Dein Reich komme. Jürgen Kroth

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Dein Reich komme - Jürgen Kroth Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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schließlich auch denkbar, dass hinter den vielfältigen pastoraltheologischen Ansätzen sich das postmodernistische Phänomen radikaler Pluralität verbirgt, dass es also vermeintlich unterschiedliche und durchaus alle auch gleich gültige Möglichkeiten pastoraler Praxis gibt. Dahinter aber bildet sich das größere Problem der inhaltlichen Konturlosigkeit einer Pastoral ab, die nicht mehr kritisch fragt, was ihre Sache sein muss, sondern im Erfinden immer neuer Zugänge Gefahr läuft, ihren Kern zu verlieren. Es bleibt daher auch zu fragen, was denn das theologische Proprium der unterschiedlichen pastoraltheologischen Ansätze darstellt.15 Gerade dem will die theologische Fokussierung auf das Reich Gottes nachgehen und die Sakramentenpastoral theologisch und praxisrelevant fundieren.

      Wahrscheinlich bleiben Kirchengemeinden als Trägerinnen der Pastoral lange geltenden, inzwischen kritisch zu beurteilenden Prinzipien treu, weil sie unfähig oder gehindert werden, die veränderten Bedingungen pastoraler Praxis zu erkennen und adäquat zu handeln; am meisten aber, weil sie nicht in der Lage sind, einen Ansatz zu entwickeln, der erkennen ließe, dass und inwiefern kirchliches Handeln relevant ist für die Gestaltung der Welt. Darauf zu verzichten, würde aber einen Verzicht auf das Ganze bedeuten.

      Es war schon eine der wenigen Ausnahmen, als das Bistum Basel 1993 ein Arbeitsinstrument mit dem bezeichnenden biblischen Titel „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“16 veröffentlichte und damit eine Perspektive eröffnete, das Handeln der Kirche in und mit der Welt zu vermitteln und dabei durchaus (gesellschafts-) kritische Fragen anstieß, die auch heute noch zu fruchtbaren Diskussionen und Handlungsoptionen führen können. Allein, ein solches Arbeitsinstrument findet sich in den Pastoralabteilungen der deutschsprachigen Bistümer selten. Zwar beschritten viele Diözesen den Weg einer Überprüfung und ggf. auch der Veränderung der pastoralen Schwerpunkte. Die Motive dafür waren aber oftmals zugleich das erkenntnis- und handlungsleitende Prinzip selbst, nämlich einerseits die veränderte personale Ausstattung – vornehmlich aufgrund des Schwunds des Priesternachwuchses bei gleichzeitigem Anwachsen der Laientheologen im kirchlichen Dienst und hier vor allem der PastoralreferentInnen –, andererseits aber die Regression der finanziellen Mittel aufgrund einer hohen Dauerarbeitslosigkeit, aber auch die stetige Abnahme des Kirchenbesuchs und der aktiven Mitarbeit von Seiten Ehrenamtlicher oder gar rapide steigende Kirchenaustritte. Es soll hier nicht detailliert verfolgt werden, wie diese Entwicklungen zustande kamen und wie sie zu bewerten sind.17 Aber selbst von den Verantwortlichen für die Neuformulierung der Pastoralpläne, die es in den bundesdeutschen Diözesen gibt, wird zugestanden, es handele sich zwar nicht ausschließlich, aber doch auch um „ein Notprogramm, um den Priestermangel aufzufangen. Dieser mag gewiss den Anstoß zu entsprechenden Überlegungen gegeben haben“18. Dabei wird immerhin zugleich betont, der Horizont, in dem die Pastoral stattfinde, sei nicht mehr der kirchliche Binnenraum, sondern das Reich Gottes19. Das wird aber faktisch gleich wieder zurückgenommen, wenn in der theologischen Grundlegung nicht die Priester alleine, sondern alle Gläubigen am Aufbau der Kirche, nicht also des Reiches Gottes, Anteil haben.20 In ähnlicher Weise argumentiert Bischof Marx in seinem Beitrag zum Studientag der Deutschen Bischofskonferenz, „bei aller lebensweltlichen Einbindung“ müsse sich der Priester der Zukunft „doch auf die ‚sakramentale Nähe’ konzentrieren […]. Das ist es, was die Menschen vom Priester erwarten: dass er Zeichen der Nähe Gottes ist, auch wenn manche Menschen das so nicht aussprechen.“21 Besonders interessant ist die Binnenfixierung bei gleichzeitiger semantischer Außenorientierung. Unter dem Leitgedanken der wachsenden Mobilität in der Gesellschaft versuchen pastorale Erneuerungen nämlich dieser Außenorientierung Rechnung zu tragen und verstehen „Mobilität als pastorale Herausforderung“22. Sie sei, so Franz-Peter Tebartz-van Elst, geradezu ein Zeichen der Zeit, das es heute zu erfassen gelte und angesichts dessen sich Kirche verhalten müsse. Entlarvend aber bleibt auch hier die weitere Argumentation, in der die Gesellschaftsanalyse vermittels der Zeichen der Zeit und die theologische Reflexion wieder entkoppelt werden und erst recht die Perspektive auf das Reich Gottes unterlaufen wird, wenn Tebartz-van Elst davon ausgeht, Kirche sei „zuerst Gabe Gottes in der Wirkkraft und Lebendigkeit des Heiligen Geistes“23. Es stellt sich nämlich hierbei der Verdacht ein, es gebe eine Priorität, nämlich zuerst Kirche sein zu können und dann erst sich den gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen. Das aber widerspräche grundlegend der Einsicht, Kirche sei „Zeichen und Werkzeug“ (LG 1) des Heiles, also das „im Mysterium schon gegenwärtige[n] Reich Christi“ (LG 3).

