Dein Reich komme. Jürgen Kroth

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Dein Reich komme - Jürgen Kroth Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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wie auch auf der gesellschaftlich-makrostrukturellen Ebene. Dieses methodische Vorgehen berücksichtigt dabei immer zentral die anamnetischen Tiefenstrukturen der christlichen Tradition selbst, die es zu vergegenwärtigen und auf Zukunft hin zu gestalten gilt. Bei all dem wird deutlich, dass Kirche immer im Spannungsfeld weltlicher Verantwortung sich befindet.

      Der Vorzug eines solchen Vorgehens gegenüber der Arbeit mit der sicherlich stabileren Datenbasis einer explizit empirisch ansetzenden Theologie liegt vor allem in der leichteren Transformierbarkeit ihrer Ergebnisse in pastorale Prozesse selbst, denn nur wenige beteiligte Subjekte dürften über die notwendigen Kenntnisse zur Erhebung empirischer Daten verfügen- Schon die Interpretation empirischer Studien dürfte für viele Beteiligte eher schwierig sein, wohingegen die Analyse von Ökonomie, Politik und Ideologie einfacher, transparenter und vor allem eigenständiger vorzunehmen ist. Dieses Vorgehen sieht sich in großer Nähe zu den Überlegungen Helmut Peukerts, für den die grundlegende Frage darin besteht, „ob die praktische Theologie den Rahmen ihrer Überlegungen so ansetzt, daß sie die bedrängenden Probleme menschlicher Praxis insgesamt im Blick hat, also die Praxis, in der Menschen als einzelne oder gemeinsam versuchen, aus einer bedrängenden Not heraus ein humanes Überleben zu sichern und den Sinn ihrer Existenz zu bestimmen“65.

      Wird das Selbstverständnis von praktischer Theologie und ihrer Teildisziplinen so gefasst, dann ist die Erwartung, es gebe ein univokes Verständnis von Pastoraltheologie, obsolet. Ebenso verfehlt aber wäre die Befürchtung, Pastoraltheologie löse sich in Beliebigkeit auf. Schließlich bleibt sie zentral verwiesen auf wenigstens zwei unhintergehbare Kontexte: zum einen den Kontext des realen Lebens der Menschen, vor allem natürlich der Armen und Bedrängten (GS 1), zum anderen aber auf den Kontext der biblischen und kirchlichen Traditionen, die wiederum jedem Versuch der Beliebigkeit einen kritischen Riegel vorschieben. Die großen Linien der Befreiung, der prophetischen Kritik, der apokalyptischen Hoffnung sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Testament sind feste Anker im Strudel der postmodernen Pluralität.

      Unter einer solchen Perspektive ist dann aber auch eine anwendungsorientierte Version der Pastoraltheologie zu verabschieden. „Das Leben der Menschen ist also nicht ein ‚Ort von angewandter Theologie‘, sondern eine ‚Quelle der Theologie‘.66 Weiter unten (vgl. 2.4) wird verstärkt über das Problem einer ortlos gewordenen Theologie zu behandeln. Hier wird schon deutlich, wie wichtig es für die Theologie insgesamt ist, die Orte als theologiegenerativ zu begreifen: insofern „diese Lebensorte gleichzeitig – bewusst und unbewusst, explizit und implizit – auch Orte der Gottesbegegnung und gelebter Gottesbeziehung sind, kommt die Reflexion auf ihre Themen und theo-logische Qualität. Eine solche Theologie fragt nicht ‚Wer ist Gott?‘, ohne nicht vorrangig die Gottes- bzw. Sinnfrage als topische Frage gestellt zu haben: ‚Wo ist Gott?‘ Eine im Verständnis von Martin Luther insgesamt als praktische Wissenschaft konzeptionierte Theologie stellt diese vorrangig topische Frage nach Gott.“67 Eine politisch-theologisch angelegte praktische Theologie verschärft die topische Frage nach Gott allenfalls noch apokalyptisch, indem der Topik die Utopik zur Seite gestellt wird in der Frage: ‚Wo bleibt Gott?‘ Dass dies aber kein Widerspruch zur Topologie als theologischer Wissensform darstellt, sollte im Verlauf der bisherigen Überlegungen schon deutlich geworden sein, wird aber sicherlich auch in der Entfaltung des Sakramentenverständnisses im Horizont des Reiches Gottes noch klarer.

