Menschen mehr gerecht werden. Franz Reiser

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Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral

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Menschen gibt es stets etwas, an das sie ihr Herz hängen, von dem sie sich alles Gute erhoffen, auf das sie im Letzten setzen (ebd., S. 203).

      Allerdings werde so in der Moderne „der Begriff der Religiosität auf die Gesamtheit ethischer Grund- und Wirklichkeitsüberzeugungen ausgedehnt (ohne die niemand leben und handeln kann). […] Anders als Religion wird Religiosität damit zwar unvermeidbar, aber auch nicht mehr als religiöses, sondern nur noch als ethisch-weltanschauliches Phänomen identifizierbar.“ (ebd., S. 204 f.) Dieser sehr weite Begriff von Religiosität hat offenbar Parallelen mit dem oben angeführten weiten Begriff von Spiritualität.

      Mit dem 2018 verstorbenen Kardinal Karl Lehmann (2008) soll als erstes eine besonders prominente und fundierte Stimme zu Wort kommen. Er sieht – aus mehreren Gründen – überraschenderweise nicht ein christliches Menschenbild, beschreibt aber eine gemeinsame Struktur und Grundlinien. Zentral ist ihm die Geschichtlichkeit des Verständnisses:

      Jedes theologische Menschenbild ist bis in seine innersten Aussagen hinein geschichtlich bestimmt, weil es in Rezeption und Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Selbstverständnis des Menschen entsteht und stehen muss. Durch den Wandel und die geschichtliche Ausprägung des „Wesens“ gibt es immer auch Randunschärfen, wenn man nach einer gleich bleibenden „Natur“ sucht. (ebd., S. 123)66

      Im Christentum werde kein Menschenbild absolut gesetzt, es lasse verschiedene konkrete Humanismen in sich zu:

      Die Treue zum Evangelium Jesu Christi und zur Lehre der Kirche verlangt nicht das ungeschichtliche Festhalten an abstrakten Menschenbildern. Die Nachfolge Christi und die Sendung in eine bestimmte Situation hinein zerbrechen alle jene Menschenbilder (auch theologischer Art), die nur einen vorausfabrizierten „idealen Menschen“ als typische Norm gelten lassen. (ebd., S. 124)

      Und darum ausdrücklich, in der menschlichen Freiheit begründet: „ Gerade weil der Glaube auch die Freiheit des Menschen zu ihrer eigenen Dynamik entbindet, gibt es kein – zahlenmäßig – einziges konkretes theologisches Menschenbild. Es gibt deren unendlich viele, was nicht heißt, es gäbe keine gemeinsame Struktur.“ (ebd., S. 125) Lehmann beschreibt dann drei Grundlinien einer christlichen Auffassung vom Menschen und seiner Würde: Transzendenz, Ganzheit und Universalität.

      Man kann und darf nicht leugnen, dass der Mensch – wegen des Überschreitenkönnens der Faktizität – sinnvoll über sich und das empirisch Vorfindliche hinausfragt. Der Christ ist überzeugt, dass der Mensch dabei nicht nur auf sich selbst zurückfallen wird. Er ist ein Wesen der Transzendenz. Damit ist auch begründet, warum der Mensch ein Wesen der Freiheit ist, dem deswegen Personwürde, Eigenwert und Menschenrechte zukommen. (ebd.)

      Der Mensch ist zwar ein vielschichtiges und plurales Wesen, dennoch ist er substantiell einer, also nicht bloß ein Bündel verschiedener Aggregate. Wo er in dieser Pluralität (zum Beispiel Leib – Seele, Sinnlichkeit – Geistigkeit, Tradition – Innovation) falsch vereinfacht und reduziert wird, nimmt man ihm seine wesentliche Ganzheit. (ebd., S. 125) f.)

      Wegen der Gemeinsamkeit der menschlichen Natur […] ist die Universalität des Menschseins unbedingt zu respektieren. Es gibt keine Minderung des Menschseins durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Klasse, Nation, Partei oder Religion. Implizit ist damit auch ein Minimum menschlicher Solidarität und Geschwisterlichkeit/Brüderlichkeit gegeben. (ebd., S. 126)

      In unserem Kontext darf man ausdrücklich sagen: Diese Grundlinien gelten auch für (psychisch) kranke Menschen.

