Dein Reich komme. Jürgen Kroth

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Dein Reich komme - Jürgen Kroth страница 26

Dein Reich komme - Jürgen Kroth Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

Скачать книгу

Traditionen, diese Bezüge zu tilgen oder wenigstens weit in den Hintergrund zu drängen.

      Die formalisierte und subjektlose Ortlosigkeit eines Melchior Cano wurde erst im 20. Jahrhundert wieder revidiert, indem in Auseinandersetzung mit den Traditionen der Aufklärung das Subjekt wieder stärker in den Blickpunkt theologischer Fragen gestellt wurde, wobei hier konzediert werden muss, dass unter dem semantischen Deckmantel der Subjektorientierung gleichsam eine Verobjektivierung des Subjekts stattgefunden hat. Wenn in der Folge der anthropologischen Wende der Theologie etwa von dem Menschen gesprochen wird, stellt sich die Frage, wer denn dieser Mensch oder diese Menschen in concreto sind. Es ließe sich gegen diese Abstraktheit mit Marx einwenden, der Mensch sei gerade nicht ein außerhalb der Geschichte hockendes Wesen.50 Sinnfällig findet sich dies ausgedrückt in der praktisch-theologischen Orientierung der Kirche als Kirche für das Volk, statt einer Kirche des Volkes. Spätestens aber mit dem II. Vatikanischen Konzil und erst recht mit den daran anschließenden regionalen Synoden bzw. Bischofsversammlungen wurde dies von der lehramtlichen Seite korrigiert. Aber auch die Spezifizierung „des Volkes“ bleibt noch eigentümlich unpräzise, wenn nicht die allumfassende Bestimmung des Volkes Gottes angenommen werden soll, wie dies in LG grundgelegt ist, was zwar ekklesiologisch eine ungeheuere Bedeutung hat, aber in der konkreten Fragestellung nach den Orten der Theologie noch präzisiert werden muss. Dann wäre zu fragen: Wer sind die konkreten Subjekte? In welchen konkreten Situationen leben sie? Wie reagiert die kirchliche Praxis mithilfe der theologischen Reflexion darauf? Hilfreich ist an dieser Stelle der Rekurs auf jene theologischen Ansätze, die am deutlichsten die Subjektfrage zu konkretisieren versuchten, wohl wissend, dass es bei diesen Präzisierungen nicht um Ausschließlichkeitsfragen geht, also in politischen Theologien der Befreiung, die von dem Impuls beseelt sind, den Stimmlosen eine Stimme zu geben. Selbstverständlich sind diese nicht allein auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu finden. Tiemo Rainer Peters weist mit großem Recht auf die neuen Orte hin: „Die neuen Orte waren Basisbewegungen, soziale Konfliktfelder, Elendszonen am Rand der Gesellschaft und an den Peripherien der Welt: Orte der Bewährung, nicht des abstrakten Wahrheitsanspruchs.“51 Und er betont: „Wäre nicht die einzige Form, die Theologie darzustellen, die, ihre Praxisfelder und Kontexte zu erläutern, ihre Autoren dort, wo sie engagiert sind, zu Wort zu bringen und den theologischen Begriff erst dann zu entfalten, wenn er ausgewiesen wäre durch ein Tun, ein Leiden, einen Kampf?“52

      Für den lateinamerikanischen Kontinent lässt sich dies folgendermaßen beschreiben: „Befreiungstheologie und –praxis sind die zwei Seiten einer Münze, die die Härte ihrer Währung […] nachweist im gläubig-praktischen Erinnerungsvorgang, im Sprech- und Verständigungsprozeß und in der Organisation von solidarischer Hoffnung mit und unter den Armen und den Anderen. Sie wird ohnmächtig am Ort der Schwachen und marginal an der Peripherie der Menschheit. An den dunklen Rändern der Geschichte versucht sie Licht zu sein, notwendiges Instrument im Dienst und in der Hand derer, die in der gesamtwirtschaftlichen Rechnung der jeweiligen Verhältnisse stumm, überflüssig und hinderlich geworden sind. Befreiungstheologie führt ihr Gespräch nicht aus dem Fenster des theologischen Oberbaus auf die Straße hinaus mit den Armen und Anderen. Sie kann nicht Theologie guter Zurufe und Tröstungen, kann nicht Schreibtischtheologie sein.“53

      Sind diese Verortungen der Theologie anachronistisch? Sind sie gar romantisch? Haben zeit-, ideologie- und gesellschaftskritische Theologien ausgedient? Fehlen die Orte der Bewährung? Doch gewiss nicht! Der pastoralen Herausforderungen sind nicht wenige, vielleicht sogar mehr, als je zuvor. Aber hat die Theologie, hat die Pastoral die Kraft, sich ihnen zuzuwenden? Besitzt sie das notwendige Potential, neue Orte zu besetzen und in ihnen produktiv und kreativ sich zu bewähren? Vielmehr allerdings scheint es, als reduziere sich das kirchliche Handeln auf die Orte, die immer schon kirchliche waren und es doch auch tunlichst bleiben sollen.

