Menschen mehr gerecht werden. Franz Reiser

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Menschen mehr gerecht werden - Franz Reiser Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral

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Thompson und Emanuel nicht als ein Ereignis, sondern als ein Zustand mit einer Tendenz definiert“ und „die Wahrscheinlichkeit einer unangemessenen Beeinflussung durch Interessenkonflikte als ein Kontinuum (leichtgradig/schwergradig) zu verstehen“ (vgl. ebd., S. 9). „Die meisten Sekundärinteressen, inklusive finanzieller Vorteile, sind (innerhalb bestimmter) Grenzen absolut legitime Ziele. Sekundärinteressen werden dann problematisch, wenn sie einen unangemessenen Einfluss auf professionelle Entscheidungen haben.“ (ebd.) Eine wichtige Maßnahme, die Offenlegung (disclosure) von Interessenkonflikten hat als Ziel: „Personen, die durch professionelle Entscheidungen betroffen sind, sollen ausreichend über Interessenkonflikte der Entscheider informiert sein. Standardmäßig sollte die Offenlegung das beinhalten, was die Betroffenen wissen müssen, um den Schweregrad des Interessenkonflikts einschätzen zu können“ (ebd., S. 15). So verlangt die AWMF im Rahmen der Leitlinienentwicklung, Interessenkonflikte zu erklären, wobei „materielle und immaterielle Interessen“ erfasst werden sollen (vgl. AWMF 2010b, S. 4). Das entsprechende Formblatt erfragt neben etlichen finanziellen Aspekten etwa folgende Punkte: „Politische, akademische (z. B. Zugehörigkeit zu bestimmten ‚Schulen‘), wissenschaftliche oder persönliche Interessen, die mögliche Konflikte begründen könnten. Gegenwärtiger Arbeitgeber, relevante frühere Arbeitgeber der letzten 3 Jahre“ (AWMF 2010a, Nr. 8 f.).

      Alan C. Tjeltveit stellt in einem Überblicksartikel die Rolle von Werten in psychologischen wissenschaftlichen Untersuchungen und vorgeschlagene Lösungen für eine unberechtigte Präsenz von Werten aufseiten der Untersucher vor (vgl. Tjeltveit 2015, S. 35). Die eigenen Werte und Annahmen offen zu legen helfe Lesern, die Aussagen von Autoren zu interpretieren und verstehen – allerdings könnten statt Konsens und Horizontverschmelzung auch schädliche Folgen resultieren: Ablehnung oder Bestrafung von jenen, die eine bestimmte Sicht vertreten, nichtideale Gesprächssituationen usw. (vgl. ebd., S. 44) f.). In konkreten Forschungsprojekten gelte es, im Blick auf eigene Werte und möglichen Bias Expertise und praktische Weisheit zu kombinieren, etwa in angemessenen prozeduralen und statistischen Methoden – eine einfache allgemeingültige Lösung dafür gebe es nicht (vgl. ebd., S. 47) f.). Fiona Timmins et al. meinen, die meiste Forschung überhaupt würde angesichts der damit verbundenen Anstrengungen ohne den „Glauben“ und die Hingabe von Forschern an ihre Forschungsfragen nicht stattfinden – nötig sei jedoch ein Forschungsdesign, durch das die Resultate objektiv und nicht von persönlichen Neigungen beeinflusst würden (Timmins et al. 2016, S. 4).

      Stephanie Klein weist darauf hin, dass alle Forschenden ihr eigenes „Relevanzsystem“ hätten, auf das ihre Erkenntnisse bezogen seien, sie müssten daher „ihren eigenen Referenzrahmen, d. h. ihre eigene biographische, soziokulturelle, geschlechtsrollenspezifische, kirchliche etc. Situiertheit“ reflektieren und benennen: „Dadurch wird den Erkenntnissen der Schein einer falschen Objektivität genommen und vielmehr die Reichweite der Gültigkeit der Aussagen benannt. [orig. mit Fußnote: Vgl. J. Habermas, Erkenntnis und Interesse] Die Reflexion auf eigene Prämissen und Interessen und ihre offene Darlegung sind deshalb als Kriterien von Wissenschaftlichkeit anzusehen.“ (Klein 1999b, S. 251)34

      Zusammen mit den oben genannten Empfehlungen heißt das für mich als Autor im Sinne einer ausführlichen Offenlegung von Interessen (Declaration of interests): Ich verfasse diese Studie als katholischer Christ und Priester, universitär qualifiziert mit Lizentiaten der Theologie sowie der Psychologie, tätig sowohl in der Seelsorge wie auch als Psychologischer Psychotherapeut.35 Insofern durch die Doppelausbildung zumindest mit einer gewissen interdisziplinären Qualifikation ausgestattet.36 Inwieweit kann ich als kirchlicher Amtsträger wissenschaftlich neutral sein?

