Dein Reich komme. Jürgen Kroth
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Die in diesem schwachen Monotheismus sich zeigende Empfindlichkeit für fremdes Leid könnte mithin das einende Band wenigstens zwischen den monotheistischen Religionen sein, wenn und insofern sie alle auf diesen biblisch tradierten Gott rekurrieren. Ob damit freilich eine Vermittlung zu den nichtmonotheistischen Religionen möglich sein könnte, wäre im Einzelfall jeweils noch zu prüfen. Aber auch für den Fall, dass es hier keine Gemeinsamkeiten geben sollte, wäre doch mit der leidempfindlichen Gottesrede ein Maßstab angegeben, der ein produktives Gespräch mit den anderen Religion eröffnen könnte. Es wäre auch nicht weiter tragisch, wenn an dieser Stelle Differenzen deutlich würden. So schön eine konsensuale Annäherung zwischen den Religionen auch sein mag; gerade die Erfahrungen in den Auseinandersetzungen zwischen Katholizismus und den lutherischen Kirchen um die Rechtfertigungslehre zeigen, dass auch eine Dissensformulierung durchaus produktiv sein kann. Davon wäre in unserer Frage möglicherweise auch zu lernen.
Die leidsensible Gottesrede auf der Basis des biblischen Monotheismus böte zugleich einen Maßstab, der auch politisch wirksam werden könnte, so dass der alte Verdacht, ein jeder Monotheismus sei demokratiefeindlich, obsolet wäre und vielmehr deutlich würde, dass in diesem Monotheismus selbst Demokratie schon angelegt ist, nämlich in seinem letzten biblischen Imperativ, eine jede gesellschaftliche Formation habe sich an der Wahrnehmung fremden Leids als entscheidende Kategorie allen öffentlichen Handelns zu orientieren.
Für die praktische Theologie gewendet bedeutet dies, multireligiöse Erfahrungen so zu fokussieren, dass in ihnen eine Wahrnehmung fremden Leids gelehrt und eine Kultur der Anerkennung entwickelt wird.
Es stellt sich aber noch die Frage, wie denn mit dem Phänomen einer Multireligiosität ad intra umzugehen sei. Denn nicht länger ist von einem homogenen Glauben innerhalb des Christentums, noch nicht einmal innerhalb des Katholizismus, auszugehen. Gab es immer schon Differenzen im Gottesverständnis auf der Ebene der theologischen Reflexion, die schließlich zu den großen theologischen Debatten und dogmatischen Definitionen führten, so gibt es heute deutliche Differenzen im religiösen Alltagsbewusstsein, die freilich nicht mehr kontrovers diskutiert werden, sondern – wiederum der postmodernistischen Mentalität folgend – gleich gültig nebeneinander stehen bleiben. In der kirchlichen Praxis führt dies dann natürlich dazu, dass – wenn denn überhaupt noch ein Gottesbezug supponiert werden kann – dieser äußerst heterogen ist. Eine Verständigung über die Differenz setzt aber eine Diskursbereitschaft und eine Diskursfähigkeit voraus, die angesichts diffuser Religiosität nur schwer vorausgesetzt werden kann. Es ergeben sich somit zwei Problemkreise: zum einen, die Multireligiosität innerhalb eines Spektrums unterschiedlicher kultureller Herkünftigkeit zu berücksichtigen, zum anderen aber, jene christliche Multireligiosität erstmals zu thematisieren, die Differenzen herauszuarbeiten und in einen Vermittlungsprozess zu überführen.
Dabei ist auch ohne große Reflexion evident, dass der zweite Problemkreis wesentlich schwieriger zu bearbeiten ist als der erste. Es mag paradox erscheinen, aber gerade hinsichtlich der Multireligiosität ad intra sind wiederum Anfragen von jenseits des Christentums ein erster wichtiger Schritt, da in der Tat nicht mehr auf vorfindbares Wissen oder gar Erfahrungen bei einem großen Teil der betroffenen Subjekte zurückgegriffen werden kann. Wenn aber hier die Sprachlosigkeit herrscht, muss der Versuch gemacht werden, durch externe Anfragen an das Christentum so etwas wie einen apologetischen Impuls zu geben. Mag hier auch die Kirchenkritik naheliegen und die Sprachbarrieren ansatzweise zu überwinden helfen, so ist doch gleichwohl tiefer anzusetzen, um mithilfe der genuinen Religionskritik an wesentliche Anfragen an die jüdisch-christliche Tradition heranzukommen. Für viele ergibt sich dadurch die Möglichkeit, mit gleichsam bloß geborgten Argumenten eine erste Versprachlichung ihrer eigenen Fragen zu erreichen. Freilich gilt es hier eine Einschränkung zu machen: Die Zeit der großen Atheismen ist nämlich vorbei. Es waren z.B. für die Religionspädagogik geradezu noch paradiesische Zustände, als vor allem kritische Schülerinnen und Schüler auf der Basis der großen Atheismen in den Diskurs mit dem Christentum einstiegen. Davon kann heute keine Rede mehr sein.
