Menschen mehr gerecht werden. Franz Reiser

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Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral

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Bereich anthropologischer Grundfragen.“ (Körtner 2014, S. 353) Zu solchem Gespräch möchte diese Studie einen qualifizierten Beitrag leisten.

      Zur Einordnung der vorliegenden Studie in die medizinische Forschungslandschaft bietet sich besonders das Paradigma der Versorgungsforschung an.

      Seit einigen Jahren ist die Versorgungsforschung ein innerhalb der Gesundheitsforschung etabliertes und anerkanntes eigenes Forschungsgebiet (vgl. Grenz-Farenholtz et al. 2012, S. 606). Angesichts begrenzter Mittel eine hohe Qualität der Kranken- und Gesundheitsversorgung sicherzustellen, gleiche oft einer Quadratur des Kreises: Dafür bräuchten alle Beteiligten einschlägiges Wissen, was die Versorgungsforschung mit entsprechenden Darstellungen des Ist-Zustands fördern wolle (vgl. Pfaff et al. 2011, S. XIII). In den USA kann sie auf einen sehr viel längeren Forschungszeitraum zurückblicken, als „Geburtsjahr“ wird dort das Jahr 1952 betrachtet, die offizielle Bezeichnung Health Services Research entstand aber erst 1960. In Deutschland kam sie erst ab den 90er-Jahren verstärkt auf (vgl. Grenz-Farenholtz et al. 2012, S. 606). Derzeit sei das Interesse an der Thematik Versorgungsforschung in Deutschland sehr groß, wie auch die zahlreichen Aktivitäten im Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) zeigten (vgl. Schrappe u. Pfaff 2011, S. 384).46

      In Deutschland hat sich folgende Definition der Versorgungsforschung allgemein durchgesetzt (vgl. ebd., S. 381):

      Versorgungsforschung kann definiert werden als ein fachübergreifendes Forschungsgebiet, das die Kranken- und Gesundheitsversorgung und ihre Rahmenbedingungen beschreibt und kausal erklärt, zur Entwicklung wissenschaftlich fundierter Versorgungskonzepte beiträgt, die Umsetzung neuer Versorgungskonzepte begleitend erforscht und die Wirksamkeit von Versorgungsstrukturen und -prozessen unter Alltagsbedingungen evaluiert. (Pfaff 2003, S. 13)47

      Ihr Gegenstand sei die „letzte Meile“ des Gesundheitssystems, darunter sei „die konkrete Kranken- und Gesundheitsversorgung in den Krankenhäusern, Arztpraxen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen zu verstehen, in deren Rahmen die entscheidenden Versorgungsleistungen zusammen mit dem Patienten erbracht werden.“ (ebd., S. 13) f.) Mit Krankenversorgung ist „die Betreuung, Pflege, Diagnose, Behandlung und Nachsorge eines kranken Menschen durch medizinische und nicht-medizinische Anbieter von Gesundheitsleistungen“ gemeint, sie umfasst also sowohl die medizinische wie auch die psychosoziale Versorgung der Patienten (vgl. ebd., S. 14). Eine entscheidende Perspektive ist dabei deren Betrachtung unter Alltagsbedingungen.

      Was genauer sind die Ziele? Es geht um eine lernende Versorgung:

      Das Ziel der Versorgungsforschung ist, die Kranken- und Gesundheitsversorgung als ein System zu entwickeln, das durch das Leitbild der „lernenden Versorgung“ gekennzeichnet ist und das dazu beiträgt, Optimierungsprozesse zu fördern und Risiken zu vermindern. Dabei ist die Versorgungsforschung den Zielen Humanität, Qualität, Patienten- und Mitarbeiterorientierung sowie Wirtschaftlichkeit gleichermaßen verpflichtet. (Arbeitskreis „Versorgungsforschung“ beim Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer 2004)

      Um das mögliche Optimum an Versorgungsqualität zu erreichen, brauche es „ergebnisoffene Versorgungsforschung mit relevanter Fragestellung und valider Methodik. Wir erkennen zunehmend, dass Versorgung multiprofessionell analysiert werden muss, wenn die ganze Komplexität und Kontextabhängigkeit der Interaktion von Arzt und Kranken aufgedeckt und für Verbesserungen zugänglich werden sollen.“ (Scriba 2011, S. V)