      Der ev. Theologe Wolfhart Pannenberg hat sich umfangreich zur Anthropologie geäußert. Er betrachtet Religion als konstitutiv für das Menschsein des Menschen (vgl. Pannenberg 1988, S. 170) f.) und versucht, das aus anthropologischen Beobachtungen aufzuweisen:

      Als Indiz dafür, daß Religion in der einen oder anderen Form konstitutiv für das Menschsein des Menschen ist, darf ihre allgemeine Verbreitung von den frühesten Anfängen der Menschheit gelten […] Die faktisch allgemeine Verbreitung korrespondiert der als Weltoffenheit, Exzentrizität oder Selbsttranszendenz beschriebene Eigenart der Struktur menschlichen Verhaltens. Diese findet ihre lebensgeschichtliche Konkretion im Leben der Individuen in der Relevanz des sog. Urvertrauens für den Prozeß der Persönlichkeitsbildung, für die Konstitution der Ichidentität. Im Hinblick darauf kann von einer „Anlage“ des Menschen zur Religion gesprochen werden, die unabtrennbar ist von seiner Humanität. (ebd., S. 171) f.)

      Thomas Pröpper schlägt vor, Pannenbergs Überlegungen als Relevanzaufweis des christlichen Glaubens zu sehen, und weniger als zwingenden Beweis (vgl. Pröpper 2011, S. 435).67 Wolfgang Schoberth meint ebenfalls skeptisch, Pannenbergs Anspruch, die wissenschaftliche Anthropologie theologisch zu integrieren und damit zu überbieten, werde nicht eingelöst und sei angesichts der Heterogenität wohl auch nicht möglich (vgl. Schoberth 2006, S. 102).

      Aus den biblischen Aussagen zum Menschen als „Ebenbild Gottes“ ergibt sich für Pannenberg die Grundaussage: „Grundlegend für die Personalität jedes einzelnen Menschen ist seine Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott. Daß dies die Bestimmung jedes Menschen schon als Geschöpf Gottes ist, ergibt sich allerdings mit letzter Klarheit erst aus der Christusbotschaft des Neuen Testaments“ (Pannenberg 1991, S. 232) Hier kann Pröpper in ökumenischer Einmütigkeit zustimmen, dass der theologische Kern der Gottebenbildlichkeitsaussage die Bestimmung des Menschen zur Gottesgemeinschaft sei (vgl. Pröpper 2011, S. 320). Und er findet die schöne Formulierung: „insofern ist er primär nicht Fragender, sondern selber Gefragter: Gottes Zuwendung qualifiziert ihn unausweichlich zu einem antwortenden Wesen. Der Mensch existiert vor Gott (coram Deo) und als Antwort auf Gottes anrufendes Wort. Das ist die Grundauskunft biblischer Anthropologie.“ (ebd., S. 61)68 Philosophisch bzw. fundamentaltheologisch möchte er „die wesentliche Ansprechbarkeit des Menschen für Gott“ so denken, dass sie die Freiheit von menschlicher wie göttlicher Seite achtet (vgl. ebd., S. 321), 492). Er schlägt philosophisch ein „transzendentales Verfahren“ vor, „das auf der Basis der freien Vernunft die dem Menschen wesentliche Frage nach Gott eruiert“, was im Ergebnis zwar bescheidener als Pannenbergs Anliegen wäre, „in seinem philosophischen Status jedoch kaum anfechtbar und im übrigen für die philosophischen Interessen der Theologie auch durchaus genügend.“ (vgl. ebd., S. 436)

      Die Erschaffung des Menschen – der Menschheit – ist identisch mit der Erschaffung der menschlichen Freiheit und ihrer Fähigkeit, die religiöse Frage zu stellen. Man könnte es auch so ausdrücken: Die Erschaffung des Menschen ist identisch mit der Erschaffung der Fähigkeit zu glauben – nicht weniger! Im buchstäblichen Sinn des Wortes: Gott ist die Freiheit des Menschen. (ebd., S. 235)70

      Jürgen Werbick (2005) fragt unter der Leitmetapher „Würdigung“ fundamentaltheologisch nach der Glaubwürdigkeit christlichen Glaubens. Er unterstreicht zunächst im Blick auf Religion allgemein, dass diese nicht nur funktional (für Friede, Freude, Trost, Kontingenzbewältigung etc.) nützlich sein wolle: „Religion – und christlicher Glaube – wehren sich gegen diese Relativierung zum bloß Bedingten, weil in ihnen das um seiner selbst willen Bedeutsame wahrgenommen und gewürdigt wird, weil sie in diesem Sinn erlebt und vollzogen werden als »das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht«.“ (ebd., S. 68) f.) Mehr als „nützlich“, und doch dem Mensch entsprechend:

      Das »unbedingt Angehende« will nicht nur gewürdigt werden im Blick auf seine Nützlichkeit, so sehr es unendlich bedeutsam sein wird für das Menschlichwerden des Menschen. Wenn das Ergriffensein

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