      Helmut Peukert entwickelte auf der Basis der Metz’schen Politischen Theologie seine für die praktische Theologie äußerst produktive theologische Handlungstheorie, indem er den Erinnerungsgedanken wissenschaftstheoretisch, handlungstheoretisch und fundamentaltheologisch durcharbeitete. Thesenartig stellt er dar, was für die Praktische Theologie zu lernen wäre, und das erscheint zugleich für die hier vorliegende Arbeit bedenkenswert:

      „1. Zunächst müßte das Grundprinzip intersubjektiven Handelns aufgewiesen sein, daß nämlich die eigene Identität nur im Bezug zum anderen gefunden werden kann und daß die Bedingung des eigenen Selbstseins das freie Selbstsein des anderen ist.“68

      Eine individualistische Isolation ist in diesem Sinne schon a priori ausgeschlossen. Wenn wir ich sagen, so könnte man diese These vereinfacht auch umschreiben, sagen wir nie nur ich. Intersubjektivität unter Ausschluss des anderen ist nicht nur ein logischer Widerspruch, sondern stärker noch hängt auch die Frage des eigenen Selbstseins konstitutiv an der freien Bezugnahme auf den anderen. Wir finden schon in dieser ersten These ein reziprokes Verhältnis von Ich und anderem: Das Ich kann nicht ohne den/die anderen, wie auch der/die andere immer verwiesen ist auf die freie Anerkennung durch das Ich.

      „2. Es müßte verstanden sein, daß diese intersubjektive Existenz streng zeitlich ist: Die Fähigkeit, jetzt und hier zu existieren und sich einander zuzuwenden, entspringt der Fähigkeit, auf den Tod als Grenze unserer Existenz vorausgreifend zuzugehen und von daher auf die Augenblicklichkeit von Existenz hier und jetzt zurückzukommen. Existenz müßte also sowohl in ihrer zeitlichen Erstrecktheit wie in ihrer die Zeit in Endgültigkeit verwandelnden Entscheidungsstruktur erfaßt werden. Sofern diese zeitliche Existenz aber streng intersubjektiv ist, bedeutet das Zugehen auf den eigenen Tod im Umgang mit dem anderen auch das Zugehen auf den Tod des anderen, die Anerkennung der zeitlichen Existenz des anderen als Möglichkeit der Ekstasis in Endgültigkeit.“

      Unschwer zu erkennen greift Peukert in diesem zweiten Punkt die Grundthese Martin Heideggers auf, der in „Sein und Zeit“69 das Dasein zum Tode als die Bedingung eigentlicher Existenz beschrieb, wobei er immer und ausschließlich den je meinigen Tod meinte, den Tod des anderen aber philosophisch überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen in der Lage war. Insofern war Heideggers Existentialontologie eine strikt individualphilosophisch ansetzende und genau dort auch verbleibende. Was aber richtig und wichtig an Heidegger bleibt, ist gezeigt zu haben, dass das Sein eine zeitliche Struktur hat, dass es also ein überzeitliches Sein nicht geben kann. Er hat zu Bewusstsein gebracht, dass das Dasein zeitlich ist. Gerade diese zeitliche Struktur des Daseins in seiner Begrenztheit durch den Tod ermöglicht, diese Grenze nicht einfach nur als Fatum hinzunehmen, sondern bewusst darauf zuzugehen. Damit aber ist immer eine Entscheidungssituation gegeben, mich so und nicht anders zu verhalten. Weit über Heidegger hinaus ist aber hier davon auszugehen, dass, insofern diese zeitliche Existenz intersubjektiv angelegt und gar nicht anders denkbar ist, ein Dasein zum Tode eben gerade nicht im emphatischen Sinne den je meinigen Tod meint, sondern wesentlich den des anderen.

      „3. Dieses gemeinsame Zugehen auf den Tod als wechselseitiges Anerkennen der Existenz des anderen und als Möglichkeit der Verwandlung in Endgültigkeit wäre in der Unbedingtheit dieses Anerkennens zugleich die praktische Behauptung Gottes als der Wirklichkeit für den anderen, die ihn im Tod nicht vernichtet sein läßt und die deshalb Hoffnung gewährt, auch selbst im Tod bejaht zu sein. Das gemeinsame Zugehen auf den Tod wäre das hoffende Zugehen auf den Tod als Zugehen auf Gott als die Wirklichkeit, die sich im Tod als rettend erweist.“

      Weiter unten gilt es, der Frage nach der epistemologischen Anknüpfung an die Auferstehung etwas weiter zu entfalten. Es wird dann zu verdeutlichen sein, dass diese zwar zentral und zugleich auch problematisch sein kann, wenn sie als Ausgangspunkt und nicht als Hoffnungsaussage verstanden wird. Es würde hier zu weit führen, den genauen Status dieses Abschnittes zu entfalten, da damit große theologische wie auch erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Fragen berührt sind hinsichtlich der Frage nach der Behauptung der Auferstehung.70 Gott wird jedoch gleichsam hoffend bewahrheitet, indem die Anerkennung des anderen einerseits ein Vorschein, eine Prolepse des kommenden Gottes ist und andererseits Gott als die Wirklichkeit behauptet wird, die im Tod Rettung verheißt.

      „4. Dann wäre zugleich deutlich, daß diese Art zeitlichen, intersubjektiven Handelns einen nicht begrenzten Horizont hat, und zwar nicht nur auf Zukunft, sondern auch auf Vergangenheit hin. Der Tod ist keine Grenze. Solidarität hier und jetzt kann es nur geben als Solidarität auch nach rückwärts, mit den Toten. Walter Benjamin nannte dies den revolutionären ‚Tigersprung ins Vergangene’.“

      Eine

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