Dein Reich komme. Jürgen Kroth

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Dein Reich komme - Jürgen Kroth Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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Grenze des Todes anerkennt, aber es überschreitet gleichzeitig diese Grenze nach vorne hin und eröffnet Zukunft. Ist aber dies möglich, dann kann und muss – dafür steht ja gerade der Gottesgedanke – auch der rettende Schritt nach hinten, zurück in die Vergangenheit, gedacht werden und eine Rettung auch für die Toten behauptet werden. „‚Erlösung‘ ist daher weder ‚objektiv‘ noch ‚subjektiv’, sondern intersubjektiv in geschichtlich-gesellschaftlichem Prozeß zu denken als Praxis von antizipierter und als ausständig erfahrener Versöhnung her, in welchem Vorgang auch der einzelne als Subjekt seine Identität finden kann.“71

      „5. Und das würde bedeuten, daß solidarisches Bejahen des anderen hier und jetzt schon immer ausgeht von der Behauptung der Unzerstörbarkeit, ja der Rettung des Vergangenen, des Vernichteten, vom Tod des Todes. Dann wäre die Auferweckung Jesu als ein nicht zu isolierendes Ereignis verständlich zu machen, das die eigene Existenz gerade im Versuch zum Handeln in unbedingter und unbegrenzter Solidarität ermöglicht. Und dies würde umgekehrt bedeuten, daß diese Rettung im Tod nur begriffen ist, wenn sie sich in der unbedingten Anerkennung der anderen hier und jetzt bewährt.“

      Wir haben uns längst daran gewöhnt, die Auferstehung Jesu als besonderen und exklusiven Fall der Auferstehung anzusehen. Das war freilich nicht immer so: Schon in den frühesten Auferstehungsfragmenten findet sich eine interessante Rückkoppelung, die auch in dieser These Peukerts wieder aufgegriffen wird. Paulus bindet nämlich in 1 Kor 15 die Auferstehung Jesu zurück an die Auferstehung aller Toten und umgekehrt. Gerade christologisch lässt sich daher die Auferstehung nicht als exklusives, isoliertes Ereignis lesen. Auferstehung ist vielmehr der Einstieg in diese universale Solidarität, die in der unbedingten Anerkennung des anderen – auch des toten anderen – gipfelt. Dies ist auch das Recht des Metz’schen Diktums, Christus müsse immer so gedacht werden, dass er nie nur gedacht wird.72 Hoffnung, so könnte man das ganze auch ausdrücken, ist immer nur wirkliche Hoffnung, wenn sie nicht im Modus der Hoffnung verharrt, sondern das auch anvisiert und praktisch vorwegnimmt, was sie erhofft. Insofern muss Hoffnung proleptisch und praktisch verstanden werden. Dass hier nun allerdings Hoffnung auch nach hinten denkbar wird, stellt eine tatsächliche Radikalisierung des Hoffnungsbegriffs dar, der bis dahin doch eigentlich immer nur als nach vorn hin extrapolierte Gegenwart gefasst worden war. Selbst in dem Grundlagenwerk der Hoffnung, in dem diese zum Prinzip wird,73 wird die Hoffnung über den Tod hinaus lediglich für jene anvisiert, die sich in revolutionäre Prozesse hineinbegeben, darin umkommen und dann in der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft aufgehoben sein werden.74

      Auch an der Kontroverse zwischen Max Horkheimer und Walter Benjamin lässt sich zeigen, dass innerhalb des philosophischen Denkens eine Rettung der Toten umstritten war. Der Gedanke an die mögliche Rettung der Verlorenen ist zwar ein in sich theologischer, worauf Max Horkheimer in seinem berühmten Briefwechsel mit Walter Benjamin hinwies75, er ist aber nicht notwendigerweise angestoßen von der biblisch tradierten Verheißung, sondern kann sich auch gewissermaßen philosophisch explizieren. Die Konstellation Max Horkheimer – Walter Benjamin – Theodor W. Adorno zeigt, dass materialistisches Denken von sich angetrieben wird, so weit über sich hinauszudenken, „bis zur Idee einer Verfassung der Welt, in der nicht nur bestehendes Leid abgeschafft, sondern noch das unwiderruflich vergangene widerrufen wäre“76. Die Auseinandersetzung sei noch einmal kurz rekapituliert:

      Horkheimer hatte 1934 in seinem Aufsatz Zu Bergsons Metaphysik der Zeit gegen Bergson eingewandt, dieser unterschlage die Ernsthaftigkeit der Todesgrenze metaphysisch, indem er – darin ganz Theologe – im Versprechen des ewigen Lebens über die reale Welt eine zweite projiziere und damit die reale Widersprüchlichkeit eskamotiere. Vor diesem Hintergrund sind die schroffen Anmerkungen Horkheimers nicht mehr ganz so drastisch, sondern schulden sich der metaphysischen Überhöhung einer sekundären Welt.

