Menschen mehr gerecht werden. Franz Reiser

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Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral

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domain) für nützlich: „Spiritualität vollzieht sich demnach als persönlichkeitszentrierte Entwicklung und Wachstum (Werden/becoming), als Leben-in-Relationen zu Gemeinschaft, Kultur und Beziehungen (connecting), als Sinnfindung in Situationen der Verwundbarkeit (finding meaning) und schließlich als Transzendenzbezug (transcending).“ (Roser 2009b, S. 587)

      Der Moraltheologe Konrad Hilpert hält den Begriff Spiritualität als offenen Begriff „dafür geeignet, für unterschiedliche Wirklichkeitsdeutungen und Lebenshaltungen zu stehen.“ (Hilpert 2009b, S. 57) „Das Element des Überstiegs (Transzendieren) gehört genauso zur Phänomenologie der Spiritualität wie die Achtsamkeit für das Andere jenseits der Banalität, die Subjektivität des Sichselbstübersteigens und die Bereitschaft, sich auf eine solche Denkbewegung existenziell einzulassen mit möglichen Folgen bis in den eigenen Alltag hinein.“ (Hilpert 2009a, S. 18) f.) Die besondere Herausforderung der spirituellen Bewältigung von Krankheit dürfe man nicht unprofessionellen Geistheilern überlassen: „ So ergibt sich auch noch einmal aus dem Blick auf die Erfahrung der Krankheit als Situation einer den gesamten Menschen in Mitleidenschaft ziehenden Not eine Herausforderung an die Medizin, Krankheit, Leiden und Tod als Realitäten des menschlichen Lebens zu akzeptieren, die die Betroffenen ‚spirituell‘ bearbeiten können müssen.“ (ebd., S. 22)

      In einem Überblicksbeitrag zur Begriffsklärung von Religion/Religiosität bzw. Spiritualität in der Gesundheitsforschung schließen Michael Utsch und Constantin Klein, dass ein wissenschaftlicher Konsens nicht bestehe und vermutlich auch nicht erreichbar sei (vgl. Utsch u. Klein 2011, S. 40). Als Fazit bleibt für sie zentral, sprachfähig zu bleiben, wissenschaftlich wie therapeutisch:

      Einstweilen scheint es sinnvoll, sowohl diejenigen, die sich als religiös verstehen, als auch die, die den Begriff der Spiritualität zur Beschreibung ihrer Weltsicht bevorzugen, als Akteure innerhalb des religiös-weltanschaulichen Feldes zu begreifen und darin weiter zu erforschen […]. Im Sinne der Gesundheitsforschung gehört dazu auch, wahrzunehmen, welche Bezeichnungen Patienten in welcher Form auf sich selbst anwenden, um Sprachfähigkeit für die ärztliche, therapeutische und pflegerische Praxis zu entwickeln (ebd.).

      Utsch hält Spiritualität für den grundlegenderen Begriff:

      Der Begriff Spiritualität dient also als eine anthropologische Kategorie, die existenzielle Lebenshaltungen insbesondere in Situationen der Bedrohung des Lebens beschreibt. Religionsübergreifend wird mit der Spiritualität des Menschen sein unbestimmbares Wesen als prozessorientiert und zeitlich offen untersucht, seine Beziehungsgestaltung zu sich selber, zum sozialen Umfeld, zur Transzendenz und sein Selbstverständnis als ein verwundbares und endliches Wesen. (ebd., S. 35)

      Klein dagegen betrachtet Religion/Religiosität als fundamentaler. Er versteht das Anliegen, Spiritualität von Religion/Religiosität zu unterscheiden als „darin begründet, dass die Bewusstheit für die geistige/geistliche/existenzielle Dimension des Lebens benannt werden soll, ohne dabei auf den Religionsbegriff zurückzugreifen, der […] als vorbelastet empfunden wird“ (ebd., S. 37), obwohl die Semantik des „Religiös-Seins“ wissenschaftlich durchaus dafür geeignet wäre (vgl. ebd., S. 38).