      Von einer ganz anderen Seite verstärkt sich noch der Eindruck, alle pastorale Erneuerung drehe sich letztlich doch immer um sich selbst, was freilich der Pastoral doch gänzlich entgegensteht, muss es dem kirchlichen Handeln doch immer um die Anderen gehen und nie nur um die Kirche selbst. Dass sich dies noch präziser entfalten ließe, versteht sich von selbst, soll aber hier unter Hinweis auf die jeweiligen Konkretionen im Sinne einer pastoraltheologischen Option für die Armen und der besonderen Wahrnehmung des Leids der/des Anderen an einer späteren Stelle der Arbeit unterbleiben.24 So bemerkenswert nämlich der – zumindest angedeutete – Versuch der deutschen Kirche ist, gesellschaftlichen Veränderungen mit einer Veränderung der Pastoral zu begegnen, so sehr hinterlässt er Irritationen, wenn in der konkreten Durcharbeitung stets die Frage im Hintergrund steht, mit welchem priesterlichen Personal dies denn alles geschehen könne. Damit kein Missverständnis entsteht: Selbstverständlich muss diese Frage gestellt werden. Wenn sie aber zum geheimen Mittelpunkt der pastoralen Planung wird und wenn zugleich die inhaltliche Zuordnung innerhalb der pastoralen Praxis auf die Vermittlung der Nähe Gottes konzentriert wird, dann wird getrennt, was nicht getrennt werden darf, nämlich die Sakramente und die Lebenswelt, in die sie einzubinden sind. Sakramente, die jenseits der konkreten Lebenswelt das kirchliche Leben prägen oder diesem voraus liegen, lösen den Spender der Sakramente gleichfalls aus dieser heraus und verlängern damit gleichsam die vermeintlich vor der Auseinandersetzung mit der Welt liegende Aufgabe des Priesters.

      Selbstverständlich gibt es durchaus pastorale Tendenzen, die eine weiterführende Perspektive andeuten, etwa wenn im Bistum Mainz gefordert wird, die Reformen evangeliums- und zeitgemäß zu gestalten seien25, oder im Erzbistum Berlin die Erneuerung der Pastoral theologisch so durchdacht wird, dass sie den Zeitumständen Rechnung zu tragen kann. Dies alles wird aber immer wieder konterkariert durch sofortige Relativierungen und auch hier spielt vermittels des Personal-, genauer gesagt des Priestermangels, die binnenkirchliche Perspektive eine besondere Rolle, denn „die quantitative Kürzung der kirchlichen Dienste muss mit einer Konzentration auf Kernaufgaben bei gleichzeitiger Qualitätssteigerung einher gehen“26.

      Es hat sich etwas geändert in der pastoralen Planung der Kirche. Noch vor 20 Jahren konnte Johann Baptist Metz reklamieren: „Ein defensives Sicherheitsdenken, eine betont defensive Form der Rettung von Tradition scheint sich – von Rom aus – in der Gesamtkirche auszubreiten. Dieser defensive Tutiorismus macht sich nicht zuletzt an jenen unübersichtlichen Schwierigkeiten und Widersprüchen fest, die sich in einer solchen Aufbruchsituation zeigen und die auch nicht zu leugnen sind.“27 Nicht mehr defensives Sicherheitsdenken, sondern offensive Neuorientierung scheint der Maßstab zu sein. Der Preis, der dafür gezahlt wird, ist aber hoch: Er besteht in der immer stärker werdenden inhaltlichen Diffusion, in einer pastoralen Pragmatik, die theologische Grundperspektiven kirchlichen Handelns Praktikabilitäts- und mehr noch Finanzierungs- und Personalplanungsgesichtspunkten unterwirft. Angesichts dieser Entwicklung wäre der „defensive Tutiorismus“ fast noch einmal produktiv, er böte wenigstens inhaltliche Streitpunkte. Wie auch immer: Gegen eine binnenkirchliche Reduktion wäre noch einmal Karl Rahner produktiv aufzubieten, der auf eine „offene Kirche“ drängt, „nicht ins Beliebige hinein offen, sondern offen im Widerstand gegen eine aufkeimende Abschließungsmentalität, gegen eine sich abzeichnende Sektenmentalität in der Kirche“28. Es lohnt, die kurzen Überlegungen von Metz zum „Strukturwandel“ noch einmal in Erinnerung zu rufen:

      „Doch nicht die Minorität, sondern die Mentalität definiert die Sekte in einem theologischen Sinn. Minorität braucht die Kirche weder zu fürchten noch sich ihrer zu schämen, es

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