      Versorgungsforschung ist also keine eigene Wissenschaft, sondern ein Forschungsfeld, das sich methodisch mehrerer wissenschaftlicher Disziplinen bedient (vgl. Schrappe u. Pfaff 2011, S. 381). Vorrangig zu nennen seien hier „die Epidemiologie, insbesondere die Klinische Epidemiologie (Evidenz-basierte Medizin), Organisationswissenschaften/Soziologie, Didaktik, Lernpsychologie und Kommunikationsforschung, Gesundheitsökonomie, Public Health, Rechtswissenschaften, Ethik, Qualitäts- und Patientensicherheitsforschung, Lebensqualitätsforschung, Pflegeforschung und natürlich die Klinischen Fachgebiete“ mit ihren jeweiligen methodischen Herangehensweisen (ebd., S. 383 f.).48 Nur „durch die Beteiligung aller Fachdisziplinen (Multidisziplinarität)“ und „die Beteiligung aller in der Versorgung tätigen Berufsgruppen (Multiprofessionalität)“ könnten die vielfältigen Einflussfaktoren umfassend untersucht und verbessert werden (vgl. Pfaff u. Schrappe 2011, S. 5). Bedenkenswert ist dabei, dass das Ergebnis der Versorgungsleistung eine „Resultante der Gesundheitsleistung und der Kontextleistung“ sei, d. h. aus spezifischen und sogenannten unspezifischen Wirkfaktoren:

      Unter Gesundheitsleistung versteht man den spezifischen Wirkbestandteil, wie z. B. die OP-Methode oder das Medikament. Die Kontextleistung umschreibt den Beitrag der „weiteren Umstände“, also der beteiligten Personen (Ärzte und Pflegende), der Institutionen (z. B. Krankenhaus), des Finanzierungssystems. Jeder Arzt kennt die Bedeutung dieser unspezifischen Faktoren, häufig wird hier der Begriff des „Placebo-Effekts“ verwendet. (Schrappe u. Pfaff 2011, S. 382)49

      Versorgungsforschung versuche deshalb auch zu analysieren, welcher Art „die relevanten Kontextfaktoren sind.“ (ebd.)

      Viele Autoren unterstreichen, dass solche empirische Forschung unabhängig sein müsse, also nicht auftrags- und interessengebunden sein dürfe (vgl. z. B. Rabe-Menssen et al. 2011, S. 403). „Wenn man Versorgungsforschung nicht im engen Interesse der eigenen politischen, Wirtschafts- oder Berufsgruppe betreibt und fördert, dann erhofft man sich von ihr verlässliche Orientierung – durch neutrale, sachliche und wissenschaftlich belastbare Beschreibungen, Bewertungen, Analysen, Prognosen und Ratschläge.“ (Raspe 2011, S. IX) Allerdings sei sie als angewandte Forschung im Konflikt, dass sie bei Forschungsprojekten mit der Versorgungspraxis und möglichen Interessengruppen eng zusammenarbeiten müsse (vgl. Grenz-Farenholtz et al. 2012, S. 610). Das vom DNVF herausgegebene Memorandum III: Methoden für die Versorgungsforschung (Teil 1) rät deshalb: „In der Regel verfolgen alle Studien bestimmte Interessen. In jeder Untersuchung sind Interessenskonflikte von allen Beteiligten vollständig zu offenbaren und transparent zu dokumentieren.“ (Pfaff et al. 2009, S. 507)50

      Ein zentrales Grundkonzept der Versorgungsforschung ist (neben Ergebnisorientierung, Multidisziplinarität und Multiprofessionalität) die Patientenorientierung (vgl. Pfaff u. Schrappe 2011, S. 2).51 „Bereits im Jahr 1988 hatte Ellwood in der »Shattuck Lecture« darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, sich der Patientenorientierung des ärztlichen oder pflegerischen Tuns gegenseitig zu vergewissern, sondern dass konkret in Erfahrung zu bringen ist, welche Interessen der Patient hat und wie er in die Entscheidungen einzubeziehen ist“ (ebd., S. 6). Das hat Bedeutung auch für den Bereich Psychiatrie und Psychotherapie: Patienten haben etwas zu sagen – sowohl was ihre Person wie auch ihre Erfahrungen betrifft (vgl. oben S. 10) H. Schott und R. Tölle). Reinhold Kilian und Thomas Becker beobachten bei psychiatrischen Versorgungsleistungen entsprechend dem Empowerment-Konzept (vgl. Abschn. 3.2.5) eine zunehmende Berücksichtigung der subjektiven Perspektive der Betroffenen bei der Erfassung des Bedarfs und der Beurteilung der Qualität gesundheitlicher Leistungen, sowie das Streben nach einer primär an den Ressourcen der Patienten orientierten Behandlung (vgl. Kilian u. Becker 2006, S. 332). Die Evaluation von Versorgung müsse sich auch daran messen lassen:

      Der Grad, in dem Gesundheitsleistungen an den vorhandenen individuellen Fähigkeiten und Ressourcen ihrer Nutzer zu einer selbständigen Lebensweise orientiert sind und in dem sie die Erweiterung dieser Fähigkeiten und Ressourcen anstreben und erreichen, bildet nach der Empowerment-Perspektive ein zentrales Kriterium der Qualitäts- und Effektivitätsbeurteilung (ebd., S. 334).

      Die vorliegende Studie möchte deshalb zu erhellen versuchen, inwieweit für psychiatrische Patienten ihre Religiosität bzw. Spiritualität persönliche Ressourcen darstellen.

      Welche Themen sind in Zukunft

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