Dein Reich komme. Jürgen Kroth

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Dein Reich komme - Jürgen Kroth Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Geschichtsideologie, in der die eschatologische Differenz zwischen Kirche und Reich Gottes unterschlagen ist. Fürchten aber muß die Kirche die Symptome einer schleichenden Sektenmentalität […]: den Trend zum Fundamentalismus, zum puren Traditionalismus; die wachsende Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, neue Erfahrungen zu machen und sie in schmerzlich-kritischer Assimilation in das Selbstverständnis der Kirche einzubauen; dazu die zelotisch angeschärfte Sprache und eine verständigungsunfähige Militanz bei innerkirchlichen Auseinandersetzungen; die Verwechslung von Kirchlichkeit mit einem freud- und humorlosen Zelotentum; die Ausbreitung eines Loyalitätsüberdrucks bzw. der Anzeichen von Überängstigung im kirchlichen Leben; der Drang, sich nur unter Gleichgesinnten aufzuhalten, die Gefahr einer künstlichen Isolation der Verkündigungssprache, die zur reinen Binnensprache wird mit einer typischen Sektensemantik usw.“29

      Bei all dem ist deutlich, dass die pastoralen Erneuerungsprozesse zwar semantisch eine Bewegung nach außen hin versuchen, dies aber weder inhaltlich noch in der pastoralen Konkretion hinreichend vermögen.

      Hinsichtlich des nächsten Aspekts scheint die pastorale Entwicklung zwar in ihren konzeptionellen Beschreibungen deutliche Schritte nach vorn gegangen zu sein, ob sich damit allerdings auch wirkliche Veränderungen der pastoralen Grundperspektiven verbinden lassen, darf bezweifelt werden. Immerhin heisst es im Synodenbeschluss „Dienste und Ämter“: „Aus einer Gemeinde, die sich pastoral versorgen läßt, muß eine Gemeinde werden, die ihr Leben im gemeinsamen Dienst aller und in unübertragbarer Eigenverantwortung jedes einzelnen gestaltet.“30 Genau dies scheinen die neuen pastoralen Entwicklungen auch anzuzielen, wenn sie darauf abheben, dass zum einen veränderte personelle Rahmenbedingungen, verbunden mit finanziellen Einsparungsanforderungen, zum anderen aber auch ein anderes Mobilitätskonzept der Menschen Möglichkeiten eröffnen soll, den Versorgungsaspekt der überkommenen Pastoral zu überwinden und neue Partzipationschancen zu gewähren. Nun kann aber schon für den Synodenbeschluss selbst die kritische Rückfrage gestellt werden, ob es denn wirklich um eine Schaffung weitreichender Beteiligungsmöglichkeiten geht, wenn der anschließende Satz dort lautet: „Sie [die Gemeinde] muß selbst mitsorgen, junge Menschen für das Priestertum und für alle Formen des pastoralen Dienst zu gewinnen.“31 Wiederum geht es – nicht ausschließlich, aber doch in besonderer Weise – um Rekrutierungsprozesse ad intra. Offensichtlich sorgt sich doch die Kirche letztlich um die rechte Versorgung der Gemeinden, bei gleichzeitiger Bestreitung dieses Paradigmas.

      Wenn aber dies das untergründige Handlungsinteresse sein sollte, dann wäre zum einen zu fragen, wenn doch der Weg von der versorgten zur sorgenden Gemeinde grundlegend ist, warum hier kirchliche Mitarbeiter – zunächst unabhängig davon, ob Priester oder Laie – eine solch zentrale Stelle innehaben; was also dadurch gewonnen werden soll, dass nicht auf die freie Mitarbeit aller Christgläubigen, sondern auf eine Hauptamtlichenstruktur gesetzt wird. Wird damit nicht auch eine wichtige Kontrollmöglichkeit prolongiert? Es ist auch zu fragen, ob nicht das handlungsleitende Prinzip noch immer hierarchisch strukturiert ist, so dass die Erneuerung der Kirche wesentlich von den primär geweihten, oder doch den daran Anteil habenden Hauptamtlichen abhinge. Traut die Kirche dem Geist Gottes wirklich, wenn sie in letzter Instanz den christfideles nicht traut und zentrale Aufgaben in den Gemeinden letztlich doch nur den Geweihten oder den daran Anteil Habenden zuspricht? Überwindet sie damit wirklich das, was schon vor vielen Jahren als Betreuungskirche gekennzeichnet wurde? Gewiss, ein einfacher Übergang von der Betreuungskirche hin zu einer Basiskirche, wie dies schon 1980 gefordert wurde32, ist wohl nicht in dem Maße möglich gewesen wie erhofft. Daran haben Leitungsentscheidungen ihren Anteil, insofern die bundesdeutsche Kirche bis heute den Anliegen einer basisgemeindlichen Erneuerung im Sinne befreiungstheologischer Grundintentionen reserviert bis ablehnend gegenübersteht, wenn und insofern dies auch mit einem theologischen und politischen Standortwechsel verbunden ist; sicherlich ebenso bedeutsam aber ist die Veränderungsunfreudigkeit der „Betreuten“ selbst, die gleichfalls auf vertraute Muster eher setzen, als neue Handlungs- und Sozialformen zu erproben. In vielen Fällen, wo basisgemeindliche Ansätze im Widerspruch zur Betreuungspastoral versucht wurden, endeten diese in der Frustration und der daran anschließenden Abwanderung der Reforminteressierten aufgrund des kirchlichen Festhaltens an den altvertrauten Strukturen und Inhalten. Hermann Steinkamp beschreibt dies triftig, wenn er resümiert: „Selbst wenn die Betreuten sich ändern, entsteht dadurch allein noch nicht Gemeinde! Und: die für das Dilemma der Betreuungs- und Service-Kirche ‚Verantwortlichen’ sind nicht (jedenfalls nicht allein und in erster Linie) die Betreuer (Pfarrer, Hauptamtliche). […] Das Syndrom [der Pfarrei als Ideologie; J.K.] besteht vielmehr aus einem geheimen Einverständnis einer großen Mehrheit der Pfarrei-Mitglieder und ihrer Seelsorger über einen Typus von Religionspraxis, der dem Angebot-Nachfrage-Dogma höhere Bedeutung zumißt als der Bergpredigt.“33

