Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten. Группа авторов
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In seinem Testament vom 29. Juni 1582 hatte Herzog Julius Heinrich Julius zu seinem Nachfolger in Braunschweig-Wolfenbüttel bestimmt, darüber hinaus aber festgelegt, dass dieser zugunsten Philipp Sigismunds auf die Stifte Halberstadt und Minden, wo Heinrich Julius 1582 vom Domkapitel postuliert worden war, resignieren sollte. Als dieser Plan 1585 bei Heinrich Julius‘ Resignation in Minden fehlschlug, wollte dieser hinsichtlich Halberstadts nicht das gleiche Risiko eingehen und behielt aus Gründen der Arrondierung des Gesamtkomplexes Wolfenbüttel-Halberstadt die Regierung über das Hochstift. Umso mehr fühlte er sich verpflichtet, Philipp Sigismund ein anderes Bistum zu verschaffen. Diese Möglichkeit ergab sich 1591 nach dem Tod des Osnabrücker Administrators Bernhard von Waldeck.27 Zu diesem Zeitpunkt war die konfessionelle Situation im Hochstift uneinheitlich. Der Protestantismus hatte einen festen Rückhalt an der Stadt Osnabrück und an großen Teilen des Stiftsadels. Die Mehrheit der Stifte und Klöster war noch dem alten Glauben verbunden. In den Landgemeinden hatten sich Mischformen des kirchlichen Lebens herausgebildet; während die Mehrheit der Geistlichen katholisch ordiniert war und sich mittelalterlich-kirchliches Brauchtum, wie liturgische Gewänder und Reste der lateinischen Kirchensprache, hielt, breiteten sich daneben protestantische Formen aus, wie Laienkelch, Priesterehe und lutherisches Kirchenlied. Versuche zur Vereinheitlichung und zur Durchführung einer Reform im altkirchlichen Sinn, die Bischof Johann von Hoya (1553-1574) gegen Ende seiner Amtszeit unternahm, erzielten keine tiefgreifende Wirkung. Das Domkapitel, das zwar erhebliche Vorbehalte gegen die Reformation hatte, weil es in ihr eine Gefahr für seinen eigenen Bestand sah, bezog keinen eindeutigen Standpunkt. Bei der Bischofswahl ließ es sich weniger von religiös-kirchlichen als von politischen Gesichtspunkten leiten. Priorität besaß die Sicherung der territorialen Integrität des Hochstiftes. Aus diesem Grund kam die Wahl der protestantischen oder lutherisch gesinnten Administratoren bzw. Bischöfe Heinrich von Sachsen-Lauenburg (1574-1585), Bernhard von Waldeck (1585-1591) und Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel zustande.
Im Unterschied zu 1585, als Philipp Sigismunds Bewerbung in Osnabrück scheiterte, bereitete der Wolfenbütteler Hof die anstehende Wahl umsichtig vor; man gab ein Schutzversprechen für das Hochstift ab und ließ wie in Verden dem Domkapitel reiche finanzielle Mittel zukommen. Der Mangel an geeigneten katholischen Kandidaten, der Wunsch der Stadt Osnabrück und des protestantischen Stiftsadels, vor allem die Überzeugung, dass die Anlehnung an Braunschweig-Lüneburg den bestmöglichen Schutz gegen ein Übergreifen des Niederländischen Krieges auf das Hochstift bieten werde, veranlassten die Mehrheit der Osnabrücker Domherren, Philipp Sigismund am 25. Mai/5. Juni 1591 zu postulieren. Mit seiner Entscheidung geriet das Domkapitel in einen Gegensatz zur Kurie, die über den Kölner Nuntius Ottavio Mirto Frangipani ebenso wie der Kaiser auf einen eindeutig katholischen Kandidaten gedrungen hatte. Die von Philipp Sigismund unterzeichnete Wahlkapitulation enthielt zwar nicht die Verpflichtung auf das Tridentinum, verlangte von ihm aber den Schutz der katholischen Religion, den Empfang der Weihen, die Einholung der päpstlichen Bestätigung und den Gehorsam gegen den Papst; die Postulation sollte hinfällig sein, wenn sich Philipp Sigismund nicht den Vorschriften der katholischen Kirche gemäß verhielt, heiratete oder päpstlicherseits nicht bestätigt wurde.
