahner (hier mit Albert Raffelt), die – ähnlich wie B. Welte – den Menschen als „Wesen der Transzendenz“ wahrnimmt.62 Er geht von der Subjekterfahrung aus:

      Personsein bedeutet so Selbstbesitz eines Subjekts als solchen in einem wissenden und freien Bezogensein auf das Ganze. […] Selbst dort noch, wo der Mensch sich restlos als das Fremdbedingte von sich abwälzen und so sich wegerklären würde, ist er es, der dies tut und weiß und will, umgreift er die Summe möglicher Elemente einer solchen Erklärung und erweist er sich so als derjenige, der ein anderes ist als das nachträgliche Produkt solcher Einzelmomente. (Rahner u. Raffelt 1981, S. 16)

      Und eben in dieser „Selbsterfahrung des Menschen als Person und Subjekt geht auf, daß er das Wesen der Transzendenz ist“ (ebd., S. 17). In aller Regel ist diese Erfahrung „unthematisch“ mitgegeben:

      Es ist zu betonen, daß die hier gemeinte Transzendenz nicht den thematisch vorgestellten „Begriff“ der Transzendenz, in dem diese gegenständlich reflektiert wird, meint, sondern jene apriorische Eröffnetheit des Subjekts auf das Sein überhaupt, die gerade dann gegeben ist, wenn der Mensch sich als sorgend und besorgend, fürchtend und hoffend der Vielfalt seiner Alltagswelt ausgesetzt erfährt. (ebd., S. 19)

      Als transzendentaler Horizont ist das Ganze der Wirklichkeit anwesend und darum kann Rahner sagen: „der Mensch ist und bleibt das Wesen der Transzendenz, dem sich die unverfügbare und schweigende Unendlichkeit der Wirklichkeit als Geheimnis dauernd zuschickt. Dadurch wird er zur reinen Offenheit für dieses Geheimnis gemacht und gerade so als Person und Subjekt vor sich selbst gebracht.“ (ebd.)63 Dem „Wovonher und Woraufhin unserer Transzendenz“ einen „Namen“ zu geben sei schwierig. Rahner schlägt vor, es – nicht vergegenständlichend! – als „heiliges Geheimnis“ zu bezeichnen (vgl. ebd., S. 22–24).64

      Der Philosoph Karl Baier hat sich mehrfach und eingehend zur anthropologischen Dimension Spiritualität geäußert. Zur generellen Begriffsklärung schlägt er zunächst eine hilfreiche Unterscheidung vor. Es seien „drei Konzepte zu unterscheiden: Spiritualität 1: Spiritualität als soziokultureller Bereich in der heutigen Gesellschaft – Spiritualität 2: die konkrete Ausprägung von Spiritualität in diversen Wegkulturen – Spiritualität 3: Spiritualität als menschliche Grundmöglichkeit“ (Baier 2012, S. 25). Im Sinne von Spiritualität 3

      zeichnen sich Umrisse eines anthropologischen Begriffs von Spiritualität ab, der dem Sinn dieses Terminus im Sprachgebrauch der gegenwärtigen Weltgesellschaft in etwa entsprechen dürfte und ihn auf seine Gründe hin durchleuchtet. Spiritualität lässt sich demnach noch einmal zusammenfassend bestimmen als (mitunter krisenhaft zugespitztes) Suchen und Erfahren eines unbedingt Angehenden sowie die persönliche Transformation, das Existenzgefühl und die Lebensgestaltung im Raum dieses letzten Worumwillens, der für die personale Identität konstitutiv ist. (Baier 2006, S. 41)65

      Diese „letzten Gründe“ sind nicht ohne weiteres fassbar, „das Nennen-Können letzter Gründe und das tatsächliche In-Anspruch-Genommen-Sein durch sie sind zwei Paar Stiefel. Die das Leben leitenden, aus dem Verständnis der Grundsituation hervorgehenden Letztorientierungen liegen meist zu einem großen Teil im Dunkel und können deshalb nicht einfach genannt werden.“ (Baier 2012, S. 28)

      Der Religionsphilosoph und Theologe Ingolf U. Dalferth nimmt ernst, dass nicht alle Menschen religiös sind: „Menschen sind nicht wesentlich religiös, also in allen Situationen, in denen sie leben und leben können, sondern gelegentlich leben sie unter Bedingungen, die sie religiös zu sein nötigen oder ihnen religiös zu leben erlauben.“ (Dalferth 1997, S. 197) Die Freiheit bleibt: „Wir sind […] nicht von Natur aus zur Religion genötigt, sondern können sie sehr wohl vermeiden, und wir sind von Natur aus auch nicht zur Verehrung Gottes genötigt“ (ebd., S. 199). Er stellt zwar auch das „anthropologische Argument“ vor, Religiosität sei nicht vermeidbar:

      Religion, nicht aber Religiosität ist vermeidbar. Gegenüber allen Versuchen, Religion für eine durchaus vermeidbare oder nur unter bestimmten historischen

Скачать книгу