Dein Reich komme. Jürgen Kroth

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Dein Reich komme - Jürgen Kroth Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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damit zugleich auch Möglichkeit von Hoffnung; doch dies ginge dann selbstverständlich über den Postmodernismus hinaus. Ein Blick in unsere Wirklichkeit zeigt aber deutlich, dass es mit einer sozialen Kommunikationsstruktur immer schwieriger wird. Immer mehr wird das Subjekt auf sich selbst zurückgeworfen, immer stärker werden die Vereinzelungs-, Atomisierungs- und Vereinsamungstendenzen. Das Individuum muss demgemäß „lernen, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in Bezug auf seinen eigenen Lebenslauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen“24; jeder ist also seine eigene Ich-AG.

      Mit der letzten Bemerkung wird schon angedeutet, dass der früher kritisch verwendete Begriff der Atomisierung und sozialer Entfremdung inzwischen affirmativ verwendet wird, denn in der Gesellschaft möglichst vieler Ich-AGs ist jeder sein eigener Unternehmer, sein eigener Chef, sein eigener Planer und sein eigener Angestellter. Es entsteht damit eine doppelte Pluralität: eine interpersonale und eine intrapersonale. Wie die Subjekte untereinander in unverbundener Konkurrenz stehen, so muss auch das Subjekt in sich selbst sehr plural aufgestellt sein und unterschiedliche Fähigkeiten mitbringen.

      Für die praktisch-theologische Perspektive stellt sich die Frage, ob sie diesen Trend prolongieren und theologisch verdoppeln darf, oder ob sie nicht bewusst an der Problematisierung und Überwindung der gesellschaftlichen Atomisierung mitarbeiten muss.

      Schwierig ist das aber nicht nur deswegen, weil sich die kirchliche Praxis schon seit langer Zeit als Spielart bürgerlicher Religion erwiesen hat, sondern auch weil sich dies in der religiösen Sozialisation konsequent in Richtung einer religiösen Individualisierung und individualisierten Religiosität entfaltet hat. Dabei führt erstere tendenziell zur Auflösung der letzteren, zumindest in dem Sinne, dass unter dem Zeichen der Individualisierung es zu einer Auflösung des transindividuellen Religiösen kommen kann. Nun kann die Reaktion darauf nur schwer sein, den individualisierten und atomisierten Subjekten ein geschlossenes System vorgeprägter Religiosität vorzulegen, das freilich ohnehin kaum noch gelebt, sondern nur noch gelehrt wird. Triftiger scheint es vielmehr, mithilfe der großen Erzählung der jüdischchristlichen Tradition ein Deutungsmuster vorzulegen, das sich einerseits in Geschichte und Gesellschaft selbst entfaltete und darin schließlich auch ihr fundamentum in re besitzt, das zugleich aber auch für Gegenwart und Zukunft die Kraft produktiver Ungleichzeitigkeit besitzt, die in der radikalen Pluralität und den damit verbundenen Atomisierungstendenzen auf ein Einheitsmoment setzt, das nunmehr Menschen nicht mehr isoliert, sondern in ihrer Andersartigkeit verbindet und so auch die Möglichkeit von Sozialität und Solidarität auch weit über den Horizont des Eigenen hinaus eröffnet.

      Wie wenig eine wirkliche Durchdringung der Pluralitätsproblematik vorgenommen wird, kann in einem ganz anderen Bereich verdeutlicht werden: Schaut man sich etwa Lehrpläne für den Religionsunterricht an, dann trifft man mit großer Wahrscheinlichkeit auf Themen, die mit den Weltreligionen verbunden sind, selten aber auf das, was heute unter dem Stichwort ‚interkulturelles Lernen’ verstanden wird. Wer sich dagegen in der religionspädagogischen Fachliteratur seit den 90er Jahren umschaut, erhält einen völlig anderen Eindruck: Interkulturelles Lernen scheint ein breit rezipierter Ansatz religionspädagogischer Theorie und Praxis zu sein. In Fachzeitschriften werden Themenhefte dazu aufgelegt, es werden entsprechende Sammelbände verfasst und auch Monographien vorgelegt.25 Nun könnte es sich dabei selbstverständlich um ein Modethema handeln oder aber es spiegelt sich darin eine Erfahrung wider, die auf die Notwendigkeit einer Beschäftigung damit hinweist.

      Dass in allen gesellschaftlichen Bereichen und damit auch in Kirche, Gemeinde, Schule und Theologie die Pluralität zugenommen hat, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Es stellt sich aber die Frage nach den Beziehungen der unterschiedlichen pluralen Erscheinungen. Gibt es mithin Beziehungen zwischen den einzelnen Konfessionen, zwischen den monotheistischen Religionen und den übrigen Weltreligionen? Selbstverständlich haben wir schon eine gewisse Erfahrung mit interkonfessionellen Strukturen, was uns aber noch immer fehlt, sind interreligiöse Ansätze. Dabei stellt sich sogleich das Problem, wie denn eine Auseinandersetzung zwischen den Religionen möglich ist, ohne den jeweiligen Wahrheitsanspruch zu relativieren, ohne ihn freilich auch zu verabsolutieren.