      „Was den Menschen, die untergegangen sind, geschehen ist, heilt keine Zukunft mehr. Sie werden niemals aufgerufen, um in der Ewigkeit beglückt zu werden. Natur und Gesellschaft haben ihr Werk an ihnen getan, und die Vorstellung des Jüngsten Gerichts, in welche die unendliche Sehnsucht von Bedrückten und Sterbenden eingegangen ist, bildet nur ein Überrest des primitiven Denkens, das die nichtige Rolle des Menschen in der Naturgeschichte verkennt und das Universum vermenschlicht. Inmitten dieser unermeßlichen Gleichgültigkeit kann allein das menschliche Bewußtsein die Stätte sein, bei der erduldetes Unrecht aufgehoben ist, die einzige Instanz, die sich nicht damit zufriedengibt. Die allmächtige Güte, welche die Leiden in der Ewigkeit tilgen sollte, ist von Anfang an bloß die Projektion menschlicher Teilnahme in das stumpfe Weltall gewesen. Kunst und Religion, in denen dieser Traum Ausdruck gefunden hat, sind ebensosehr unmittelbare Zeugnisse dieser Unzufriedenheit, wie sie andererseits an vielen Stellen der Geschichte zu reinen Mitteln der Beherrschung geworden sind.“77

      Es ist nicht so sehr der Gedanke möglicher Rettung, den Horkheimer hier abweist, denn diese Möglichkeit hält der Historiker fest in seiner Rolle, neue Lebensformen der Gesellschaft zu entwickeln und zugleich „das Entschwundene im Gedächtnis zu bewahren“78, sondern die metaphysische Behauptung einer Gewährung von Rettung durch Abstraktion von der Welt und damit auch von den realen Leiden. Nur insofern der Gedanke Horkheimers sich mit einer explizit atheistischen Position vorträgt – so liest zumindest Adorno diesen Aufsatz –, wird er zu einer abstrakten Negation der kritisierten Metaphysik und dieser darin gleich, dass die metaphysische Gewalt mit jeder weiteren Explikation zunimmt.79

      Die Möglichkeit des Gottesgedankens, wie auch der Erfahrbarkeit kann jedoch nicht negiert werden, ohne dass in der Kritik möglicher Gotteserfahrung ein Wissen beansprucht würde, was den gleichen metaphysischen Anspruch erhöbe wie der Gottesgedanke. Diese Einsicht ist eine Folge immanenter Kritik des identitätslogischen Denkens, das schließlich auch zu den großen Atheismen führte, indem der objektiven die subjektive Vernunft entgegengestellt wurde. Daher wäre eigentlich auch der Atheismus Horkheimers nur dann triftig, wenn ihm ein Wissen zukäme, das das Negierte voraussetzte. Gleichwohl darf die Position Horkheimers nicht unterschätzt werden, denn zumindest ist seine Gestalt des Atheismus geprägt von dem Pathos, die Sinnlosigkeit des Leidens praktisch zu negieren.80 Darin aber folgt er einer immanenten Kritik des Leidens, das sich selbst Ausdruck verschafft, dass es nicht sein will. Der Widerspruch gegen das Leiden ist mit dessen Sinnlosigkeit schon gesetzt. Die Betonung der Abgeschlossenheit der Vergangenheit innerhalb der materialistischen Philosophie wendet sich gegen all jene Überlegungen, die im Leiden noch einen Sinn dekretieren einerseits und der positiven Behauptung einer Hoffnung, die doch durch nichts zu begründen ist andererseits.81 Beide Möglichkeiten gelten Horkheimer als idealistisch, wie in dem Brief an Benjamin notiert.

      „Über die Frage, inwiefern das Werk der Vergangenheit abgeschlossen ist, habe ich seit langem nachgedacht. […] Persönlich mache ich das Bedenken geltend, daß es sich auch hier um ein nur dialektisch zu fassendes Verhältnis handelt. Die Feststellung der Unabgeschlossenheit ist idealistisch, wenn die Abgeschlossenheit nicht in ihr aufgenommen ist. Das vergangene Unrecht ist geschehen und abgeschlossen. Die Erschlagenen sind wirklich erschlagen. […] Nimmt man die Unabgeschlossenheit ganz ernst, so muß man an das Jüngste Gericht glauben. Dafür ist mein Denken jedoch zu sehr materialistisch verseucht.“82

      Soll jedoch die Theorie nicht die kritisierte Metaphysik duplizieren, der es „um überzeitliche Wahrheit“83 zu tun ist, so muss auch die eigene Theorie von den gesellschaftlichen Erfahrungen affizierbar sein. Es wundert nicht, dass die Überlegungen Horkheimers zur Frage der Abgeschlossenheit von Geschichte in einer gesellschaftlichen Situation stattfinden, die den Zeitvermerk vor Auschwitz besitzen; und es nimmt weiterhin nicht wunder, dass sich nach Auschwitz grundlegende Änderungen der Theorie angeben lassen, in denen auch diese Frage ein anderes Gewicht bekommt.

      In seinen späten Schriften korrigierte Horkheimer seine früheren Aussagen darin, dass er nunmehr deutlicher auf den Gottesgedanken und die durch diesen Gedanken verbürgte Wahrheit rekurriert, ohne diese jedoch affirmieren zu können. Gerade im Eingedenken der Leiden wird das Denken genötigt, den Gedanken, der auf Wahrheit

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