Dein Reich komme. Jürgen Kroth
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Die gesellschaftlichen Widersprüche als Herausforderungen sind der Theologie, ja der gesamten Glaubensgeschichte keineswegs fremd. Vielmehr ist der Glaube von Anfang an darin verwoben und versucht nicht allein die gesellschaftlichen Verhältnisse im Ganzen zu verändern – Stichwort wäre hier die Hoffnung auf das Reich Gottes, das nach dem Synodenbeschluss Unsere Hoffnung auch nicht den realen Verhältnissen abstrakt gegenübergestellt werden darf, da doch immerhin das Reich Gottes nicht indifferent sei gegenüber den Welthandelspreisen99 –, sondern schenkt auch und gerade der Zerstörung der Subjekte und deren Rettung eine besondere Aufmerksamkeit. Recht verstanden aber ist die Zuwendung zum anderen – insbesondere zum leidenden anderen – jeweils schon eine solche, die sich vorab der Zuwendung Gottes zu den Menschen verdankt, weil und insofern die Zuwendung Gottes einerseits die Bedingung der Möglichkeit jeglichen Verhaltens und Erkennens ist und andererseits diese Zuwendung auch die Radikalisierung unseres Handelns insoweit darstellt, als damit auch ein Handeln über den Tod hinaus denkmöglich und real erhoffbar geworden ist.
„8. In seiner gesellschaftlichen Dimension würde dieses Handeln auf den Aufbau einer gemeinsamen Welt und damit auch gesellschaftlicher Institutionen zielen, in denen die unbedingte gegenseitige Anerkennung Bedingung der eigenen Identität und Ort der Erfahrung jener absoluten befreienden Freiheit ist, die in der christlichen Tradition Gott genannt wird.“100
Dass die Hoffnung des Christentums keineswegs gesellschaftlich und politisch unschuldig ist, ist evident. Jenseits aber dieser eher noch negativ-abgrenzenden Formulierung besetzt Helmut Peukert hier ganz offensiv das Feld des Politischen, ohne jedoch in politische Programmatik oder gar in eine Instrumentalisierung des Politischen zu verfallen. Allerdings werden durchaus Leitideen oder Grundanforderungen, möglicherweise aber auch Konsequenzen eines gesellschaftlich verantworteten Handelns aus dem Glauben an den Gott der biblischen Traditionen deutlich. Es geht hier also nicht um das Herantragen einer gesellschaftlichen Praxis an die Theologie bzw. an das Christentum, sondern es geht um die Herausarbeitung des immanenten Anspruchs des Christentums. Im Gespräch mit der human- und sozialwissenschaftlichen Handlungstheorie hatte sich ja herausgestellt, dass die Anerkennung des anderen elementarer Bestandteil jeder kommunikativen Interaktion ist, die intentional alle möglichen Interaktionspartner mit ins Spiel bringen muss, die dann aber gleichfalls auch jene in den Blick nehmen muss, die von der realen Kommunikationsgemeinschaft faktisch ausgeschlossen oder aber auch schon ausgeschieden sind: die Toten –, was aber nur möglich ist, wenn eine Instanz angesprochen wird, die auch jenen noch eine Zukunft und eine Gerechtigkeit ermöglichen kann. Wenn diese Instanz, die wir Gott nennen, nicht alleine eine funktionale Umschreibung einer bloßen Hoffnung sein soll und darf, muss sie handelnd schon jetzt erwiesen und bewahrheitet werden als Vorschein auf die kommende Rettung, gleichsam als Hoffnung der Hoffnungslosen. Dieses kontrafaktische Handeln ist selbst noch einmal gespeist von der erinnerungsgeleiteten Hoffnung auf Gott und insofern kann Gott als jene Möglichkeit behauptet werden, die uns zu diesem Handeln befreit, das sowohl Individualität und Subjekthaftigkeit in den Blick nimmt wie auch die gesellschaftlichen Superstrukturen und das an deren Veränderung mitarbeitet. Interessanterweise wurde dies auch jenseits der eigentlichen theologischen Disziplinen sehr deutlich erkannt. In der Auseinandersetzung zwischen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno wird dies ablesbar. In seinem Aufsatz „Zu Theodor Haecker. Der Christ und die Geschichte“, hatte Max Horkheimer 1936 geschrieben, die Jenseits-Hoffnung der Katholiken erscheine ihm ebenso wie das Handeln der bürgerlichen Materialisten wesentlich auf das Wohl der eigenen Person bezogen. Dazu antwortete ihm Theodor W. Adorno in seinem Brief vom 25. Januar 1937: „[…] die verzweifelte Hoffnung, in der allein das an Religion mir zu sein scheint, worin sie mehr ist als verhüllend, ist nicht sowohl die Sorge um das eigene Ich als vielmehr die, daß man Tod und unwiderbringliches Verlorensein des geliebten Menschen – oder Tod und Verlorensein derer, denen Unrecht geschah, nicht denken kann, und selbst heute kann ich oft nicht verstehen, wie man ohne Hoffnung für jene auch nur einen Atemzug zu tun vermöchte.“101
Theologie im Gesamten, die Praktische Theologie im Besonderen hält an der Hoffnung und der Möglichkeit von Rettung fest, ohne sich dieser sicher zu sein. Sie bindet sich fest an die Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen, „besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1) und willigt dem Zeitgeist nicht ein, der sich in die Vernichtung von Menschen und Gottes großer Schöpfung weltweit fügt, sondern versteht sich als kritische Reflexion jeder Praxis, die dies absichert. Sie versteht sich aber auch als Reflexion einer Praxis, die dem sich widersetzt und möchte einen Beitrag leisten, dass das perrenierende Unrecht nicht das letzte Wort haben mögen.