Hinsichtlich der ersten Problemstellung, der Multireligiosität ad extra werden beispielsweise in der Religionspädagogik immer mehr Stimmen laut, der konfessionell gebundene Religionsunterricht sei zugunsten einer multireligiösen Orientierung im Sinne des religionskundlichen Unterrichtes aufzugeben und allen Religionen der gleiche Stellenwert einzuräumen.33 Ohne hier nun den strikt konfessionellen Religionsunterricht einfachhin zu verteidigen, sei jedoch wenigstens auf das Problem der Auflösung dieser Bindung – oder sagen wir hier: der Auflösung der christlichen Bindung – hingewiesen. Studien aus den Jahren 1998 und 1999 bezogen auf die britische Situation, in der diese Bindung schon längst nicht mehr vorhanden ist, zeichnen ein differenziertes Bild religionskundlichen Unterrichts. Es wird darin erstens gefragt, ob die säkulare Weltanschauung, die hinter diesem Modell sich verbirgt, die die Möglichkeit eines ideologiefreien Erkennens vorgebe, nicht selbst eine Ideologie sei, die darin bestehe, die Wahrheitsansprüche der Religionen faktisch zu relativieren; zweitens, ob hinter einer solchen Didaktik ein instrumentelles Verständnis von Bildung stecke, wonach die Schüler mit ihren eigenen Fragen gar nicht mehr vorkämen und insofern für die Vermittlung abstrakter Inhalte instrumentalisiert würden, drittens aber wird gefragt, ob eine Negierung der eigenen Traditionsvorgaben nicht einen hermeneutischen Rückschritt darstelle, so dass die Lehrenden selbst ihre Tradition vergessen müssten, damit ein adäquater religionskundlicher Unterricht möglich sei.
Die letzten Bemerkungen leiteten schon über zu der Frage, wie denn das Christentum selbst noch tradiert werden könne in einer Situation offensichtlicher Krise. Nun ist diese Krise keinesfalls neu. Sie hat zunächst ihre Basis und ihren Ausgangspunkt in der Aufklärung, die ja gründlich mit Tradition überhaupt aufgeräumt hat. Tradition verliert in der Aufklärung ihre Handlung bestimmende und Leben orientierende Kraft und wird Objekt historischer Erkenntnis und damit auch Arsenal für das Informations- und Nachrichtenbedürfnis der aufgeklärten Vernunft. Letztlich führt jedoch auch schon der Prozess der Historisierung von Tradition zu ihrer Entwichtigung.
Tradition – das sei hier auch nur angedeutet – lässt sich mit den Kategorien der Tauschgesellschaft nicht mehr vermitteln. Es ist die Gefahr des aufgeklärten Bürgertums, „alles, was nicht dem Kalkül der rechnenden Vernunft pariert und sich nicht den Gesetzen des Marktes, d.h. des Profits und des Erfolgs unterwirft, der privaten Beliebigkeit und Unverbindlichkeit des einzelnen zu überlassen. Wie er die Religion zur Service-Religion macht, an die er sich privat wendet, so macht der Bürger auch die Tradition zum Wert, dessen er sich privat bedient. – Kulturindustrie ist ein später Ausdruck für diesen Vorgang, der in der Aufklärung angelegt ist“34.
Wenn wir heute in einem praktisch-theologischen Kontext von Tradition und deren Krise sprechen, dann stecken die grundlegenden Veränderungen der Aufklärung noch darin, wenngleich in veränderter Form. War nämlich die Aufklärung noch um die Kritik an Tradition bemüht, so wäre heute diese Kritik – analog der Kritik der Religion – eine wichtige Basis der Auseinandersetzung. Die Krise der Tradition ist heute vielmehr begrifflich kaum noch fassbar. In ihr steckt zum einen der generelle Verlust an Bezugssystemen, in ihr steckt vor allem aber auch ein Grundzug postmoderner Mentalität, nämlich der Hang zum Vergessen, der allerdings noch einmal gleichsam schleichend sich zeigt, keinesfalls eine bewusste Entscheidung oder gar Strategie darstellt, sondern vielmehr den gesellschaftlichen und kulturellen Trends geschuldet ist. Erinnerung gibt es nämlich beinahe