      „Die Wahrheit wird euch frei machen“ steht in großen Lettern am Kollegiengebäude I der Universität Freiburg im Breisgau (vgl. Joh 8,32), und es ist meine tiefe Überzeugung: Die Wahrheit, ob angenehm oder unangenehm, befreit – nicht Beschönigung noch Verdrängung noch Illusionen. Dem fühle ich mich verpflichtet, in aller Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt meiner (auch wissenschaftlichen) Arbeit. Das gilt sowohl für die sozialwissenschaftlich strikte Methodik in der Erhebung und statistischen Auswertung der Daten im empirischen Teil, wie auch für die geisteswissenschaftlichen Teile. Die Überprüfung meiner Arbeit durch wissenschaftliche Autoritäten wie den Betreuern der Dissertation und eine Fachfrau für Biometrik tragen dazu bei. Gab es eine „Erwartung positiver Ergebnisse“ für das Interesse an Religiosität bzw. Spiritualität, wie gelegentlich als Verdacht geäußert wird? Zumindest gab es eine Vermutung, dass eine solche Dimension für etliche eine Rolle spielen wird (aufgrund des explorativen Charakters jedoch keine genaue Hypothese) – aber kein Interesse, dabei möglichst hohe Werte zu bekommen (Wem sollten die helfen?). Bei der Interpretation von Daten kommen freilich Perspektiv- und Geschmacksfragen ins Spiel: Was ist „viel“, was „wenig“? Bekanntlich kann man das berühmte Glas als „halb voll“ oder „halb leer“ betrachten. Ich habe aber versucht, wissenschaftliche Konventionen von viel/wenig oder stark/schwach nicht auf „statistisches Signifikanztesten“ zu begrenzen, sondern jeweils weitere Maße wie z. B. Effektgrößen oder die Teststärke zu berechnen und entsprechend zu bewerten (vgl. dazu Abschnitt 5.1.4).

      Ich respektiere und achte andere weltanschauliche, religiöse oder spirituelle Einstellungen und Formen als meine eigenen. Ich habe auch Erfahrung mit Glaubensnöten und problematischen Glaubensformen und weiß um den ambivalenten Einfluss von Religiosität oder Spiritualität. Skeptisch bin ich deshalb bezüglich einer naiv positiven Sicht oder einer „Glaubensmedizin“ (Verwendung von „Glaube“ für Gesundheitsinteressen). Das Ernstnehmen der einzelnen Person in ihrem Dasein und Sosein dagegen ist mir wichtig. Mein Arbeitgeber ist die Erzdiözese Freiburg: Es wurde keinerlei Auftrag zur Wahl des Forschungsthemas erteilt. Ich weiß um keine Erwartungen in Bezug auf meine Forschungsergebnisse – aber eine entsprechende wissenschaftliche Qualität als Promotionsprojekt wird erwartet. Ob es irgendwo ein verborgenes (Macht-)Interesse geben kann, kirchliche Einflussbereiche zu sichern, z. B. durch die Präsenz von Klinikseelsorge? Das wäre zumindest zu bedenken, wenn man sich als Kirche für das Wohl von Menschen im Krankenhaus einsetzen möchte (zur Ausrichtung von Klinikseelsorge vgl. Abschn. 6.1.3). Zuletzt: Finanzielle Interessenkonflikte bestehen für diese Studie sicher keine. Zu verdienen ist hier nichts, und die Finanzierung der geringen direkten Kosten (Vervielfältigung der Fragebogen in der Uni-Druckerei) erfolgte durch Eigenmittel des Arbeitsbereichs Caritaswissenschaft und Christliche Sozialarbeit.

      Ein von Michael Jungert et al. (2010) herausgegebener Sammelband Interdisziplinarität beleuchtet grundlegend Fragen und Probleme des Themas in Theorie und Praxis. Der Philosoph und Physiker Gerhard Vollmer etwa stellt fest: „Interdisziplinarität ist unerlässlich, weil die meisten Systeme unserer Welt komplex sind.“ (Vollmer 2010, S. 48) „Wenn nun aber fast alle Systeme Gegenstand mehrerer Wissenschaften sein können, dann sind für eine vollständige Beschreibung oder gar Erklärung auch mehrere Wissenschaften nötig.“ (ebd., S. 51) Bei manchen Problemen seien viele Disziplinen nötig, es komme dann darauf an, „zu erkennen, was alles eine Rolle spielen kann“ und an geeigneten Stellen Informationen zu sammeln (vgl. ebd., S. 59). Interdisziplinäre Verständigung kann problembehaftet sein: „Um einer fachfremden Person etwas aus dem eigenen Fach zu erklären, muss man vereinfachen. Vereinfachen heißt aber verfälschen. Und je stärker man vereinfacht, desto größer ist der mögliche Fehler.“ (ebd., S. 64) So auch in dieser Studie hier: Ich versuche, für Personen aus verschiedenen Fachgebieten verständlich zu sein – ohne Dinge ungebührlich zu verfälschen –, deshalb sind auch manche Ausführungen oder Zitate etwas länger und nicht nur kurz angedeutet.

      Der Philosoph Michael Jungert beschreibt verschiedene Arten von Interdisziplinarität:37 Der vierte Typus (Composite Interdisciplinarity) gleiche „einem Puzzle. Drängende praktische Probleme motivieren eine Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen […] Dabei überlappen weder die Gegenstandsbereiche der jeweiligen Fächer ernsthaft noch deren Methoden oder theoretische Integrationsniveaus.“ Der komplexe Problembereich mache „die Einbeziehung aller Perspektiven erforderlich“ (vgl. Jungert 2010, S. 5) f.). Ganz ähnlich sprechen

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