Wenn daher Karl Rahner und Johann Baptist Metz fordern, die Theologie müsse in einem „eminenten Sinn ‚praktische Theologie‘ sein“102, dann rekurrieren sie natürlich einerseits auf die Vorgängigkeit der Praxis des Glaubens selbst, die jeder Theologie voraus liegt. Sie wissen auch um die Notwendigkeit, Theologie als kirchliche Wissenschaft zu verantworten, so dass also auch die Praxis der Kirche der Theologie immer zugrunde liegt. Sie wissen aber eben auch um die Verwobenheit des kirchlichen Handelns in gesellschaftliche Strukturen, die es kritisch zu reflektieren und im Horizont des Reiches Gottes zu verändern gilt.
1 Walter Fürst sieht eine ähnliche Problematik für die gesamte Praktische Theologie, wenn er betont: „Die Kontroverse um den adäquaten Gegenstandsbereich und, in eins damit, um die ihr eigene innere Handlungsnorm (Wesen der Kirche, Praxis Jesu, Reich Gottes bzw. Evangelium oder Tradition?) trat, ohne gelöst zu sein, im weiteren Verlauf der Entwicklung der prth [praktisch-theologischen; J.K.] Disziplin durch Akzentuierung des Methodenproblems mehr und mehr in den Hintergrund.“ Fürst, W., Praktische Theologie – Wissenschaft von Praxis und Kunst der Pastoral, in: Nauer, D. / Bucher, R. / Weber, F. (Hrsg.) Praktische Theologie. Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven. Ottmar Fuchs zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2005, 71-76; 72
2 Wie sehr dies für die gesamte Theologie gilt, mögen drei kurze Hinweise belegen. So findet sich im „Katechismus der katholischen Kirche“ in der Ausgabe von 1993 unter dem Stichwort „Reich Gottes“ überhaupt keine Aufnahme in das Register, in den späteren Auflagen findet sich ein Bezug zum Reich Gottes nur in dem Kapitel über Jesus Christus und ganz beiläufig unter jenem über den Heiligen Geist. Noch frappierender ist der Befund, dass in allen Konzilien bisher mit Ausnahme des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Bezug auf das Reich Gottes nicht vorkommt. Für die Lehrentwicklung der Kirche scheint jener Bezug, der für Jesus offensichtlich zentral war, nicht wichtig zu sein. Schließlich: In der breit angelegten Studie zur Eschatologie von Joseph Ratzinger wird unter dem Stichwort ‚exegetischer Befund‘ über 20 Seiten an keiner einzigen Stelle ein Hinweis zum Reich Gottes angeführt. Vgl. Ratzinger, J. Eschatologie – Tod und ewiges Leben. Kleine Katholische Dogmatik IX, Regensburg 1977
3 Auch hier nur zwei kurze Hinweise. In einer breit angelegten und von Andreas Wollbold betreuten Dissertation über inhaltliche Mindestanforderungen an die Sakramentenkatechese wird nur an zwei, wiederum aber sehr randständigen Stellen auf das Reich Gottes Bezug genommen. Vgl. Malburg, V., Glauben lernen?! Inhaltliche Mindestanforderungen an die Sakramentenkatechese, Regensburg 2010, 142; 150; auch in dem entsprechenden Beitrag zur Sakramententheologie im dritten Band der Neuen Summe Theologie findet sich ein Hinweis auf das Reich Gottes nur in einem Zitat aus Joh 3,5, vgl. Tillard, J.-M. R., Das sakramentale Handeln der Kirche, in: Eicher, P (Hrsg.), Neue Summe Theologie, Bd. 3, Der Dienst der Gemeinde, Freiburg / Basel / Wien 1989, 239-304; 245
4 Einige seien aber vorab schon erwähnt: Zum einen die Überlegungen von Ferdinand Kerstiens, weil sie in keines der gängigen Raster der systematischen oder katechetischen Bearbeitung des Themas passt, aber dennoch sehr inspirierende Überlegungen liefert. Vgl. Kerstiens, F., Neuer Wein in alte Schläuche. Sakramente der Befreiung, Düsseldorf 1994. Zum Anderen aber auch die explizite Bezugnahme auf das Reich Gottes als zentrale Aufgabe der Kirche in Bezug auf gemeindliche Wirklichkeit bei Norbert Mette (vgl. Mette, N., Christliche Gemeinde im Horizont des Reiches Gottes, in: Sellmann, M. (Hg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle, Freiburg i. Br. 2013, 226-244), wie auch