      Es zeigt sich, dass dem Betreuungsparadigma eine Service-Mentalität entspricht, wobei letztere eine Weiterführung der ersteren ist. Die Betreuungspastoral stammt streng genommen noch eher aus einer volkskirchlichen Situation, während die Service- und Angebotspastoral eher schon einer bürgerlichen Religion und deren ekklesialen Ausprägungen entspricht. Gleichwohl gibt es Ähnlichkeiten in beiden Varianten, insofern ihr Leitgedanke nach wie vor die traditionelle Form kirchlicher Praxis präferiert, bzw. sich wesentlich an der Sozialform Pfarrei34 orientiert, wenngleich es innerhalb der Angebots- und Servicepastoral Übergänge hin zu einer gemeindlichen Struktur gibt. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob damit – wenn nicht wesentliche theologische Grundperspektiven zugleich geändert werden – sich auch wirklich eine Neuorientierung ergibt. Zwar ist die Weiterentwicklung der Pfarrei hin zu einer Gemeinde35, präziser vielleicht noch hin zu dem, was in Analogie zur lateinamerikanischen Wirklichkeit als Basisgemeinde zu kennzeichnen wäre, eine notwendige und unaufgebbare pastorale Forderung. Dem trägt auch die pastoraltheologische Diskussion um die Entwicklung von der Pfarrei hin zur Gemeinde Rechnung. Bildet sich dies aber in den pastoralen Entwürfen der bundesdeutschen Diözesen hinreichend ab? Wird nicht der Begriff Gemeinde schnell – und in den seltensten Fällen mit jener befreiungstheologischen Konnotation – genutzt, um zwar das Parochialprinzip zu verlassen, keinesfalls aber die Betreuungs- und Serviceperspektive dabei aufzugeben? Immerhin bietet diese Pastoral immer auch noch die Möglichkeit, machtförmige Strukturen unter veränderten Bedingungen am Leben zu erhalten. Diesen Strukturen werden alle pastoralen Neuansätze unter der Leitperspektive der Ämterfrage, über die an späterer Stelle noch Auskunft zu geben ist, unterworfen.

      Schließlich gilt es noch zu erwähnen und später in der sakramentenpastoralen Fokussierung zu reflektieren, dass Service- und Betreuungspastoral auch hinsichtlich der Akteure sich gut ergänzen, wenn nämlich der deutlich marktförmigen Attitüde der Kirchenmitglieder eine Versorgungsreaktion der Pfarrer entspricht. Unausgesprochen, aber doch wirksam, ist der Glaube: ‚Für meine Kirchensteuer erwarte ich bestimmte Dienstleistungen.’36 Dies bildet sich insbesondere in den Sakramenten der Taufe und der Ehe ab, viel deutlicher aber vielleicht noch in den Kasualien bei bestimmten wichtigen Lebensabschnitten. In extremen Ausprägungen kann hier sogar von Warenförmigkeit gesprochen werden. Diese Tendenz zeigt sich schon seit einigen Jahren in der Enttäuschung von immer mehr Kirchenmitgliedern die sie zwar nicht offensiv äußern, sich aber dennoch danach verhalten, für ihre monetäre Leistung keine adäquate pastorale Versorgung (mehr) zu erhalten. Dabei ist zunächst unerheblich, ob es sich um eine reale oder um eine subjektiv so wahrgenommene Enttäuschung ihrer Erwartungen handelt.

      Die Warenförmigkeit aber gibt es nicht nur von Seiten der Kirchenmitglieder; auch die Kirche verhält sich zunehmend marktkonform, wenn in ihr immer häufiger von „Kundenorientierung“, von „Angebotspalette“ und „Dienstleistungen“ gesprochen wird. Die Spitze dieser schleichenden Ökonomisierung der Pastoral war zuletzt in der vielfach beachteten Sinus-Milieu-Studie37 zu beobachten, die nicht nur für die Wirtschaft interessante Daten liefert, um zu wissen, wie sie ihre Produkte am erfolgreichsten absetzen kann, sondern auch in der Kirche ähnliche Fragen befördert, denn „die Frage steht im Raum, ob nicht auch die Kirche und ihr Agieren ‚marktgerechter’, in diesem Falle ‚milieugerechter’

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