In langwierigen Verhandlungen bemühte sich Philipp Sigismund um die päpstliche Konfirmation; dabei gab er wiederholt das Versprechen ab, die katholische Religion im Hochstift zu schützen. Die Kurie bestand jedoch auf der Ablegung des Tridentinischen Glaubensbekenntnisses, zu der sich Philipp Sigismund nicht bereitfinden konnte; u. a. rechtfertigte er seine Ablehnung mit dem Hinweis, dass die „professio fidei Tridentina“ ihm und dem Hochstift die Feindschaft der Niederlande bescheren werde. Längere Zeit glaubte die Kurie, Philipp Sigismund zur Konversion zum Katholizismus bewegen zu können, weshalb sie die Verhandlungen mit Konzilianz führte und von Strafandrohungen gegen den Administrator und das Domkapitel absah. Da es zu keiner Einigung zwischen der Kurie und Philipp Sigismund kam, wurde ihm auch die kaiserliche Regalienurkunde verweigert. Aufgrund anhaltender Intervention des Wolfenbütteler Hofes erhielt er 1598 ein zeitlich begrenztes Regalienindult für seine beiden Hochstifte, das dann immer wieder verlängert wurde. Somit beruhte seine Herrschaft auf einem rechtlich unsicheren Fundament, wobei seine Stellung in Verden, da konfessionelle Konflikte ausblieben, unproblematisch war. Dass sich Philipp Sigismund in beiden Stiften halten konnte, resultierte nicht zuletzt aus der starken politischen Rückendeckung durch das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel und den guten Beziehungen, die Herzog Heinrich Julius zu Kaiser Rudolf II. unterhielt.
In Osnabrück entwickelte sich das Domkapitel, zu dem Philipp Sigismund in „kühler Distanz“28 stand, zum eigentlichen Gegenpol des Landesherrn. Es nutzte dessen rechtlich unsichere Position zur Durchsetzung eigener ständischer und konfessioneller Forderungen aus. Mit Unterstützung der Kurie wurde seit der Jahrhundertwende u.a. durch die Aufnahme von Absolventen des römischen Collegium Germanicum die eindeutig katholische Partei im Kapitel verstärkt. Seine fortschreitende Katholisierung führte dazu, dass seit 1615 die Ablegung des Tridentinischen Glaubensbekenntnisses für die Aufnahme ins Domkapitel obligatorisch wurde. Das Kapitel wurde damit zum wichtigsten Beschützer der alten Kirche und des Reformkatholizismus im Hochstift. Diese Entwicklung hielt den in konfessioneller Hinsicht irenischen Administrator davon ab, den katholischen Besitzstand in Osnabrück zu schmälern. Er unterließ direkte Eingriffe in das altgläubige Kirchenwesen und zeigte sogar ein gewisses Wohlwollen gegenüber Stiften und Klöstern, wo er entsprechend der Wahlkapitulation Missstände zu beseitigen und die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Ordensregel zu erreichen versuchte. Ansonsten begünstigte aber die im großen Ganzen passive kirchliche Haltung Philipp Sigismunds, der sich mehr als Landesherr denn als Bischof verstand, die Ausbreitung und Festigung des lutherischen Bekenntnisses.
Philipp Sigismund, der abwechselnd in seinen Residenzen in Iburg und Rotenburg lebte und diese entsprechend seiner fürstlichen Stellung ausbaute, bewies eine „für seine Zeit erstaunliche konfessionelle Toleranz“29, der durchaus eine persönliche Überzeugung zugrunde gelegen haben mag; sie war aber auch taktischen Erwägungen geschuldet. Angesichts des Erstarkens der katholischen Kräfte im Reich und insbesondere in Westfalen intensivierte er seine Bemühungen, seine Stifte für das Welfenhaus bzw. für evangelische Kandidaten zu sichern. Unter Einsatz erheblicher finanzieller Mittel unternahmen Philipp Sigismund und die Welfen verschiedene Versuche, über die Bestellung eines Koadjutors beide Stifte für die Dynastie zu sichern. Dabei konzentrierte man sich anfangs auf Christian von Braunschweig-Lüneburg, seit 1599 Administrator in Minden und seit 1611 regierender Herzog in Celle. Konflikte über das Besetzungsrecht der Lüneburger Abtei St. Michael beendeten Philipp Sigismunds Bemühungen, Christian die Koadjuterie zu verschaffen. Außerdem verschloss sich das Verdener Kapitel diesen Überlegungen, weil es die Inkorporation des Hochstiftes in das Fürstentum Lüneburg befürchtete. Demgegenüber akzeptierte es die Koadjuterie des Prinzen Friedrich von Schleswig-Holstein, eines Sohnes des dänischen Königs Christian IV., der die Autonomie des Hochstiftes zu garantieren versprach. 1619 nahm Philipp Sigismund Prinz Friedrich zum Koadjutor von Verden an. Gleichartige Bestrebungen in Osnabrück scheiterten am Widerstand des Domkapitels. Nachdem Philipp Sigismund am 19. März 1623 in Verden gestorben war, wo er im Dom seine letzte Ruhestätte fand, wählte man in Osnabrück bereits am 18./28. April