      Eine Möglichkeit ist das weitläufig bekannte Modell des von Hans Küng vorgelegten „Projekt Weltethos“, demgemäß in allen Religionen ein Kernbestand an ethischen Überzeugungen zu finden sei, der alle Religionen eine und der das tragfähige Fundament darstelle, die anstehenden Fragen der Welt produktiv zu lösen. Bei diesem Projekt handelt es sich streng genommen zwar um eine Konsensustheorie, allerdings um eine auf einem vergleichweise niedrigen Niveau, in der die elementaren Differenzen zwischen den Religionen zugunsten eines Minimalkonsenses unbeachtet bleiben, wohingegen es doch eigentlich darum gehen müsste, die Differenzen deutlich herauszuarbeiten und die Religionen in ihrer Andersheit anzuerkennen, also zu einer Anerkennungskultur zu kommen, statt zu einer Angleichungskultur, dies freilich mit einem universalen Anspruch. Denn nur dann hat ja ein interreligiöser Diskurs wirklich substantielle Bedeutung, wenn es hier um Wahrheit im emphatischen Sinne geht. Dass damit freilich schon von Anbeginn die Perspektiven des Postmodernismus unterlaufen werden, der ja bekanntlich keine Wahrheit, sondern nur viele kleine Wahrheiten zulässt, ist evident.

      Der Universalismus der jüdisch-christlichen Tradition liegt dem gegenüber selbstverständlich ganz unmittelbar in der Gotteshoffnung selbst, denn Gott ist entweder ein Menschheitsthema oder überhaupt kein Thema mehr. In einer polytheistisch oder auch – wie man mit Odo Marquard sagen könnte – polymythischen Welt sind plurale Gottheiten denkbar, die dann mit bestimmten Aufgaben, Gegenstandsbereichen, aber auch mit bestimmten Sektoren betraut werden können; sie sind gleichsam spezielle Götter für jeweils unterschiedliche Fragen, Regionen, Menschen, Gesellschaften etc. Gott aber ist anders – zumindest wenn man die jüdisch-christlichen Traditionen an diesem Punkt ernst nimmt. Es ist nämlich eine unglaubliche Unbescheidenheit, die sich in den jüdisch-christlichen Traditionen ermitteln lässt: Er ist nur unser Gott, wenn er zugleich auch euer Gott, er ist nur mein Gott, wenn er zugleich auch dein Gott sein kann.26

      Nun soll weder verschwiegen noch übersehen werden, wie sehr der universale Anspruch des Christentums auch Leid in der Welt produzierte; doch scheint hier wiederum ein falscher Universalismus am Werke gewesen zu sein und eine Gottesvorstellung, die mit der hier vorausgesetzten in keiner Weise kompatibel ist, denn hinter dem machtförmigen Erscheinungsbild von Christentum und Kirche steckt ein gewissermaßen ‚starker‘ Monotheismus, der – das ist ja gerade angesichts der von Jan Assman27 angestoßenen Diskussion immer wieder thematisiert worden – demokratiefeindlich und gewaltförmig ist.28 Dabei kann uns soll nicht geleugnet werden, dass es gravierende Dimensionen von Gott zugelassener oder selbst initiierten Gewalt in der Erzählstruktur des Ersten Testaments gibt.29 Besonders problematisch sind hierbei natürlich die im Erzählzusammenhang Gott selbst zugesprochenen Gewalttaten, von der vernichtenden Flut bis hin zu Hiob. Assmann hat besonders die legitimatorische Gewalt hervorgehoben, in der sich Gewalttäter auf Gott als deren Rechtsgrund beziehen. Immerhin kann der Einwand geltend gemacht werden, die Frage nach der Gewalt und eine gewaltförmige Praxis befände sich auch im Ersten Testament in einem Entwicklungs- und Reflexionsstadium und es müsse auch der polytheistische Hintergrund vor allem der vor-monotheistischen Schichten der Hebräischen Bibel geltend gemacht werden.30 Dennoch: Sich diesen kritischen Anfragen dann durch die Behauptung zu entziehen, wir verträten schließlich keinen reinen Monotheismus, sondern eher einen, der trinitarisch sich entfalte, scheint dabei kein hinreichender Ausweg zu sein, da damit nicht nur die eigenen Wurzeln indirekt negiert würden und wir Gefahr liefen, uns im Gegensatz zum Judentum zu definieren, sondern auch weil ein rein trinitätstheologischer Entwurf ganz andere Schwierigkeiten aufwirft, über die aber zu verhandeln hier nicht der Ort ist.31

      Viel eher wäre noch einmal an den jüdischen Monotheismus – auch und gerade als Christ – anzuknüpfen, der eben kein ‚starker‘, sondern ein „schwacher“ und verletzbarer, ein pathischer Monotheismus ist.

      „Das will zweierlei besagen: Zum einen ist dieser Monotheismus von einer Figur der ‚biblischen

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