      Gleichwohl gibt es hier auch praktisch-theologisch wichtige Veränderungen. Am deutlichsten hat Michael N. Ebertz auf die notwendige Veränderung der kirchlichen Orte hingewiesen, da aufgrund der verschiedenen gesellschaftlichen Veränderungen – Schwund in der kirchlich verfassten Religionsausübung, Pluralisierung von Religion und Kultur, Prozesse der Individualisierung, etc. – die Ortsgemeinde nicht mehr der Ort sei, der darauf adäquat zu reagieren in der Lage sei.54 Schließlich lebten Menschen nicht mehr in solch überschaubaren und homogenen Räumen, wie dies noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war, Arbeits- und Sozialräume seien deutlich topologisch deutlich ausgedehnt, Beziehungen infolgedessen auch weit über den unmittelbaren Wohnraum verstreut uvm. Die Pastoral müsse diesen Veränderungen Rechnung tragen und das Prinzip der Ortsgebundenheit, wie es sich in der Pastoral der Ortsgemeinde abbilde, aufgeben und auf die veränderten Bedürfnisse der Menschen mit veränderten Angeboten reagieren.55 Zudem komme noch ein weiteres Problem hinzu, da durch die gesellschaftlichen Ausdifferenzierungen sehr verschiedene Milieus entstanden seien, die in der traditionellen Pastoral nicht hinreichend Beachtung fänden. Vielmehr finde durch das Prinzip der Ortsgemeinde ein Ausgrenzungsprozess statt, demgemäß nur solche Menschen in der Gemeinde sich beheimatet fühlten, die den gleichen – oder wenigstens ähnlichen – Milieus angehörten. In der Konsequenz seiner Überlegungen fordert Ebertz daher, es müsse fortan über die Ortsgemeinde hinaus gedacht werden, es seien tatsächlich neue Räume zu entdecken, neue Orte zu gestalten, es seien neue Angebote zu generieren, um mit Menschen in Kontakt zu kommen.

      Es kann hier nicht darum gehen, die Diagnosen und Vorschläge von Ebertz56 umfassend zu reflektieren. Es bleiben jedoch jenseits der schon weiter oben angesprochenen Angebotsorientierung Fragen, ob nicht in dem richtigen Anliegen, neue Orte der Pastoral zu entdecken und sie entsprechend zu gestalten, das Prinzip der Ortsgemeinde zu schnell und zu leichtfertig verabschiedet wird.57 Dabei kann nicht übersehen werden, dass veränderte gesellschaftliche Verhältnisse Veränderungen in der Pastoral nach sich ziehen müssen. Aber läuft die Preisgabe des Ortsbezugs nicht auch Gefahr, die konkrete Pastoral, die konkrete Arbeit, mithin die Sichtbarkeit der Kirche zunehmend zu virtualisieren? Muss nicht eine alte Erkenntnis berücksichtigt werden, die Ottmar Fuchs so formuliert:

      „Auch jede Sachbezogenheit braucht die Ortsgebundenheit, sonst ist die gesamte Situationsbezogenheit des Evangeliums nicht ernst genommen. Gerade die sich in die Lebens- und Notbereiche der Menschen strukturell entfaltende Pastoral darf sich eben nicht in die kategorialen Formen hinein auflösen, in denen die Eucharistie wegen der diversen Adressat/innen-Orientierung seltener präsent ist als in den Gemeindeformen. Die Wohnbezogenheit ist nicht die ausschließliche Ortsbezogenheit, aber immer noch eine ganz wichtige, die zu den verschiedenen Erlebnismilieus in der Gesellschaft quer verläuft. Bei aller Mobilität und passagefähigen Notwendigkeit der Pastoral zwischen Pfarrgemeinden und anderen Sozialformen der Kirche darf sie diesen Bezug nicht vorschnell aufgeben, gerade um die durchaus auch destruktive Mobilität im eigenen Bereich zu bremsen und um dadurch den sonntäglichen Eucharistiebezug zu bewahren.“58

      Will also Pastoral dem durchaus berechtigten Anliegen von Ebertz: einer „Kommunikationspastoral“59 folgen, dann muss sie – das weiß auch Ebertz – Orte benennen können, an denen solche Kommunikation möglich ist, an denen aber auch alle wichtigen Fragen des Lebens ihren Ausdruck finden können. Recht verstanden geht es ihm also um „die Weiterentwicklung alter, aber auch den Aufbau neuer pastoraler Orte bzw. Gelegenheitsstrukturen mit mehr oder weniger niederschwelligen und passageren Angeboten in den unterschiedlichen Milieus“60. Möglicherweise aber wird die Ortsgemeinde auch unterschätzt in ihren Fähigkeiten, diesen Herausforderungen sich zu stellen61, auf jeden Fall muss von ihr verlangt werden dürfen, neue Lebensräume erkennt und sie unterstützt, der Vielfalt menschlichen Lebens Rechnung trägt, in ihren Strukturen durchlässiger und in ihren Arbeitsweisen partizipationsgerechter wird, Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet statt sich abzuschließen, gegenüber der eigenen Milieubedingtheit Offenheit für andere zu entwickeln uvm. In seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium versteht sich Papst Franziskus als „Hirte einer Kirche ohne Grenzen“ (EG, 210). Was dort unter der Perspektive der Migration geschrieben steht könnte doch auch geltend gemacht werden für andere pastorale Herausforderungen.

      Bei

Скачать книгу