      Der ev. Theologe und Ethiker Ulrich H. J. Körtner plädiert „für einen sorgfältigen und kritischen Umgang mit dem Begriff der Spiritualität im Allgemeinen wie in der Medizin im Besonderen“ (Körtner 2014, S. 339). Alles Mögliche könne unter Spiritualität firmieren, auch Esoterik und Alternativmedizin (vgl. ebd., S. 340), so dass Spiritualität in moderner Spielart oft eine unbestimmte Heilserwartung und esoterische Sehnsucht nach Ganzheitlichkeit und Überwindung aller Gegensätze bedeute (vgl. ebd., S. 342). Körtner hat deshalb – unter Verweis auf T. Roser (s. o. S. 51) – Verständnis für „Anschlussfähigkeit in pluralistischen Lebenswelten und Diskursen“, hält aber „das Bemühen um begriffliche Unterscheidungen sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus pragmatischen Gründen für notwendig.“ Nicht jede energetische oder monistische Deutung sei einfachhin gleichwertig (vgl. ebd., S. 347). „Nicht nur die religiöse Vorstellung von einem strafenden Gott oder ewigen Höllenqualen, sondern auch bestimmte Formen von Esoterik und Alternativmedizin können gesundheitsschädliche Folgen haben.“ (ebd., S. 352) Er hält einen materialistischen „Reduktionismus, der die Sinnfrage und die Dimension der Transzendenz“ ausblende, „für ebenso problematisch wie manche Konzeptionen von Ganzheitlichkeit, die alle Krankheiten auf psychische oder spirituelle Ursachen zurückführen wollen“, und zieht deshalb eine mehrdimensionale Konzeption vor: „Erkenntnistheoretisch wie praktisch muss um des Lebens willen die Eindimensionalität zugunsten der Mehrdimensionalität überwunden werden. Anstelle einer fragwürdigen Ganzheitsmedizin ist nach meinem Dafürhalten ein Konzept von integrativer Medizin zu stellen, das auf Mehrdimensionalität zielt.“ (ebd., S. 353) Um dabei den einen ganzen Menschen wahrzunehmen: „Gesundheit und Heil, Heilung und Erlösung, Sein und Sinn betreffen den in sich unteilbaren Menschen, der mehr ist als die Summe seiner anatomischen, psychischen und mentalen Teile.“ (ebd., S. 354) Spiritualität habe in Medizin und Pflege „ganz wesentlich mit der Ressource Vertrauen zu tun, ohne die therapeutische und pflegerische Prozesse nicht gelingen können“: Selbstvertrauen (auch des Personals), Vertrauen in andere und in die Heil- und Pflegekunst, für manche auch Vertrauen aus dem Glauben „an Gott als Tiefendimension unseres Daseins“: „Zur Spiritualität gehört es, diese Tiefendimension menschlichen Vertrauens und Hoffens freizulegen, nach Quellen des Vertrauens zu suchen. Zur Spiritualität gehört ebenso, sich den vielfältigen Ängsten, den eigenen wie den fremden, zu stellen“ (ebd., S. 355). Suche nach Ressourcen wie kritische Unterscheidungen dürften also gleichermaßen wichtig sein.

      Erhard Weiher findet ansprechende Formulierungen, die – aus reicher praktischer Erfahrung als Klinikseelsorger heraus – anschaulich machen, was ganz individuell Spiritualität insbesondere in Krankheit bedeuten kann. Zunächst gibt er eine formale, noch unspezifische Definition: „Spiritualität ist eine innerste Gestimmtheit, ein bewusster oder nicht bewusster innerer Geist, der das Alltagsleben transzendiert, aus dem heraus Menschen ihr Leben empfinden, sich inspiriert fühlen und ihr Leben gestalten.“ (Weiher 2014, S. 24) Manche Autoren sehen existentiell und spirituell im Gesundheitswesen als deckungsgleich, Weiher unterscheidet aber so: „›Existentiell‹ heißt: Die Ereignisse, die einen Menschen betreffen, berühren ihn nicht nur von außen, sondern auch in seinem Inneren. […] ›Existentiell‹ meint dann weit mehr als nur ein Gefühl. Es meint die Betroffenheit des Daseins als Mensch überhaupt, die Erfahrung, dass das Selbst ungesichert, in seinem Dasein begrenzt und vom Tod bedroht ist.“ (ebd., S. 28) Dagegen meint Spiritualität den deutenden Umgang damit:

      Die spirituelle Dimension meint im Unterschied zur existentiellen eher die persönliche innere Ausrichtung des Menschen, mit der er den Fragen begegnet, die sich von der Existenzerfahrung her ergeben. Während Ersteres dem Menschen widerfährt (ihn existenziell betrifft), ist Spiritualität der Bedeutung suchende Umgang damit: die innere Lebenseinstellung und das ganz persönliche Ringen um Sinngebung und Hoffnung, mit dem der Patient auf die existentielle Herausforderung ein hilfreiches Gegengewicht sucht. Existentielle Fragen und Herausforderungen verlangen letztlich nach einer Deutung. (ebd., S. 28) f.)

      Als zentrales Symbol für das Größere und Innerste des Lebens schlägt Weiher den Begriff Geheimnis vor, in dessen Beachtung sich vielleicht alle gesundheitsbezogenen Berufe finden könnten: „Spiritualität ist jede – positive wie negative – Erfahrung, bei der sich der Mensch mit dem Geheimnis des Lebens – als heiligem Geheimnis – in Verbindung weiß.“ (ebd., S. 29) Der Kontakt damit und die innersten Überzeugungen würden sich bei vielen Menschen in ethischen Kategorien ausdrücken:

      Spiritualität trägt nicht nur wesentlich zur ethischen Urteilsbildung bei, indem sie die innersten Beweggründe eines Menschen aktiviert und moduliert. In den Beweggründen und Sinnorientierungen eines Menschen drückt sich zugleich auch der »Geist« aus, in dessen Kraft die Betroffenen schwierige Entscheidungen und deren leidvolle Folgen tragen können. (ebd., S. 64)

      Das

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